Das einstige Wohnhaus von Robert Bosch auf der Gänsheide wird heute von der Stiftung des 1942 verstorbenen Unternehmers genutzt. Die Öffentlichkeit hat nur selten Zutritt. Foto: Robert Bosch Stiftung/ Achim Keiper

Von Andrea Eisenmann
Seit jeher werden mit den Schwaben Attribute wie „bescheiden“ und „sparsam“ verbunden. Dass man hierzulande auch anders kann, unterstreicht ein Streifzug durch die Landeshauptstadt. An vielen Stellen im Stadtgebiet stößt man auf prachtvolle Villen- und Landhausbauten, ein Großteil davon wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gebaut. Zu dieser Zeit fühlten sich betuchte Bürger besonders zu den Halbhöhenlagen hingezogen – aber nicht nur. Auch an anderen Stellen entstanden eindrucksvolle Gebäude – und verschwanden wieder. Manche wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, einige fielen dem überhasteten Abriss in den Jahren danach zum Opfer. Nur ein kleiner Teil der baulichen Glanzstücke existiert heute noch. Wir haben einige herausgegriffen und stellen sie exemplarisch vor.

Tüftler-Domizil mit technischen Finessen

Foto: Robert Bosch Stiftung/ Achim Keiper

Die Damenwelt kann sehr beharrlich sein, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Davon hätte wohl auch Robert Bosch berichten können. Nach seinem Aufstieg zum erfolgreichen Unternehmer drängten die weiblichen Familienmitglieder den bescheidenen Tüftler dazu, in ein Gebäude umzuziehen, das repräsentative Zwecke erfüllte. 1911 war es soweit: Die Familie bezog die von den Architekten Jakob Früh und Carl Heim erbaute Villa inmitten eines Parks auf der Gänsheide im Stuttgarter Osten. Ausschlaggebend für den Grundstück-Kauf war für Naturfreund Bosch der alte Baumbestand. Für die äußere Gestaltung des Hauses ließ er sich von der italienischen Frührenaissance inspirieren. Die Fassaden des Wohnhauses wurden mit Sandsteinelementen verkleidet. Marmor schmückte den Eingangsbereich. Holzvertäfelte Wände bestimmten das Bild der Kaminhalle. Wie seine Fabriken wurde auch das Privathaus mit technischen Finessen ausgestattet: Dazu gehörten ein Haustelefon, eine festinstallierte Staubsaugeranlage und Geräte für die Wasseraufbereitung.

Grundschule mit Geschichte(n)

Foto: Steegmüller

Eine denkmalgeschützte Villa zum Schulhaus umfunktionieren? Warum nicht, sagten sich die Verantwortlichen des Kolping-Bildungswerks und eröffneten im September 2015 in der früheren Villa Scheufelen eine Grundschule. Damit fügten sie der Geschichte des Kleinods ein weiteres Kapitel hinzu. Entworfen wurde das Gebäude am Olgaeck 1936 von dem Architekten Kurt Dübbers – dem Schwiegersohn von Paul Bonatz – und war als Alterswohnsitz für den Papierfabrikanten Heinrich Scheufelen gedacht. Dieser empfing im Erdgeschoss manches Schwergewicht aus der Bundespolitik. Unter anderem sollen Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt 1966 in der dreigeschossigen Villa die Große Koalition ausgehandelt haben. Das Gebäude hat eine Nutzfläche von 480 Quadratmetern, weitere 100 Quadratmeter wies das sogenannte Chauffeurshaus auf. Umgeben ist das Haus von einem riesigen Park.

Eine Kelter im Keller

Foto: Steegmüller

Das Gebäude in der Gerokstraße 7, in dem heute das Werkstatthaus zu finden ist, erinnert ein wenig an eine Ritterburg in Miniaturformat. Trotzig reckt der kleine Turm seine Spitze in den Stuttgarter Himmel. Auftraggeber für die Villa war einst Friedrich Wilhelm Hauff, Seniorchef einer Chemiefabrik. Der Feuerbacher galt als Pionier der fotochemischen Industrie – unter anderem hielt er ein Patent auf eine Entwicklerlösung – und war eine in Stuttgart angesehene Persönlichkeit. Zu seinen ebenfalls nicht ganz unbekannten Freunden zählte er Gottlieb Daimler, Engelbert Humperdinck und Robert Bosch. Das Haus, das in den Jahren 1903 und 1904 erbaut wurde, erhielt zunächst den Namen „Villa Regina“ – benannt nach Hauffs Gattin. Der Entwurf stammte von Karl Hengerer. Der Architekt hatte in dem Neubau manche Vorgabe von Hauff umzusetzen. Dazu gehörte unter anderem ein Weinkeller mit eigener Kelter.

Der Sitz des Landesvaters

Foto: dpa

Keine Frage, die bekannteste Villa der Landeshauptstadt dürfte die Villa Reitzenstein auf der Gänsheide sein. Das Gebäude wurde 1910 bis 1913 mitsamt der zweieinhalb Hektar großen Parkanlage für 2,8 Millionen Goldmark von den Architekten Hugo Schlösser und Johann Weirether erbaut. Auftraggeberin war die Witwe Baronin Helene von Reitzenstein, eine enge Freundin der Königin Charlotte von Württemberg. Als architektonisches Vorbild diente das Seeschloss Monrepos in Ludwigsburg. Die Eigentümerin selbst verbrachte nur wenige Jahre in dem Prachtbau. 1921 wurde die Villa an die württembergische Staatsregierung verkauft. Ab 1933 war das Luxus-Domizil Sitz der Gau-Leitung der NSDAP. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den das Gebäude weitestgehend unbeschadet überstanden hat, diente die Villa übergangsweise der amerikanischen Militärverwaltung als Sitz und war Tagungsort des Länderrats der amerikanisch besetzten Gebiete. Seit 1952 ist das Haus offizieller Amtssitz der baden-württembergischen Ministerpräsidenten.

Kleinod zum Mieten

Foto: Eisenmann

An Geld mangelte es Friedrich Freiherr von Gemmingen-Hornberg und seiner Frau Dora nicht. Das lag nicht zuletzt daran, dass es sich bei den dem Offizier und seiner Gattin um den Schwiegersohn und die Tochter des Farbenfabrikanten Gustav von Siegle handelte. Im Süden der Stadt ließ sich das Ehepaar in den Jahren 1910/ 1911 von den Architekten Albert Eitel und Eugen Steigleder in der Mörikestraße einen prachtvollen Wohnpalast errichten, dessen Park sich an italienischen Terrassengärten der Renaissance orientierte. Als eines der wenigen Gebäude der Karlshöhe überstand die Villa den Zweiten Weltkrieg unbeschadet und verfügt noch heute über Teile der originalen Ausstattung. Die Stadt Stuttgart erwarb die Villa 1955 für 1,9 Millionen Mark. Bis 2002 war die Immobilie Sitz des Landesdenkmalamts. Heute kann das Gebäude, das seit 16 Jahren in Besitz von Christa Freifrau von Tessin ist, für private Veranstaltungen wie Hochzeiten, Firmenfeste oder Empfänge gemietet werden – allerdings muss man dafür tief in die Tasche greifen.