M. Culbuto geht in die Horizontale. Foto: Lichtgut/Zophia Ewska

Bis zum 23. Juli will das Straßentheater-Festival „Die animierte Stadt“ für Überraschung und Inspiration im Alltag sorgen. Die lebende Spielfigur M. Culbuto, bei der eine schwere Eisenkugel die Beine ersetzt, ist jetzt auf der Königstraße aufgetreten.

Ein neuer Mitstreiter beteiligt sich an diesem Nachmittag am Aufmerksamkeitswettbewerb im Zentrum Stuttgarts: Während der Seifenblasenmann den Schlossplatz mit Tensiden benetzt und bei der „Montagsdemo Stuttgart“ einer der 20 Teilnehmer vom „Aufstehen“ singt, karrt ein Helfer einen seltsam anmutenden Mann auf einem Wägelchen in die Mitte der Königstraße. Er nennt sich M. Culbuto, trägt einen mächtigen Schnauzbart, eine alte Fliegermütze und einen ausladenden Mantel, der das Metallgestell verhüllt, in dem er steckt. Das untere Ende des Gestells ist mit einer schweren Eisenkugel verschweißt, in der sich außer den versteckten Beinen des Performancekünstlers auch diverse Gewichte befinden, mit denen M. Culbuto erstaunliche Reaktionen auf banale Handschläge zustande zu bringen vermag. Die Nummer von M. Culbuto, der in Wirklichkeit Pierre Pelissier heißt, ist simpel: Er streckt seine Hand aus, ein Passant schlägt ein, daraufhin kippt der Künstler zunächst in die Horizontale, dann wippt er und kullert schließlich scheinbar hilflos herum.

Das Problem von M. Culbutos Straßenperformance in Stuttgart besteht darin, dass kaum jemand Lust hat, ihm die Hand zu geben, geschweige denn, sie zu schütteln. Die meisten Passanten auf dem Schlossplatz gehen einfach vorbei, manche zücken auch ihr Handy und filmen, das, was meistens nicht geschieht, aber mitunter eben schon: Ein kleiner Junge traut sich einzuschlagen und freut sich erkennbar über seine unerwartete Wirksamkeit. Ein kleines Mädchen lacht. Eine junge Frau mit Kinderwagen nimmt Reißaus. Im Frühling habe M. Culbuto seine Performance schon einmal auf dem Mailänder Platz absolviert, sagt einer aus dem beigleitenden Team des Theaters Fitz, das an seinen gelben Warnwesten erkennbar ist. Dort seien die Passanten viel „spiellustiger“ gewesen.

Er vermutet, die Schwaben fürchten um ihr Geld

Das Fitz hat aus Anlass seines 40-jährigen Bestehens M. Culbuto und rund 20 weitere Straßenkünstler eingeladen, den Stuttgarter Alltag mit „Walk-Acts und szenischen Interventionen, Figurentheater, Musikperformances“ zu bereichern. „Die animierteStadt #2“ nennt sich das entsprechende Straßentheater-Festival, das noch bis zum 23. Juli für Überraschung und Inspiration in der Stadt sorgen soll. Die Schwaben würden ihn wahrscheinlich nicht als Teil eines Festivals wahrnehmen, „sondern sie denken, ich will ihr Geld“, wird Pierre Pelissier sagen, als er sich nach einer knappen Dreiviertelstunde zwischen einem Reisebüro und einer Bank aus dem Metallgestell des M. Culbuto schälen wird.

Aber so weit ist es noch nicht. Zunächst nimmt der Seifenblasenmann auf dem Schlossplatz seine eigene Pause zum Anlass, M. Culbuto so kräftig die Hand zu schütteln, dass der Assistent des Franzosen einschreiten muss. „Es ist höchste Zeit, in allen Bereichen in den Widerstand zu gehen“, sagt unterdessen ein Redner der „Montagsdemo Stuttgart“, während M. Culbutos Trick eben darin besteht, den alltäglichen Widerstand von Beinen und Füßen per Eisenkugel außer Kraft zu setzen: Eine Dame erwidert den verzweifelten Augenappell des immer wieder zu Minuten langer Untätigkeit verdammten Künstlers. Sie überlegt, dann bringt sie den Mut auf, in M. Culbutos ausgestreckte Hand einzuschlagen. Diesmal reagiert der Künstler so überschwänglich, dass sein Gesicht den Schlossplatz berührt.

Ein Spielzeug sucht Spaß

Alle paar Minuten karrt der Assistent den scheinbar beinlosen aber dafür eben schwer bekugelten Künstler ein paar Meter die Königstraße hoch und wieder herunter: Ein junger Mann im Café am Königsbau, der engagiert versucht, seiner Begleiterin etwas zu erklären – seine Gefühle womöglich – kann seine Genervtheit ob der unerwarteten Ablenkung kaum verbergen. Ein Rentnerpaar im Café des Kunstmuseums hingegen fühlt sich von der Anwesenheit des Künstlers offenbar hinreichend amüsiert, zückt die Handys und filmt ein Video. Und immer wieder erbarmt sich ein mutiges Kind, M. Culbuto in Aktion zu versetzen. Er sei „ein lebendes Spielzeug, das verzweifelt auf den Spaß wartet, den man mit ihm haben kann“, ist auf der Website des Theaters Fitz vermerkt. Und Pierre Pelissier, der seit 25 Jahre als M. Culbuto um die Welt reist und in Stuttgart einen Zwischenstopp auf dem Weg zum Tollwood-Festival in München einlegt, vermutet nach seinem Auftritt, dass die Stuttgarter wohl „ein wenig schüchtern“ seien. An diesem Dienstag um 17 und um 19 Uhr versucht er erneut sein Glück und sucht das seiner Beobachter.