Die Brutkästen im Taubenschlag am Marienplatz. Foto: Julia Bischoff (z) - Julia Bischoff (z)

Der Tausch der Eier ist aus Sicht der Tierschützer der einzige humane Weg zur Kontrolle der Population.

Wangen Eine Taube landet vor der Kelter in Wangen, nähert sich heruntergefallenen Essensresten und pickt hektisch daran. Aus gutem Grund: Lange genießen kann sie die Mahlzeit nicht. Ein Familienvater stürmt bereits mit einem Kinderwagen auf sie zu und scheucht den Vogel – gemeinsam mit der Tochter – durch die Ulmer Straße.

Kein Einzelfall, so Julia Bischoff, Teamleiterin und Koordinatorin des Stadttaubenprojekts Stuttgart. Die Abneigung gegen die Tiere, die abfällig auch als „Ratten der Lüfte“ bezeichnet werden, sei groß. Sie habe schon Projektile, die mit einem Luftgewehr abgefeuert wurden, in Flügeln entdeckt. Immer wieder würden Fußgänger die Vögel treten und ihnen dadurch schwere innere Verletzungen zufügen. „Sie sterben dann oftmals qualvoll.“ Ebenso sei das Auslegen von Giftködern nicht zu empfehlen. „Sie sind auch für andere Tiere eine Gefahr. Außerdem sterben die Tauben nicht an Ort und Stelle. Kadaver finden sich dann auch auf Grünflächen oder Spielplätzen.“ Das Verschließen von Nestern, also die Tiere quasi lebendig zu begraben, oder das Dampfstrahlen von Bereichen, in denen Tauben brüten, sei ebenso eine „Megasauerei“ und verstoße gegen das Tierschutzgesetz.

Über 32 500 Eier ausgetauscht

Man könne zu Tauben stehen, wie man will, so etwas müsse in der heutigen, als zivilisiert geltenden Gesellschaft aber nicht sein. „Wir haben alle das gleiche Ziel, weniger Tauben in Stuttgart. Die einzige humane und gesetzeskonforme Art, die Population zu kontrollieren, ist die Eier auszutauschen.“ Mehr als 32 500 Stück habe man seit 2008 – dem Projektbeginn – durch Attrappen ersetzt. Zunächst wurde nur mit einigen wenigen Taubenschlägen gearbeitet, mittlerweile habe man elf im Stadtgebiet aufgestellt.

Hier kommt Daniel Gunzenhäußer ins Spiel. Er ist Schreiner, engagiert sich seit Jahrzehnten im Tierschutzverein Stuttgart und baut für das Projekt die Taubenhäuser auf. „Es ist kein Hexenwerk. Sie ähneln grundsätzlich Gartenhäusern“, sagt der 41-Jährige. „Beim Innenausbau orientieren wir uns an den Richtlinien von Taubenzüchtern.“ Beispielsweise bei der Größe der Brutschränke. Eine Vorgabe sei, möglichst artgerechte Boxen zu errichten. „Wobei das Definitionssache ist. In Städten brüten sie an den merkwürdigsten Stellen.“ Darüber hinaus setze man auf wasserfestes Material und versiegelte Flächen. Zum Einsatz kommen in erster Linie Siebdruckplatten. Alles müsse möglichst pflegeleicht sein, um bis zu fünf Mal in der Woche gut durchputzen zu können. Darüber hinaus benötige man einen Sozialbereich, in dem Wasser und Futter stehen, und eine kleine Voliere, in der kranke oder verletzte Tiere ihre Ruhe haben. Außerdem gibt es einen Raum, in dem sich die angestellten und ehrenamtlichen Taubenwarte umziehen können.

Beim Bau der Taubenhäuser müsse zudem berücksichtigt werden, aus welcher Richtung die Vögel anfliegen. „Wir beobachten, wo sie beheimatet sind“, so Gunzenhäußer. Dementsprechend würden die Öffnungen platziert. Flache Bretter, die unterhalb der Ein- beziehungsweise Ausgänge angebracht werden, sollen den Tieren das Landen erleichtern. Maßnahmen, damit sie sich möglichst wohlfühlen. „Wir machen das nicht nur aus Liebe zu den Tauben“, stellt Bischoff klar. Ihre Ausbreitung sei ein von Menschen gemachtes Problem, dementsprechend müsse man sich auch darum kümmern. Schließlich handele es sich um ein verwildertes Haustier, dem „eine wahnsinnige Brutaktivität“ angezüchtet wurde.

Um diese „Lawine“ zu stoppen, unterstützt die Stadt das Projekt. Sie trägt unter anderem die Kosten für den Bau der Taubenhäuser. Derzeit wird eines am Bahnhof in Zuffenhausen errichtet. Dort leben rund 200 Tauben, brüten wild und vermehren sich in der Haltestellen-Überdachung prächtig. „Hoffentlich finden sich möglichst viele der Zuffenhausener Bahnhofstauben im Schlag ein“, sagt Bischoff, die sich insgesamt für deutlich mehr Taubenschläge im Stadtgebiet ausspricht.

Unter anderem in der Wangener Ulmer Straße. Dort hat es bereits erste Gespräche gegeben. Denkbar ist ein Schlag im Dachstock der Kelter. In der Landhausstraße und am Marienplatz habe man in vergleichbaren Räumen sehr gute Erfahrungen gemacht. „Der Ausbau ist allerdings komplexer als in einem Taubenhaus“, sagt Gunzenhäußer. „Zumal wir das ganze Material hochschleppen müssen.“

Aus Sicht von Julia Bischoff wird auch in Bad Cannstatt ein Taubenhaus dringend benötigt. „Der Taubenturm am Seilerwasen, der im Sommer 2018 eingeweiht wurde, ist viel zu wenig für den Stadtbezirk.“ Der Schlag auf dem Parkhaus Mühlgrün wurde im vergangenen März abgebaut, viele Tauben sind jedoch nicht mit umgezogen. „Die Tiere sind sehr standorttreu und Bad Cannstatt beheimatet um ein Vielfaches mehr Tauben als in den Turm passen.“ Grundsätzlich werde ein Schlag immer dort benötigt, wo viele Tauben sind: am Rotebühlplatz, Schlossplatz, Hauptbahnhof, am Cannstatter Bahnhof oder am Carré. „Natürlich merkt man die positiven Auswirkungen eines Taubenhauses nur dort, wo auch eines ist. An den genannten Orten sind keine, sie wären aber nötig.“

„Die Geburtenkontrolle ist der einzig richtige Weg zu einem friedlichen Miteinander von Mensch und Tier“, sagt Silvie Brucklacher-Gunzenhäußer, die das Stadttaubenprojekt in Stuttgart ins Leben gerufen hat. Vorbild war das Augsburger Modell, das mittlerweile in vielen deutschen Städten angewandt wird. „Die Befürchtung, dass Tauben eine Gesundheitsgefährdung für Menschen darstellen könnten, ist leider weit verbreitet. Alle seriösen Untersuchen haben aber gezeigt, dass sie mit anderen Haustieren vergleichbar sind.“ Bereits 1989 erklärte der damalige Präsident des Gesundheitsamtes, dass eine gesundheitliche Gefährdung durch Tauben nicht größer sei, als durch andere Nutz- und Liebhabertiere. „Die Friedensvögel sollten alle wieder in betreute Taubenschläge zurückgeholt werden. Dann wäre auch ihr Image besser und die verwilderten Haustiere hätten endlich wieder ein Zuhause. Und es kehrt Ruhe ein, zwischen Mensch und Tier.“