Am Ergometer im Wohnzimmer kämpft Florian Roller von der Stuttgarter Rudergesellschaft um den Titel.
Untertürkheim - Weltmeisterschaften sind für Florian Roller prinzipiell nichts Besonderes mehr. Mehrfach nahm er schon daran teil. Die Ausbeute des Athleten von der Stuttgarter Rudergesellschaft aus Untertürkheim kann sich sehen lassen: Titelgewinn 2015, 2016 und 2018. Am 23. Februar versucht er es aufs Neue beim weltüberspannenden Kräftemessen. Die Neuauflage ist dieses Mal aber durchaus was ganz Besonderes. Der 28-Jährige, der „Automotive Systems Engineering“ an der HTWG Konstanz studiert und derzeit seine Masterarbeit schreibt, nimmt erstmals an der sogenannten Rowing Indoor Weltmeisterschaft teil. Das bedeutet: WM am Ruder-Ergometer im Warmen in der Klasse „Lightweight Men 2000m“. Dabei sind Ruderer startberechtigt, die nicht mehr als 75 Kilogramm auf die Waage bringen.
Üblicherweise gibt es für die Ergo-WM einen Austragungsort, zu Pandemiezeiten findet diese virtuell und „in den eigenen vier Wänden statt“, sagt Roller, was für ihn gleichbedeutend mit einer Eineinhalb-Zimmerwohnung in Konstanz ist. 2000 Meter muss das Leichtgewicht an dem Zuggerät zurücklegen. Qualifiziert für die „Heim-WM“ hat er sich mit der persönlichen Bestzeit von 6:07,90 Minuten.
Sein Ergometer befindet sich im Wohnzimmer. „Ich habe meinen Wettkampf per Video aufgezeichnet und an den Ruderweltverband FISA weitergeleitet.“ Damit die Angaben darüber hinaus glaubhaft erscheinen, wird der Computer am Ergometer ausgelesen und „über einen Verifizierungs-Code an den Ausrichter weitergeleitet“. Während es für die Qualifikation eine Zeitspanne gab, findet das Finale an einem festen Termin, 23. Februar, und praktisch Mann gegen Mann statt. „20 Athleten haben sich qualifiziert und via Web-Cam beziehungsweise Livestream kann man verfolgen, was die Konkurrenz macht, wie gut man im Rennen liegt.“ Und der in Markgröningen aufgewachsene Roller will nicht nur gut im Rennen liegen, sondern dieses auch machen. „Mein Ziel ist der Titel. Aufgrund meiner Quali-Zeit nicht utopisch.“ Als hartnäckigste Konkurrenten hat er den Algerier Boudina Sid Ali und den amtierenden Weltmeister im Leichtgewichts-Einer, Martino Goretti (Italien), ausgemacht. „Die gilt es, in Schach zu halten, was aber möglich sein sollte.“ Dafür will er seine Bestmarke erneut steigern. „Unter 6:07 Minuten habe ich mir vorgenommen.“ Während der rund sechs Minuten befindet sich sein Puls dauerhaft zwischen „150 und 160“.
Der Ergometer gehört zum Inventar der Ruderer – vor allem im Winter – und dient zur Überprüfung der Leistung, bevor es im Frühjahr wieder verstärkt aufs Wasser geht. Zum Trainieren der Ausdauer und Kraft gebe es kaum was Besseres, so Roller. Die Kehrseite der Medaille: Das Gerät sei unheimlich zermürbend. „Man braucht keine Technik, zieht nur unentwegt mit stumpfer Gewalt an der Kette.“ Das mache 30 Minuten lang noch einigermaßen Spaß, darüber hinaus sei es aber nur stupide. Das weiß der Student bestens, regelmäßig vor der WM hängt er 90 bis 100 Minuten am Seil. Kaum erträglich, wäre da nicht die Möglichkeit, im Wohnzimmer den Ergometer vor dem Fernseher zu positionieren. Mit diversen Filmen packe er das Pensum. Wobei, viel Niveau dürften die Streifen nicht haben. „Actionfilme eignen sich bestens. Viel muss passieren, ohne dass man groß nachdenken muss.“ Hoch im Kurs stünden deshalb alle Folgen von „The Fast and the Furious“.
Die virtuelle „Heim-WM“ wird Rollers erster Wettkampf seit langem sein. Keinen einzigen Wettbewerb hat er in der Sommersaison bestritten. Er hofft, dass sich dies in der kommenden Saison ändern wird. So peilt er die WM in Shanghai Ende Oktober an. „Mein Ziel ist, im Einer an den Start zu gehen.“ Olympia in Tokio ist für den Markgröninger – wenn überhaupt – „nur als Ersatzmann“ ein Thema. Anders sehe das für Paris 2024 aus. Er könne sich vorstellen, bis dorthin noch weiter zu rudern, sagt der 28-Jährige.
Und dies vielleicht dann mindestens als vierfacher Weltmeister – einmal davon im Ergometer-Rudern.