Das Bildungskonzept für Null- bis Dreijährige der Rohrspatzen überzeugt. Foto: Mathias Kuhn - Mathias Kuhn

In der Rohrspatzen-Kita werden Kinder bis drei Jahren betreut. Danach kamen die jungen Rohrspatzen in der städtischen Kita unter. Dies ist nicht mehr gewährleistet. Oft müssen sie in entfernte Hedelfingen.

RohrackerDie Rohrspatzen gehören seit 1986 zu Rohracker wie der Fernsehturm zu Degerloch. Mitte der 80er-Jahre haben Bürger die ehemalige Nudelfabrik in ein alternatives Wohnprojekt umgewandelt. Eine Kita mit damals fortschrittlichen Ideen war Bestandteil des Konzepts: Ganztagesbetreuung, selbst gekochtes Mittagessen, Nachhaltigkeit, kreative Erziehung der Kinder zu selbstbewussten Persönlichkeiten. Seit mehr als 33 Jahren finden zehn Kinder von null bis drei Jahren bei den Rohrspatzen ein gemachtes Nest. Und danach? „Unsere Kinder wurden mit Kusshand von der städtischen Kita in der Tiefenbachstraße in deren Altersgruppe von drei bis sechs Jahren übernommen“, sagt Claudia Wolf, die stellvertretende Rohrspatzen-Vorsitzende. Die flügge gewordenen Rohrspatzen durften damit in Rohracker bleiben. Die Einrichtungsleiter vor Ort haben dies jahrelang geregelt. Bislang problemlos.

Statistik contra Realität

Seit 2017 wird die Platzvergabe in Stuttgarts Einrichtungen allerdings zentral vergeben. Die Leiterin des Platzmanagements Katrin Schulze erklärte den Bezirksbeiräten, wie die Plätze verteilt werden. Eltern müssen ihren Nachwuchs zentral anmelden – entweder online oder durch einen Besuch bei der zentralen Vergabestelle. Über ein Punktesystem wird entschieden, welches Kind welche Einrichtung besuchen darf. Als Kriterium zählen neben dem Wohnort, ob die Elternteile alleinerziehend sind, ob sie berufstätig sind, in welcher Einrichtung Geschwisterkinder sind und ob das Kind behindert ist. „Das führt dazu, dass die Eltern unserer Kita lange nicht wissen, ob ihre Kinder einen Platz in einer Über-Drei-Kita erhalten und, dass Kinder aus Hedelfingen oder Obertürkheim in die Einrichtung Tiefenbachstraße in Rohracker kommen und unsere Kinder nach Hedelfingen müssen“, sagt Wolf aus eigener Erfahrung.

Schulze und Kollegin Christine Wagner von der Bedarfsplanung verstehen die Rohrspatzen-Eltern zwar. Um Rechtssicherheit zu gewährleisten, müsste aber ein objektives Verfahren mit statistischen Kriterien über die Vergabe entscheiden, baten sie um Verständnis. Rein statistisch herrscht bei der Versorgung der Hedelfinger Kinder von null bis drei Jahren ein Deckungsgrad von 44 Prozent, Ziel seien 55 Prozent. Bei den Drei- bis Sechsjährigen liegt der Versorgungsgrad bei 73 Prozent. 70 Prozent werden angestrebt. „Es gibt also mehr Plätze als nachgefragt“, so Wagner. Der Haken: Die Zahlen gelten für den Stadtbezirk Hedelfingen, in Rohracker gibt es 107 Kinder im Alter von über drei Jahren, aber aktuell nur 50 Plätze. „Die Folge ist, dass einige Eltern ihre Kinder wegen des Konzepts gerne bei uns anmelden, aber nach einem oder zwei Jahren in eine städtische Kita wechseln, um die Sicherheit zu haben, dass ihr Kind dort bis zum Schulantritt bleiben kann“, sagt Rohrspatzen-Leiterin Anke Lips. „Wir machen uns Sorgen um den langfristigen Fortbestand unserer Einrichtung“, gesteht Vereinsvorsitzende Sandra Almeida-Coreira. Zumal die städtische Kita Tiefenbachstraße noch stärker konkurriert. Zehn Plätze für Kinder über drei Jahren werden in Plätze für Unterdreijährige umgewandelt. Wolf: „Dadurch wird der Druck für die Überdreijährigen in Rohracker noch größer.“ Weiteres Damoklesschwert: die Polifant-Kita im Otto-Hirsch-Center will nach Obertürkheim ziehen. „Wir verstehen, dass sich deswegen Eltern von Null- bis Dreijährigen für die städtische Kita und gegen die Rohrspatzen entscheiden, um Planungssicherheit zu haben. Aber es gefährdet eine wichtige Einrichtung. Dörfliche Strukturen und eine mit viel Herzblut aufgebaute Arbeit würden zerstört“, warnten Mario Graunke (CDU) und Karin Kaiser (Freie Wähler). Sie forderten die Gleichbehandlung der Kinder von der städtischen Einrichtung und der Rohrspatzen und haben eine Hoffnung: die geplante Gründung eines Waldkindergartens auf dem SKS-Gelände im Bußbachtal.