Jean-Marc Lorber singt seit seiner Jugend in verschiedenen Bands und tritt als Solo-Künstler „Spellfire Jamal“ auf. Foto: Trautwein Quelle: Unbekannt

Von Janey Olbort

Stuttgart - Begonnen hat für Jean-Marc Lorber alles vor dreißig Jahren: mit einer Hirnhautentzündung, ausgelöst durch einen Zeckenbiss. „Zu dieser Zeit brach das Tourette-Syndrom bei mir aus und ich bekam erste Tics“, sagt der heute 38-jährige Stuttgarter. Ob die Hirnhautentzündung der Auslöser war oder ob die Auswirkungen eines genetischen Defekts dadurch nur beschleunigt wurden, konnte jedoch nie eindeutig festgestellt werden. „Das ist auch nicht so wichtig. Entscheidend ist für mich, mit der Krankheit offen umzugehen.“

Ein Geheimnis macht Lorber aus seinen Tics nicht. Wenn man ihm gegenüber sitzt, schnallst er immer mal wieder mit der Zunge, zieht sich an den Haaren oder verzieht das Gesicht. Schimpfwörter fallen keine. „Nur 30 Prozent aller Tourette-Erkrankten leiden unter dieser speziellen Form des Syndroms.“ Medikamente gegen seine Krankheit nimmt der 38-Jährige schon seit zwölf Jahren nicht mehr. Er habe „alles mögliche versucht“, richtig helfen konnte jedoch keines der Mittel. Darum lebt Lorber lieber mit den Aussetzern. „Ich kann das auch eine Zeit lang unterdrücken.“ Aber das will er gar nicht. „Es fühlt sich so ähnlich wie beim Niesen an. Man merkt, wie es sich anstaut und irgendwann muss es raus.“

Seiner Einschätzung nach ist die Nervenerkrankung bei ihm mittelschwer ausgeprägt und lässt sich deshalb auch kontrollieren. „In der Bücherei, beim Autofahren oder in der Kirche reiße ich mich natürlich zusammen.“ Aber insgesamt sei es sehr anstrengend für ihn, den Druck auszuhalten und die Kontrolle über seinen Körper zu behalten. Andere Betroffene würden sich die Tics teilweise einen Arbeitstag lang verkneifen, „das muss dann aber abends alles raus“. Keine Lebensweise für den gelernten Einzelhandelskaufmann. „Wer schaut, schaut eben und wer nachfragt, bekommt auch eine Antwort.“

Er steht zu seiner Krankheit, will Betroffene zusammenbringen und aufklären. Das macht er zum Beispiel bei Vorträgen, Seminaren für die Tourette-Gesellschaft oder die Lebenshilfe sowie als Leiter einer Selbsthilfegruppe in Stuttgart. Wichtig ist ihm dabei, anderen Menschen mit Tourette-Syndrom Mut zu machen und Tipps zu geben. „Manche schließen sich aus Scham regelrecht Zuhause ein.“ Das führe seiner Erfahrung nach häufig zu Depressionen.

Dass andere Menschen ihn wegen seiner Aussetzer schlecht behandeln, hat er schon lange nicht mehr erlebt. Ein Vorfall aus seiner Ausbildungszeit in einem Reformhaus ist ihm dennoch im Gedächtnis geblieben. „Eine Frau hat mir einmal ein Brot wieder zurückgegeben, weil sie Angst hatte, sich anzustecken.“ Ansonsten verlief die Ausbildung unproblematisch. „Ich ging dann oft runter in den Keller oder in die Toilette und habe dort meine Tics rausgelassen.“

Gegen die Aussetzer hilft ihm besonders die Musik. „Beim Singen habe ich keine Tics.“ Er macht mit seinem Bandkollegen Soul, Funk und R‘n‘B - tritt auch als Solo-Künstler „Spellfire Jamal“ auf. Kreativ sein, Musik komponieren und Texte schreiben, ist die Leidenschaft des 38-Jährigen. „Vielleicht hat es auch etwas mit meiner Erkrankung zu tun, dass die Ideen nur so aus mir heraussprudeln.“Außer Musik hat er in diesem Jahr auch ein Hörbuch mit dem Titel „Tourette in my head“ aufgenommen. Die Idee dazu entstand nach einem Auftritt in der WDR-Sendung „Die Runde Ecke“.

Der 38-Jährige scheut die Öffentlichkeit nicht. Er habe sich eigentlich nie für seine Krankheit geschämt. „Mit 16 oder 17, als dann noch die Hormone dazu kamen, war es eine Weile anstrengend“, das habe sich dann aber wieder gelegt. Zu dieser Zeit hat er auch öfter gegrübelt, warum gerade er mit dem Tourette-Syndrom leben muss. „Die Phase war aber nach einem halben Jahr wieder vorbei.“ Heute sieht er die positiven Aspekte und ist froh, „so viele andere Betroffene kennengelernt zu haben“. Ein Leben ohne Tourette - für Lorber heute undenkbar.

Die Selbsthilfegruppe „Tourette und ADHS“ trifft sich jeden dritten Freitag im Monat um 19.45 Uhr in den Räumlichkeiten der KISS Stuttgart, Tübingerstraße 15.