Homeoffice bietet viele Vorteile – doch die negativen Nebenwirkungen sind auch zu beachten, befinden Wissenschaftler. Foto: picture alliance/dpa/dpa-tmn/Christin Klose

Eine große Studie von Stuttgarter Wissenschaftlern beleuchtet die Risiken der ortsflexiblen Arbeit im Homeoffice und anderswo für Beschäftigte und Betriebe. An zentraler Stelle sind Arbeitgeber und Gewerkschaft uneins.

Mobile Arbeit ist eine Erfolgsgeschichte – ihre Vorteile liegen auf der Hand. Viele wünschen sich gar im Schnitt drei bis vier statt bisher zwei bis drei Tage Homeoffice pro Woche, zeigt eine Studie des Fraunhofer-Instituts IAO und der Universität Stuttgart. Doch gilt die Aufmerksamkeit auch den Risiken: In der Online-Befragung gab mehr als ein Viertel der Befragten an, die Entgrenzung von Beruflichem und Privatem als Herausforderung zu sehen.

Auch sehen die Autoren die Gefahr einer „sozialen Erosion“. Gut die Hälfte der Befragten (54 Prozent) meint, weniger sozialen Austausch untereinander zu haben, und knapp ein Viertel stellt weniger kreatives Zusammenarbeiten fest. Die große Ortsflexibilisierung von Arbeit könne auf lange Sicht zu grundsätzlichen Problemen führen, sagt die IAO-Teamleiterin Josephine Hofmann. „Das muss von Sozialpartnern im Blick gehalten werden.“ Mit rund 21 000 befragten Beschäftigten, Führungskräften und Betriebsräten aus 66 Unternehmen der Chemie- und Pharmabranche handelt es sich um die derzeit größte Studie zur mobilen Arbeit. Schätzungen zufolge sind 16 Prozent der 585 000 Beschäftigten in der Branche mobil tätig. 70 Prozent der Betriebe haben eine Betriebsvereinbarung zum ortsflexiblen Arbeiten, und 20 Prozent arbeiten daran.

Derzeit größte Studie zur mobilen Arbeit

Zwar hatten Gewerkschaft (IG BCE) und Arbeitgeberverband (BAVC) der chemisch-pharmazeutischen Industrie die Studie in Auftrag gegeben, doch zeigen sie sich nun uneins, ob es tarifpolitischen Handlungsbedarf gibt. „Wir müssen der wachsenden Entgrenzung von Arbeit und Privatem entgegenwirken“, sagt IG-BCE-Tarifvorstand Oliver Heinrich. „Der Schutz der psychischen Gesundheit darf nicht allein Privatsache sein.“ Viele Betriebe hätten eine Arbeitszeiterfassung, doch finde sie für einen erheblichen Teil der Beschäftigten bei mobiler Arbeit nicht statt. „Da gibt es dringenden Nachholbedarf“, sagt er. „Die Steigerung von Arbeitsvolumen darf nicht unter den Tisch fallen.“ Die chemische Industrie könne bei der digitalen Erfassung Vorreiter sein. „Da würde ich gern mit den Arbeitgebern schneller vorankommen, als auf den Gesetzgeber zu warten, der irgendwann eingreifen wird, wenn wir da nicht zu Regelungen kommen.“

„Der Paradefall der Vertrauensarbeitszeit“

BAVC-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller hält dagegen: „Ich sehe aktuell weder einen gesetzlichen noch einen tarifpolitischen Regelungsbedarf.“ Mobile Arbeit sei doch „der Paradefall der Vertrauensarbeitszeit“. Da den Versuch einer genauen Zeiterfassung zu machen, wo doch die Vermischung von Dienstlichem und Privaten zu den Vorteilen gehöre, „halte ich nicht für eine gute Methode“ – da sei der Beschäftigte „plastisch ausgedrückt ständig am Ein- und Ausstempeln“, so Stiller. „Wir warnen davor, allzu sehr nach Regelungen zu rufen.“

Online-Meetings führen zu einer hohen Arbeitsdichte

Hofmann zufolge führt vor allem die „Virtualisierung“ zu mehr Arbeitsvolumen. Die Beschäftigten hätten sich durch Onlinemeetings „ganz andere Arbeitstaktungen und eine neue Form von Zusammenarbeit angewöhnt“ – mit der Folge einer hohen Verdichtung und von mehr Überstunden. Dies könne irgendwann Auswirkungen auf die Gesundheit haben, warnt die Wissenschaftlerin.

Sie sehe die Gefahr der Selbstausbeutung. Doch auch der Einzelne ist aus ihrer Sicht „aufgefordert, mit individueller Flexibilität verantwortungsvoll umzugehen“. Zudem sei es die Aufgabe der Teams, dass die Erwartungen an die Erreichbarkeit klar miteinander vereinbart und kommuniziert werden. „Da kann man nur an die Vorbildfunktion von Führungskräften appellieren.“ Nötig sei eine gute Arbeitskultur und eine klar gelebte gemeinsame Vereinbarung zur Arbeitszeit.

Podiumsdiskussion zu flexiblen Arbeitsmodellen

Arbeitszeit
Zu einer Podiumsdiskussion über „Alternative Arbeitszeitmodelle“ laden an diesem Donnerstag das Fritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Deutsche Gewerkschaftsbund ein.

Ort und Zeit
Beginn ist um 18.30 Uhr im Stuttgarter DGB-Haus.

Podium
Diskussionsteilnehmer sind Josephine Hofmann (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, IAO), Alfred Keller (Handwerk-Obermeister aus Überlingen), Daniela Dankesreiter (Teamleiterin BitBW und stellvertretende Vorsitzende DGB-Bezirksfrauenausschuss) sowie Gabriel Berger (Geschäftsführer Tarifpolitik und Tarifrecht bei Südwestmetall). Die Moderation hat Matthias Schiermeyer (Stuttgarter Zeitung/Nachrichten).