Wird es wieder so schön? Foto: imago/Future Image/Ben Kriemann

Vorfreude und Begeisterung auf die Heim-EM sind bislang nur in Spurenelementen erkennbar. Aber vor der WM in Deutschland war das einst nicht viel anders. Ein Rückblick und Ausblick.

In wenigen Wochen wird die Umgebung ganz anders aussehen. Bunter, farbenfroher. Wenn der Frühling den Frankfurter Stadtwald ereilt, die Tage länger und wärmer werden, dann liegt die zentrale Organisationseinheit für die Fußball-Europameisterschaft 2024 im zweigeschossigen Anbau der früheren DFB-Zentrale in der Otto-Fleck-Schneise mitten in einer grünen Wohlfühloase. So ähnlich soll es mit der von hier gesteuerten Endrunde (14. Juni bis 14. Juli) werden, um das der graue Schleier nicht weichen will. Begeisterung und Vorfreude sind allenfalls in Spurenelementen zu erkennen.

Kurios: Die Außensicht ist offenbar eine andere, wie Markus Stenger, Geschäftsführer der EURO 2024 GmbH, kürzlich anmerkte: „Das Ausland hat viel Lust. Da verspüren wir eine wahnsinnige Vorfreude – teilweise stärker als im Inland.“ Dennoch sorgt sich Stenger. Die Sicherheit sei „mit Blick auf die geopolitische Weltlage eine herausfordernde Geschichte“. Es sei noch jede Menge zu tun.

Sicherheit und Menschenrechte

Diesbezüglich hat Innenministerin Nancy Faeser bei einem gemeinsamen Termin 100 Tage vor EM-Start mit den Organisatoren versucht, die Bedenken zu zerstreuen. „Natürlich hat die Sicherheit des Turniers und der Gäste und Fans für mich oberste Priorität. Wir sind gut vorbereitet.“ Alle Kräfte der Sicherheitsbehörden würden in Neuss in einem Lagezentrum gebündelt. Dann schwenkte die auch für den Sport zuständige SPD-Politikerin wieder zu ihren Lieblingsthemen über: Erstmals hätte die UEFA eine Menschenrechtserklärung unterzeichnet, erstmals werde es einen Klimafonds geben, Nachhaltigkeit werde eine zentrale Rolle spielen. Dazu wolle man zeigen, „dass Sport für Respekt und Miteinander steht – und gegen jede Ausgrenzung, gegen Rassismus und Antisemitismus“. Dafür steht das Motto „United by Football – Vereint im Herzen Europas“. Faeser möchte erkennbar einen anderen Schwerpunkt als die WM 2022 in Katar setzen, wo allerdings die Organisation perfekt lief.

Für Deutschland und die EM 2024 stellt sich die Frage, wie ein Sommermärchen 2.0 zustande kommen soll. Kann eine solche Leichtigkeit überhaupt noch erzeugt werden? Beruhigen könnte, dass es vor der WM 2006 zum vergleichbaren Zeitpunkt kaum besser war. Die Stiftung Warentest sorgte damals im Vorlauf für hellen Aufruhr, weil die von viel Steuergeld gebauten neuen Arenen angeblich „teilweise beträchtliche Sicherheitslücken“ aufwiesen. Das Organisationskomitee um Franz Beckenbauer war hochgradig irritiert, dass zu kurze Trittstufen „verheerende Folgen“ haben können. Gestolpert ist später aber niemand.

Man nörgelte schon damals gerne: über zu viele Karten für VIPs und Sponsoren und natürlich über eine Nationalmannschaft, die sich mit einem 1:4 gegen Italien in Florenz eine Klatsche abgeholt hatte, die nach Konsequenzen schrie. Uli Hoeneß mokierte sich im März 2006 darüber, dass Jürgen Klinsmann als Verantwortlicher schnell wieder nach Kalifornien düste, anstatt in Deutschland zum Rapport anzutreten. Zu allem Überfluss erlebten bald darauf Werder Bremen und Bayern München als wichtigste Zulieferer der DFB-Auswahl zwei desillusionierende Nächte in Turin und Mailand, auf die das Aus in der Champions League folgte. Die Bundesliga schien nicht mehr konkurrenzfähig. Aber all das war kein Thema mehr, als mit dem Eröffnungsspiel am 9. Juni 2006 in München der Verteidiger Philipp Lahm trotz eines kaputten Arms den Ball gegen Costa Rica in den Winkel jagte. Ab diesem Tag schien in ganz Deutschland die Sonne. Und die Welt war wirklich zu Gast bei Freunden.

Heute ist der WM-Kunstschütze der EM-Turnierdirektor. „Bei der WM 2006 habe ich selbst erfahren, wie sehr ein Turnier im eigenen Land die Menschen begeistern kann. Deutschland hat sich als gastfreundliches, modernes Land und guter Organisator präsentiert“, sagt Lahm. Er sei sich sicher, „dass auch die EURO 2024 ein solches Ereignis“ werde. DFB-Chef Bernd Neuendorf gefällt es ebenfalls nicht, wenn „die Stimmung in den Keller geredet wird“.

Angespannte Weltlage

Er glaube auch nicht, dass „Fußball als Allheilmittel“ tauge, aber „Abwechslung, Zuversicht, Freude und Stolz“ solle das Turnier schon stiften. Es hätte nicht 150 000 Bewerbungen aus aller Welt auf die 16 000 Volunteerplätze gegeben, führte der frühere Politiker und Journalist aus, wenn keine Begeisterung herrschte. Gleichwohl merke er, wie die „multikrisenhafte Situation auf die Stimmung drückt“. Zu den ohnehin schwelenden gesellschaftspolitischen Kontroversen über Energieversorgung, Klimaschutz oder Zuwanderung geselle sich die angespannte Weltlage mit Ukrainekrieg und Nahostkonflikt. Davon könne der Fußball ablenken, vielleicht manches kitten – wenn auch bloß über einen Sommer.

Die EM-Organisatoren bedauern, dass die Bundesregierung in internen Abläufen oft auf der Bremse steht. So verzögerte sich der gesamte Akkreditierungsablauf, weil plötzlich die Länder noch Datenschutzbedenken anmeldeten. Auch wenn vergangene Woche am Rande einer Kabinettssitzung des Bundestags die offiziellen Spielbälle ausgelegt waren und sich die Minister es nicht nehmen ließen, bei dem PR-Termin „100 Tage bis zum Heimspiel in Europa“ Bälle durch die Luft zu kicken, sei es nicht so, dass die Bundesregierung eine Vision für das Turnier entwickelt hat. Moniert wird etwa, dass die marode Infrastruktur anlässlich dieses Events nicht mit Nachdruck aufgebessert wird. „Man hätte mehr aus dem Turnier machen können“, kritisierte Stenger auf dem Sportbusinesskongress Spobis in Hamburg.

Team als Wundertüte

Aus seiner Sicht hapert es bei der Mobilität – nicht bloß, weil Flug- und Bahnverkehr hierzulande gefühlt so unzuverlässig sind wie nie zuvor. Auch die Großbaustellen auf vielen Autobahnen werden nicht rechtzeitig beseitigt sein. Das Innenministerium rechnet mit 2,7 Millionen Fans in den Stadien und bis zu zwölf Millionen in den Fanzonen. Nicht nur aus den Nachbarländern Niederlande, Dänemark oder Österreich, sondern auch aus Kroatien, Albanien, der Slowakei oder Schottland kündigen sich Besucher in Rekordzahlen an. Ausrichterstädte könnten einen Ansturm erleben, der die Kapazitäten sprengt. Wird sich am Ende trotzdem alles zu einer fröhlichen Einheit fügen?

Adidas-Chef Björn Gulden erwartet nicht weniger als „ein Volksfest wie 2006, vielleicht sogar besser“. Der Konzernboss, auf dessen Homeground in Herzogenaurach die deutsche Nationalmannschaft während des Turniers logiert, erinnert an die „bombastische Stimmung“ jüngst bei der Handball-WM. Warum soll diese nicht auch die Fußball-EM prägen? Auf den Halbfinaleinzug der DFB-Auswahl will der Norweger übrigens „eine Flasche Wein“ wetten.

Nüchtern betrachtet ist das deutsche Team in den nächsten Testspielen gegen Frankreich in Lyon (23. März) und gegen die Niederlande in Frankfurt (26. März) eine Art Wundertüte. Schwer zu sagen, was in ihr steckt. Gleichwohl hat Sportdirektor und Volkstribun Rudi Völler vorsorglich seinen Bundestrainer bejubelt: „Julian Nagelsmann wird mit der Mannschaft auf dem Platz die richtige Mischung zwischen fußballerischer Eleganz sowie Kampfgeist und Wille finden.“ Hörte sich so an, als werde alles in wenigen Wochen schon irgendwie freudig bunt strahlen.