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Der Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld ist mit rund 15 400 Grabstätten der zweitgrößte Gottesacker Stuttgarts. Für Friedhofsaufseher Michael Elsas und sein Team ist er Arbeitsplatz.

Steinhaldenfeld D as Lämpchen über der Tür des kleinen Aufenthaltsraums leuchtet plötzlich rot auf. Für Michael Elsa s und seine Kollegen ist es das Zeichen: Jetzt können sie kommen. Sie rücken ihre Mützen gerade, überprüfen den korrekten Sitz der Jacke mit dem Stuttgarter Wappen am linken Ärmel, ziehen schwarze Handschuhe über. „Ein gepflegtes Äußeres ist wichtig in diesem Beruf“, betont Elsas, der Friedhofsaufseher des Hauptfriedhofs in Steinhaldenfeld. Vor der schweren Saaltür sammeln sich die Sargträger kurz, dann geht es los: Zum Ende der Trauerfeier schreiten sie würdevoll durch die Feierhalle, stellen sich – zwei links, zwei rechts – neben den blumengeschmückten Eichensarg und schieben diesen auf einem Rollwagen langsam ins Freie. Elsas geht voran, es folgen gleichmäßigen Schrittes die Sargträger. Die Trauergemeinde schließt sich wortlos in langer Reihe an. Ihr Weg führt eine Baumallee entlang zur letzten Ruhestätte eines Mannes, der nach einem erfüllten Leben im Alter von 79 Jahren verstorben ist.

Elsas’ Team hat schon vor zwei Tagen das Grab für die Erdbestattung ausgehoben. Es ist zwei mal ein Meter groß und 2,40 Meter tief – da fallen sechs Tonnen Erde an, die früher in mühsamer Handarbeit kopfüber nach oben befördert werden mussten. „Das macht man heute kaum noch mit der Schaufel, sondern überwiegend mit dem Bagger“, ist Elsas froh darüber, dass die Arbeit körperlich nicht mehr ganz so schwer ist. Der Ausdruck „Totengräber“ sei trotzdem noch immer gebräuchlich, erklärt er. Zwei Särge dürfen in einem Doppelgrab übereinander ruhen – der zweite in 1,80 Meter Tiefe.

Am offenen Grab werden vom Trauerredner noch ein paar letzte, tröstende Worte gesprochen. Dann gibt Elsas mit einem kaum merklichen Nicken das Signal an seine Kollegen. Sie verneigen sich erst, dann lassen sie den Sarg des Mannes mit geübten, ruhigen Handgriffen an Seilen in die Erde gleiten. Dabei verziehen sie keine Miene – ein Zeichen der Ehrerbietung dem Toten gegenüber. Sie selbst würden bei Beerdigungen keine Trauer empfinden. „Das ist irgendwann Routine“, räumt Elsas ein. Aber es gebe eine Ausnahme: „Wenn ein Kind gestorben ist, das geht einem wirklich nahe.“ Und er erzählt, dass trotz aller Vorsicht, aller Routine und aller Anstrengungen auch mal etwas nicht perfekt gelinge. Einmal sei eine Tragestange gebrochen, der Sarg dadurch auf die Wiese gerutscht. „Das war das Schlimmste, was passieren konnte“, erinnert sich Elsas nach Jahren noch peinlich berührt. Die Angehörigen hätten aber sehr verständnisvoll reagiert.

Der Arbeitstag für die zwölf Männer des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes auf dem Stuttgarter Hauptfriedhof beginnt um 7 Uhr. Immer mit dem gleichen Ritual: Elsas teilt ein, wer ein Grab öffnet, wer einen Sarg trägt, wer andere Aufgaben übernimmt. „Jeder Tag ist eine Überraschung“, sagt Elsas, der seit mehr als 20 Jahren auf dem Steinhaldenfriedhof arbeitet, mit einem Schmunzeln. Er ist ein fröhlicher Mensch, hat ein entspanntes Verhältnis zum Tod. Denn: „Sterben gehört zum Leben dazu.“

Die Zahl der Beerdigungen variiere, mal gebe es im Stundentakt bis zu sechs an einem Tag, mal keine einzige. Der Tod lasse sich eben nicht planen. Um die 400 Erdbestattungen und etwa 600 Urnenbeisetzungen betreuen Elsas und sein Team im Schnitt pro Jahr im gesamten Betrieb Hauptfriedhof – dazu gehören auch die Friedhöfe in Hofen, Münster, Mühlhausen, Obertürkheim, Untertürkheim, Rotenberg, Uhlbach, Wangen, Hedelfingen und Rohracker sowie der Steigfriedhof und der Uffkirchhof. Der Steinhaldenfriedhof ist mit seinen rund 15 400 Grabstellen auf einer Fläche von 29,6 Hektar der zweitgrößte Gottesacker in Stuttgart. Hier gibt es Platz für mehr als 9300 Erd- und 4600 Urnengräber, zudem ein armenisches und ein muslimisches Gräberfeld. Zeitlich kann es für Elsas’ Mitarbeiter schon mal eng werden. Nicht nur, weil sie für mehrere Friedhöfe zuständig sind. „Wir brauchen einen gewissen betrieblichen Vorlauf“, erklärt der Friedhofsaufseher. Die Beerdigungstermine vergeben zwei Mitarbeiterinnen der Betriebsverwaltung Hauptfriedhof. Die Beerdigung selbst organisieren die bestellten Bestattungsunternehmen, für die Pflege der Gräber sind die von den Angehörigen beauftragten Gärtnereien zuständig.

Im Hof der Friedhofsverwaltung fährt ein Bestatter vor. Ein Sarg wird ausgeladen und zunächst in eine der zehn sogenannten Leichenzellen im Hauptgebäude gebracht. Dort wird der Verstorbene später aufgebahrt, damit die Angehörigen am offenen Sarg Abschied von ihm nehmen können. Kurz vor der Trauerfeier schließen die Sargträger den Deckel in dem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Zellengang nach strenger Vorschrift. Der Anblick eines Toten schreckt niemand von ihnen mehr. „Wenn Menschen gestorben sind, die ihr Leben gelebt haben, ist das in Ordnung“, meint Elsas. An der Trauerzeremonie mit nunmehr verschlossenem Sarg nehmen die Friedhofsmitarbeiter nicht teil – sie sitzen währenddessen in ihrem Aufenthaltsraum und warten, bis der Pfarrer oder Trauerredner das vereinbarte Signal zum letzten Geleit gibt. „Da wird ganz unauffällig ein Knopf gedrückt und das rote Lämpchen geht bei uns an.“

Doch klassische Erdbestattungen werden seltener. „Der Trend geht eindeutig zum Urnengrab“, stellt Elsas einen Wandel der Bestattungskultur hin zu alternativen Grabformen fest. Vor allem die Rasen-, Baum- und Gemeinschaftsgräber seien gefragt. Vielleicht, weil sie für die Angehörigen preiswerter und pflegeleichter seien. Für die Friedhofsmitarbeiter bedeuten sie einen geringeren Aufwand. Es wird auch weniger Personal benötigt: Nur der Aufseher trägt die Urne zur letzten Ruhestätte und senkt sie an einem Band oder mit Hilfe einer Beisetzungszange ins Grab. Wenn die Angehörigen längst auf dem Heimweg sind, wird es zugeschaufelt.

Vieles hat Elsas in seinem langen Berufsleben schon auf dem Steighaldenfriedhof erlebt. Kennt Besucher, die so regelmäßig kommen, dass man die Uhr nach ihnen stellen könnte. Manche wollen ein wenig mit ihm reden, andere sich bei ihm beschweren. Wer auf einem Friedhof arbeitet, braucht Takt- und Fingerspitzengefühl. „Das Allerwichtigste an diesem Job ist, dass alles in Ruhe und Würde vonstattengeht“, betont Michael Elsas.