Wer in Kambodscha eine Kuh besitzt, hat sich einen Lebenstraum erfüllt: So ein Tier ist oft ebenso viel wert wie ein Haus. Foto: AFP/Philippe Lopez

In Kambodscha hat eine wohltätige Organisation ein raffiniertes Konzept eingeführt: Cows for Cambodia fungiert als eine Art Bank für Kühe. Erfunden haben das Ganze zwei Australier.

Kee Sok strahlt in die Kamera, fest umschlossen in der Hand hält sie einen Strick, mit dem sie eine hellbraune Kuh mit freundlichen Augen führt. Für europäische Verhältnisse ist die Kuh ein wenig mager, doch für die kambodschanische Frau bedeutet sie eine profitable Zukunft. Denn wer in Kambodscha eine Kuh besitzt, hat sich einen Lebenstraum erfüllt: Eine Kuh ist ebenso viel wert wie ein Haus.

Als der Australier Andrew Costello vor zwölf Jahren Kambodscha besuchte, war der Medienmanager schockiert von all der Armut, die er sah. Ein lokaler Führer erklärte Costello dann die Bedeutung, die eine einzelne Kuh für eine Familie in Kambodscha hat. Schon ein einziges Tier könne den Teufelskreis der Armut brechen. Costello bekam diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf, und als er nach Australien zurückkehrte, startete er die wohltätige Organisation Cows for Cambodia – auf Deutsch also Kühe für Kambodscha.

Eine Kuh ist ein wenig wie ein Sparbuch

Auch heute – zwölf Jahre später – ist Kambodscha nach wie vor ein armer Staat: Laut der Weltbank betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2022 gerade mal 1786 US-Dollar und das, obwohl das Land seit 1999 durchaus große Entwicklungserfolge erzielt hat. Der Lebensstandard hat sich deutlich verbessert, Alphabetisierung, Lebenserwartung und Ernährung haben große Fortschritte gemacht. Doch die Coronapandemie und auch die russische Invasion in der Ukraine haben den Boom gedämpft. Im vergangenen Jahr machten der Landwirtschaft Überschwemmungen und hohe Kosten für Dünger zu schaffen.

Eine Kuh ist deswegen ein wenig wie ein Sparkonto und in gewisser Weise auch ein Statussymbol. Eine ausgewachsene Kuh, die etwa 800 US-Dollar wert ist, ist für die Menschen deswegen ein echter Luxus. Während Farmer in Australien oftmals mehrere Hundert und in manchen Fällen sogar mehrere Tausend Kühe besitzen, wird in Kambodscha jedes neugeborene Kalb gefeiert.

Die Organisation verleiht eine trächtige Kuh

Hier wollte Costello ansetzen. Doch während der Medienmanager gut dabei war, Spenden für seine Schützlinge in Asien zu sammeln, fehlte es ihm an der Expertise in Bezug auf die Viehwirtschaft. 2016 lernte er durch Zufall einen pensionierten australischen Viehzüchter kennen: Wallace Gunthorpe war ähnlich wie Costello schockiert, als er sich die Situation vor Ort anschaute. „Ich hatte noch nie zuvor eine derartige Armut gesehen“, sagt er. „Das kann man einfach nicht mehr vergessen.“

Die beiden Australier kombinierten ihre Talente und erarbeiteten ein raffiniertes Konzept für die wohltätige Organisation: Cows for Cambodia fungiert inzwischen als eine Art Bank für Kühe. Die Organisation hat eine Kuhherde und verleiht einzelne trächtige Kühe an kambodschanische Familien. Fünf Monate nachdem das Kalb geboren wurde, geht die Mutterkuh zurück an die Organisation, das Kalb bleibt bei der Familie. Die Mutterkuh wird wieder verliehen, wenn sie erneut trächtig ist.

Hauptziel sind die Ärmsten der Armen

Die Kuhfarm in Kambodscha wird inzwischen von Vicheth Chan geführt, dem einheimischen Führer, der Costello einst das Land zeigte und ihn darauf aufmerksam machte, welche Rolle eine Kuh im Leben einer Familie spielt. „Unser Hauptziel sind die Ärmsten der Armen, die wirklich von der Hand in den Mund leben“, sagte er.

In diesem Jahr rechnet die Organisation damit, 30 bis 40 Kühe an Familien überreichen zu können. Auf den ersten Blick scheint dies wenig, doch kambodschanische Kühe sind wenig produktiv. Genetisch gab es über die Jahrhunderte wenig Austausch, und Krankheiten führen häufig dazu, dass Tiere während der Schwangerschaft eingehen oder die frisch geborenen Kälber nicht überleben. Deshalb organisierte Gunthorpe im vergangenen Jahr den Import von sechs australischen Kühen und Stieren der Sorte Brahman, um die lokale Herde zu stärken.

In einer Schule lernen Mütter Lesen und Schreiben

Die Kuh, die die Organisation Kee Sok ausgeliehen hat, hat inzwischen ein Kälbchen zur Welt gebracht. Die Kambodschanerin kümmerte sich so gut um ihren tierischen Schützling, dass die Organisation inzwischen beschlossen hat, ihr noch eine weitere trächtige Kuh auszuleihen und ein drittes Tier an ihre verwitwete Tochter Phai zu übergeben, die eine alleinerziehende Mutter mit einem kleinen Sohn ist. „Wenn im kommenden Jahr zwei Kälber geboren werden, werden diese beiden sowie das bereits Geborene das Leben der Familie in einigen Jahren komplett verändern“, sagt Viehzüchter Gunthorpe.

Bei ihrer Arbeit bemerkten die Australier zudem, dass die ersten 68 Menschen, denen sie eine Kuh ausliehen, mit einem Daumenabdruck unterschrieben und Analphabeten waren. Deswegen haben sie inzwischen auch noch eine Schule eröffnet. Gunthorpe berichtet, dass die Organisation Frauen mit Kindern bevorzuge und letztere dann gleich in die angeschlossene Schule schicke, die inzwischen über 300 Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Mit dem Projekt könne er zwar nicht alle retten, doch er könne zumindest einigen Menschen helfen.