Nach Weihnachtsgeschenken im schicken Industrie-Flair stöbern lässt es sich an diesem Wochenende beim Holy Shit Shopping in der Phoenixhalle im Römerkastell. Foto: LICHTGUT/Zophia Ewska

Beim Design-Weihnachtsmarkt Holy Shit Shopping an diesem Wochenende ist alles etwas anders – DJ statt Jingle Bells, Industrial-Flair statt Hüttenzauber. Einzigartig sind auch die Stücke, die kleine Manufakturen anbieten: Von feinem Schmuck bis zum Sex-Toy aus Stuttgart.

Dass das Holy Shit Shopping ein Weihnachtsmarkt der anderen Art ist, macht schon die DJ klar, die hier elektronischen Pop auflegt. Zum zweitägigen Design-Markt im Industrial-Flair der Phoenixhalle an diesem Wochenende passt eine Live-Performance ohnehin besser als Glöckchengeklingel vom Band. Immerhin versprechen die Veranstalterinnen einzigartige und neue Kreationen, zeitgenössische Designs und Handarbeit von kleinen Manufakturen.

Einer der ersten Stände im Eingangsbereich löst das jedenfalls ein. Die Wenigsten dürften schon einmal gesehen haben, was Mansur Hakimi und Christian Santer aus München da unter dem Label KRAGÜ verkaufen: Gürtel aus alter Krawattenseide, handgeschneidert. Viele Krawatten sind gespendet, oft kommen sie noch aus dem Kleiderschrank des Opas – dementsprechend wild sind einige Muster.

Dass die Köpfe hinter KRAGÜ mit ihrem Upcycling-Prinzip nachhaltig mit Material umgehen, ist kein Zufall. „Ciao Lametta! Hallo Zukunft“ lautet das diesjährige Motto des Holy Shit Shoppings, das mehr sein soll als eine Absage an die lieb gewonnenen aber umweltschädlichen Glitzerfäden aus Kunststoff.

Klassisch oder wild gemustert – Mansur Hakimi und Christian Santer fertigen Gürtel aus alten Krawatten. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

Deshalb ist auch Carina Breisch hier, die Frau hinter dem Secondhand-Laden Kleiderei aus dem Stuttgarter Westen. Mit ihrem Konzept, Kleidung aus zweiter Hand nicht nur zu verkaufen, sondern auch zu verleihen, gehört sie zu den „Holy Talents“ auf dem Markt – jungen Talenten mit Ideen für eine bessere Zukunft, die keine Gebühren für ihren Standplatz zahlen müssen.

Viele kleine Labels aus Stuttgart sind unter den Ausstellern

„Statt als Schrankleiche zu enden, können Teile von meinen Kunden nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten wieder zurückgegeben werden“, sagt Breisch. In ihrem Laden setze sie auf besondere Stücke, die nicht jeder bereits im Schrank habe – auch teurere Designer-Teile und Fair Fashion Labels sind darunter.

„Lasst uns gemeinsam langsam konsumieren“ ist das Motto von Carina Breisch, die in der Kleiderei Stücke aus zweiter Hand verkauft und verleiht. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

Unter den rund 100 Ausstellern ist Breisch nicht die einzige Kreative aus der Region. Am Stand von Grafikdesigner Tobias Bauer stöbert Jennifer Engelhardt durch Poster, Postkarten, Puzzles, Taschen und Shirts mit Illustrationen aus den Stuttgarter Stadtteilen. Grafikdesign mit lokalpatriotischem Witz ist Bauers Nische. Auf seinen Postern ruft er auch schon mal den Bärensee zum Stuttgarter Nationalpark aus. „Ich finde es toll, wie er mit seinen Entwürfen Stuttgart eine Bühne gibt und zeigt, dass die Stadt mehr Motive hergibt als den Fernsehturm“, sagt Engelhardt.

Gemeinsam mit ihrem Mann Jochen Glöckler sucht sie nach besonderen Stücken, am liebsten von Stuttgarter Künstlern – zum Verschenken an Weihnachten, aber auch für sich selbst. „Den hier habe ich aus einem der Vorjahre“, sagt sie und zeigt einen filigranen Goldring am Finger.

Souvenirs von Stuttgartern für Stuttgarter: Die Arbeiten von Grafikdesigner Tobias Bauer. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

Auch sonst ist das Interesse der Stuttgarter groß an Alpaka-Wollpullis und gehäkeltem Schmuck, an Illustrationen starker Frauen und ganzblättrigem Tee, an papiernen Schneidebrettern und wollweichen Baby-Greiflingen, an regionalen Weinen und Schokolade im Glas, an fairem Strick, abstrakten Skulpturen, Stuttgarter Sex-Toys und allerhand weiteren Design-Stücken.

Das Alternative zu suchen ist inzwischen zum Mainstream geworden: 3500 Besucher waren es beim letzten Mal vor der Corona-Pause, insgesamt 25 000 Besucher erwarten die Veranstalterinnen in diesem Jahr auf ihren Märkten in Berlin, Hamburg und Stuttgart. Zwanzig Minuten nach Beginn stehen die Stuttgarter schon Schlange. Statt zu warten, kaufen sich einige Glühwein, Burritos und anderes Streetfood an den Trucks vor der Halle. Gefüllt sind auch bereits die schmalen Gänge in der Halle.

Selbst Klopapier mit einem Twist gibt es hier

Zum 16. Mal findet die „coole Mutter aller Designmärkte“, wie die Veranstalterinnen es nennen, in Stuttgart statt. Zum ersten Mal hier und auf der Suche nach Inspiration für Weihnachtsgeschenke ist Jonas Schöls. Andere Weihnachtsmärkte in Stuttgart besucht er nicht: „Mit Ausnahme von dem am Marienplatz sind das für mich Konsumveranstaltungen ohne besonderes Flair.“ Die Stuttgarterin Caro Reitter sieht das ähnlich: „Wir wichteln an Weihnachten zuhause, übermäßiger Konsum ist also nicht der Fokus. Dazu passt etwas Handgemachtes, etwas Besonderes.“

Dass so viel produktgepresste Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit auch ein Augenzwinkern haben können, beweist das mobile Toilettenpapier von Michael Broszius: „Viele finden es witzig und im zweiten Gedanken dann auch ziemlich sinnvoll.“

Das mobile Toilettenpapier für Denker von Michael Broszius hat auf der Rückseite des Einbandes einen Notizzettel. Foto: Zophia Ewska/Zophia Ewska

Denn wer unterwegs keinen Platz für unhandliche und plastikverpackte Klorollen hat, kann sich für wenige Euro eine Rolle dreilagiger und plastikfreier Flauschigkeit im praktischen Heft-Format einstecken. Da gibt es zum Beispiel die Weihnachtsedition. Ein anderer Einband ist mit einer Blume illustriert und aus Samenpapier. Eingepflanzt wächst daraus eine Kornblume.

Klopapier vom Designer – da bekommt der Veranstaltungsname Holy Shit Shopping noch eine neue Bedeutung.

Holy Shit Shopping

Öffnungszeiten
Das Holy Shit Shopping findet noch am morgigen Sonntag, 17.12.2023, von 12 bis 19 Uhr statt.

Eintritt
Tickets gibt es online auf der Webseite des Veranstalters und vor Ort. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Ermäßigte Tickets gibt es nur vor Ort für Schüler, Studierende, Rentner, Bürgergeld-Empfänger, ALGI+II-Empfänger. Kinder bis einschließlich 14 Jahre sind frei. Hunde dürfen nicht mit in die Halle.