Wie geht es weiter mit dem Impfstoff von Astrazeneca? Foto: dpa/Robert Michael

Berlin und München haben Impfungen mit Astrazeneca für alle Menschen unter 60 Jahren vorerst gestoppt. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beraten am Dienstag kurzfristig über den weiteren Einsatz.

Berlin - In Deutschland ist die Zahl seltener Fälle von Hirnvenenthrombosen nach der Covid-19-Impfung mit Astrazeneca weiter gestiegen. Bis Dienstagmittag wurden dem Paul-Ehrlich-Institut 31 Fälle einer Sinusvenenthrombose nach der Impfung gemeldet, in neun Fällen davon mit tödlichem Ausgang. In 19 Fällen hätte zusätzlich ein Mangel an Blutplättchen vorgelegen. Mit Ausnahme von zwei Fällen seien Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen gewesen, erklärte eine Sprecherin des Bundesinstituts für Impfstoffe. Mitte März waren erst acht Fälle dieser Thrombosen bekannt gewesen. Zu möglichen Konsequenzen äußerte sich das PEI nicht und erklärte nur, man arbeite aktiv mit der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA zusammen. Diese plant in der kommenden Woche eine aktualisierte Empfehlung.

Impfungen mit Astrazeneca sind in Berlin für alle Menschen unter 60 Jahren vorerst gestoppt. Die Stadt München kündigte auf Twitter an, die Impfungen mit Astrazeneca für Personen unter 60 Jahren vorsorglich auszusetzen, bis die Frage möglicher Impfkomplikationen geklärt ist. Bereits am Vortag hatte der nordrhein-westfälische Kreis Euskirchen die Impfungen bei unter 55-jährigen Frauen gestoppt. Dort hatten zwei Frauen wenige Tage nach der Astrazeneca-Impfung eine Sinusvenenthrombose entwickelt, eine 47-Jährige verstarb an den Folgen. Beim Bundesgesundheitsministerium war zunächst keine Stellungnahme erhältlich. Bis Dienstagmorgen wurden in Deutschland 2,7 Millionen Dosen Astrazeneca verimpft.

Vor allem Frauen unter 55 sind betroffen

Mitte März waren in Deutschland und zahlreichen anderen europäischen Ländern die Impfungen mit Astrazeneca nach Berichten über Fälle von sehr seltenen Blutgerinnseln vorübergehend gestoppt worden. Das Bundesgesundheitsministerium hatte zum damaligen Zeitpunkt von acht Fällen in Deutschland nach 1,6 Millionen Impfungen berichtet, statistisch wären aber nur 1 bis 1,4 Sinusvenenthrombosen zu erwarten gewesen. Betroffen waren vor allem Frauen unter 55 Jahren, das Ministerium verwies aber auch darauf, das insgesamt mehr Frauen unter 55 das Mittel erhalten hätten als andere Personen.

Die Impfungen waren fortgesetzt worden, nachdem sich die Europäische Arzneimittelbehörde EMA für einen weiteren Einsatz des Impfstoffs ausgesprochen hatte. Die EMA setzt aber ihre Überprüfung fort und hat dazu auch eine Expertengruppe einberufen. Eine aktualisierte Empfehlung erwartet die Behörde zwischen dem 6. und 9. April. Ihre vorläufige Überprüfung hatte die EMA mit der Einschätzung abgeschlossen, dass der Impfstoff nicht mit einem Anstieg des Gesamtrisikos von Blutgerinnseln verbunden ist. Zwar könne ein Zusammenhang zwischen einer Impfung und sehr seltenen Blutgerinnseln im Gehirn nicht definitiv ausgeschlossen werden. Man sei jedoch weiter der Ansicht, dass die Vorteile des Mittels die Risiken überwögen.

Bei einer Sinusvenenthrombose, einer speziellen Form von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, handelt es sich um die Verstopfung eines der großen venös‎en Blutgefäße im Gehirn durch ein Blutgerinnsel. Wie es aus der Berliner Charité hieß, gab es dort zwar keine Komplikationen nach Impfungen mit Astrazeneca. Die Klinik werde aber vorsorglich vorerst keine Mitarbeiterinnen mehr unter 55 Jahren mit dem Mittel impfen und wolle eine abschließende Bewertung abwarten. Auch die Vivantes Kliniken sprachen von einem vorsorglichen Schritt.

Gesundheitsminister beraten am Dienstag

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädierte dafür, die Astrazeneca-Impfungen für alle Menschen unter 55 Jahren in Deutschland auf den Prüfstand zu stellen. „Es sollte aufgrund der Datenlage noch einmal geprüft werden, die Impfung mit Astrazeneca auf Menschen über 55 Jahren vorerst zu begrenzen“, sagte Lauterbach der „Rheinischen Post“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sprach sich dafür aus, den Impfstoff bei der Priorisierung freizugeben. Er habe „insgesamt kein gutes Gefühl“ bei den Einschätzungen der Experten zu diesem Impfstoff. Das gehe „hin und her“. Daher müsse man „irgendwann mit sehr viel Freiheit operieren“ und sagen: „Wer will und wer sich’s traut, der soll auch die Möglichkeit haben.“

Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern beraten nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums an diesem Dienstag von 18 Uhr an über den Einsatz von Astrazeneca. Minister Jens Spahn werde dann einen Vorschlag für das weitere Vorgehen vorlegen, heißt es.