Gipfeltreffen zu Compliance-Themen in Schloss Solitude mit den Wirtschaftsanwälten Alexander Sommer, Iris Rosenbauer, Jürgen Rieg, Sebastian Vollmer, Christian Raiser und Stefan Reuter sowie den Redakteuren von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, Annika Grah und Klaus Köster (von links). Foto: Julian Rettig/Julian Rettig

Das Hinweisgeberschutzgesetz könnte dazu beitragen, Rechtsverstöße in der betrieblichen Welt aufzudecken – es belastet aber gerade kleinere Unternehmen. Darüber herrscht Einigkeit beim Round Table mit Wirtschaftsanwälten.

Diesen Termin sollten kleinere Unternehmen ab 50 Beschäftigten dringend im Blick haben: Am 17. Dezember endet ihre Schonfrist, in der sie das neue Hinweisgeberschutzgesetz in die Praxis umsetzen müssen. Dann sollte ein interner Meldekanal für sogenannte Whistleblower eingerichtet sein, die Rechtsverstöße im Betrieb melden wollen; möglich ist auch eine „gemeinsame Meldestelle“ mit anderen Firmen.

Für Unternehmen ab 250 Beschäftigten gilt die Vorschrift seit dem 2. Juli. Ihnen drohen vom 1. Dezember an Bußgelder von bis zu 20 000 Euro, wenn kein Meldekanal betrieben wird. Wie das Gesetz in der Praxis ankommt, darüber haben sich Wirtschaftsanwälte aus der Region Stuttgart beim Round Table von Stuttgarter Zeitung (StZ) und Stuttgarter Nachrichten (StN) ausgetauscht.

„Hauptproblem in der Kumulation der Vorschriften“

Die Diskussion wird zunächst von Bedenken dominiert, dann kommen auf Nachfragen von Klaus Köster und Annika Grah – beide Redakteure von StZ und StN – auch die Zwischentöne zur Geltung. „Das Grundanliegen des Hinweisgeberschutzgesetzes ist richtig – es ist im Interesse des Unternehmens, intern auf Verstöße hingewiesen zu werden“, sagt Iris Rosenbauer von der Kanzlei Burger Rosenbauer Beier. „Wer ist näher dran als die Mitarbeiter?“ Deren Meldungen verschafften die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Doch „sehe ich ein Hauptproblem in der Kumulation der Vorschriften und Gesetze in den vergangenen Jahren, die für Unternehmen zu einer Überforderung führen können“. Die Mittelständler gerieten von einer Krise in die nächste. Da sei der Verwaltungsaufwand infolge des neuen Gesetzes eine besondere Herausforderung. „Nicht jedes Unternehmen hat eine große Rechtsabteilung, die das abdecken kann.“

In die gleiche Kerbe schlägt Christian Raiser von Thümmel, Schütze & Partner: „Wir befinden uns branchenunabhängig in der Konsolidierungsphase, da besteht die Gefahr, dass eher die kleineren Unternehmen von dem Gesetz getroffen werden.“ Die Politiker müssten es sich generell zur Aufgabe machen, die wirtschaftlichen Auswirkungen im Vorfeld intensiver zu untersuchen. Die Unternehmenskultur sei schon durch die Summe an neuen Compliance-Regelungen eine andere als noch vor zehn oder 15 Jahren. Insofern herrsche ein Unverständnis nach dem Motto: Muss ich das jetzt auch noch machen?

Sebastian Vollmer von Haver & Mailänder hebt die Vorzüge des Gesetzes hervor – auch, weil er als Ombudsperson für Unternehmen agiert, die externe Meldestellen eingerichtet haben. Indem der Gesetzgeber es zulasse, die Meldestelle auszulagern, „kommen da aus meiner Sicht Kosten zustande, die für ein Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern keine wirklich wirtschaftliche Relevanz haben“. Somit hält er die Folgen des Hinweisgeberschutzgesetzes für weniger dramatisch als bei anderen Compliance-Vorschriften.

„Meldesystem möglichst einfach und unkompliziert halten“

Außerdem sei das primäre Ziel des Gesetzes die rechtliche Klarheit für Hinweisgeber. Bisher seien diese das Risiko von Repressalien eingegangen, weil es vorher noch Richterrecht war sowie eine schwierige Abwägung mit der Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Den Unternehmen rät Vollmer, ihr Meldesystem möglichst einfach und unkompliziert zu halten. Dies erhöhe die Chancen auf interne Hinweise, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon erfährt.

Fraglich ist, ob sich eine relevante Zahl von Whistleblowern meldet, die den großen Aufwand rechtfertigt. Stefan Reuter von der Kanzlei BRP Renaud & Partner verweist auf erste Statistiken, wonach ungefähr eine Meldung pro 1000 Beschäftigte im Jahr reinkomme, „was auch unsere Erfahrung ist“. Das bedeute für eine kleinere Firma mit etwas mehr als 50 Beschäftigten, dass dort statistisch betrachtet etliche Jahre vergehen können, bis der neue Kanal einmal genutzt wird.

Zugleich müsse für eine womöglich ausgelagerte Meldestelle eine Pauschale gezahlt werden. Ergo gebe es für diese Firmen derzeit eigentlich dringendere Dinge zu tun, als sich um das Hinweisgeberschutzgesetz zu kümmern. Reuter zeigt sich „vollkommen sicher“, dass dieses einen Mehrwert habe. „Doch bei kleineren Unternehmen hätte es eine abgespeckte Version getan, indem man ihnen ein bisschen mehr Freiraum lässt.“

Mit dem Gesetz hatte die Bundesregierung die EU-Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Daher wendet Jürgen Rieg von Kuhn Carl Norden Baum den Blick in Richtung Brüssel: Dort würden sich die Beamten der EU-Kommission bei Compliance-Vorschriften zu sehr an den großen Konzernen orientieren; diese hätten solche Systeme schon lange vor den gesetzlichen Verpflichtungen eingerichtet. „Die haben ein ureigenes Interesse daran, die Verstöße gemeldet zu bekommen, um sie dann abzustellen, weil die Schäden sonst fatal sind.“ Die Frage sei, ob der Gesetzgeber funktionierende Systeme in der Konzernwelt auch zur Blaupause für den Mittelstand machen sollte.

Alexander Sommer von Kullen Müller Zinser mahnt: „Angesichts der Wirtschaftslage sollten für die Unternehmen die Wertschöpfung im Vordergrund stehen und nicht die Selbstverwaltung.“ Deutschland habe ein funktionierendes Rechtssystem, „also brauchen wir nicht noch ein besonderes Hinweisgeberschutzgesetz“. Es wäre besser, erst bestehende Gesetze durchzusetzen, als immer neue zu schaffen – mit weniger Aufwand insbesondere für die Wirtschaft ließe sich derselbe Effekt erreichen. Da müsse die Politik den Unternehmen einen Selbstreinigungsprozess zugestehen – sie achteten selbst darauf, dass in den eigenen Reihen richtig läuft.