Tiepolos um 1752 entstandenes Gemälde „Rinaldo verlässt Armida“ greift ein Sujet aus Torquato Tassos Epos Foto: Bayerisch - Bayerisch e Schlösserverwaltung

Die Staatsgalerie Stuttgart setzt in diesem Herbst auf großes Kunstkino. Mit der Schau „Tiepolo – Der beste Maler Venedigs“ beansprucht man internationale Aufmerksamkeit.

StuttgartKameras sind aufgebaut, immer wieder werden mobile Leuchten verschoben. Gleich mehrere Fernsehteams sind bei der offiziellen Vorbesichtigung der neuen Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart vor Ort. Schon der Titel ist ein Versprechen: „Tiepolo – Der beste Maler Venedigs“. Der Titel aber ist auch ein Spiel mit den Ebenen. Gerne natürlich zitiert man für die von Annette Hojer (Assistenz: Cäcilia Henrichs) erarbeitete Schau mit hochkarätigen internationalen Leihgaben die bewundernden Worte von Tiepolos Zeitgenossen. Doch bereits zum Auftakt unterläuft Hojer die bloße Huldigung: Star im ersten Raum ist eine Zeichnung, ein männlicher Halbakt. 1715 entstanden, brilliert Tiepolo hier nicht nur mit seiner Technik, in der er Rötel und weiße Kreide weit ins Malerische treibt. Der 1696 in Venedig Geborene gibt seiner Figur zugleich ein ganz eigenes Wesen mit, nimmt das Ungezähmte im Gesichtsausdruck in der Gestaltung der linken, den rechten Knöchel umfassenden Hand wieder auf. Eine Ansicht wie eine vielfach in sich verschachtelte Erzählung, die präzise den eigentlichen Grundton Tiepolos spiegelt: Der Zeichner und Maler setzt der barocken Burleske eine feine Zärtlichkeit entgegen, die zuletzt auch die Groteske nicht scheut.

Die Rötelzeichnung im prominent bestückten Auftaktraum markiert zudem einen klaren Anspruch: Die Staatsgalerie zeigt hier nicht nur ihre eigenen Tiepolo-Gemälde – und schon gar nicht ihre wunderbaren Zeichnungen und Radierungen – als Beiwerk. Nein, das Publikum erlebt ein aufrüttelndes, das Auge forderndes Wogen zwischen unverblümter Direktheit, eigenwillig kühnen Farbraumkompositionen (wie etwa in „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“), die sich gewagt über die vordergründig erzählte biblische Geschichte erheben, und analytischer Schärfe.

Das Brausen einer neuen Zeit wird in dieser Kunst unmittelbar spürbar – da hätte es das Konzept eines zeitgenössischen Echos kaum gebraucht. Eigenwillig vereinsamt und zugleich unnötig erhaben wirken die Arbeiten des Foto- und Videokünstlers Christoph Brech im doch eigentlich trefflichen Tiepolo-Wogen.

Auch akustisch rückt die Schau Tiepolo zu Leibe – und erneut stellt sich alsbald die Frage, ob hier nicht eine Verwechslung vorliegt. Das real Experimentelle in Tiepolos Bildwelten durch experimentell Gemeintes zu erweitern – das muss nicht zu vertiefenden Eindrücken führen.

Umso weniger, als man sich nur zu gerne von der Dynamik des Bilderreigens gefangen nehmen lässt. Im Anlauf auf die Arbeiten für die Würzburger Residenz gerät man in zynische Abgründe, staunt man über Fratzen, die sich der gepuderten Perückenrealität kühn entgegenstellen. Und kaum beruhigt sich in den biblischen Auftragsszenen die Lage etwas, tritt in der Schlusssequenz der Virtuose der Farbe auf.

Und was ist mit dem Hauptmotiv der Ausstellung, der Szenerie „Der heilige Jakobus der Ältere“? Ein gewaltiges Stück Malerei ist da aus Budapest nach Stuttgart gereist. 1750 malte es Tiepolo für die spanische Botschaft in London. Aus dem sanftmütigen Jünger Jesu ist hier längst der verklärte Bannerträger des spanischen Machtanspruchs geworden. Tiepolo war der Auftrag ganz offensichtlich mehr als eine Nummer zu einfach gestrickt. Wohl inszeniert er Jakobus, auf dessen vermeintlichen Spuren auch und gerade heute Millionen pilgern, hoch zu Pferde als stolzen Heerführer (vor allem gegen die Mauren), zugleich aber zieht der Maler alle Schleier von seiner Komposition. Da ist nichts außer eigentümlich unterkühlter Malerei.

Künstlerisch weitaus brisanter sind zwei andere Hauptwerke im unbedingt sehenswerten Tiepolo-Panorama: „Raub der Europa“ (um 1720) und „Apoll und Daphne“ (um 1740). Überbordend fast geht es in der „Europa“-Interpretation zu – gerade so, als sei der Mythos von der Verwandlung des Zeus in einen Stier und die Entführung der Königstochter Europa schon um 1720 nurmehr in einem alles Göttliche abstreifenden Realismus darstellbar .

Ganz anders 20 Jahre später „Apoll und Daphne“ – Tiepolo zeigt Daphne als unerreichbare Schönheit, als selbstbewusste Frau zugleich, die Gott Apoll sanft lächelnd die kalte Schulter zeigt. Tiepolo sorgt hier filmreif für höchste Dramatik.

Damit erhält der Ausstellungstitel zuletzt noch eine dritte Ebene. Giovanni Batista Tiepolo ist hier nicht im barocken Überschwang zu erleben, und „Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“ kokettiert auch nicht mit der Schärfe der neuen Epoche der Aufklärung. Tiepolo wird hier vielmehr zu einem Wandelnden zwischen den Zeiten.

Während ihm die Bewunderung zeitlebens schon früh sicher war, macht diese sich über das gesamte Lebenswerk erstreckende Ausstellung umgekehrt deutlich, dass hier einer am Werk ist, der sich ständig an den eigenen Beobachtungen reibt. So klar Tiepolo in seiner Kunst in das beauftragte „So ist es!“ einstimmt – im Grunde, das macht diese Ausstellung deutlich, besteht die eigentliche Kunst des Giovanni Battista Tiepolo darin, die Frage in ein „Ist dies so?“ umzukehren.

Am 27. März 1770 stirbt Tiepolo in Madrid. Er hinterlässt ein gewaltiges Werk mit malerischen Spuren an den wichtigsten Höfen seiner Zeit. Ist er – in seiner Überschwänglichkeit ebenso wie in der Fähigkeit, analytisch und durchaus fast das eigene Schaffen sezierend, mit leichter Hand neue Wege zu gehen – immer Venezianer geblieben? Und ist nicht diese Haltung zugleich eine im besten Sinn tief europäische?

Auch diese Frage stellt diese Ausstellung – so leise, so selbstverständlich, so nachdrücklich, wie wir nun die Bildwelten des Giovanni Battista Tiepolo erleben können.

Ausstellung: „Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“ bis zum 2. Februar 2020 im Stirlingbau der Staatsgalerie. Zu sehen sind 130 Werke, darunter 25 Gemälde.

Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, Donnerstags bis 20 Uhr. Für angemeldete Gruppen dienstags bis sonntags zudem von 9 Uhr an sowie von 17 bis 19 Uhr.

Führungen beginnen donnerstags um 18.30 Uhr, sonntags um 14 Uhr. Am 17. Oktober, 19 Uhr, führt die Kuratorin Annette Hojer durch die Schau

Katalog: 29,90 Euro (Sandstein).