Die Fertighaussiedlung im Fellbacher Westen – Anziehungspunkt für Menschen, die weiterhin sparen, um ihr Geld für den Kauf eines eigenen Hauses auszugeben Foto: Musterhaus Fellbach

Im Rahmen der IBA’27 in der Stadtregion Stuttgart debattieren Experten auf dem Fertighausgelände in Fellbach über Baukultur. Im Mittelpunkt steht dabei das anhaltende Interesse vieler Menschen an einem Eigenheim in der Peripherie der Großstädte.

Vor allem am Wochenende pilgern sie in den Fellbacher Westen: Aus Karlsruhe oder aus dem Hohenlohekreis reisen sie an und schlendern durch die riesige, 40 000 Quadratmeter umfassende Musterhaussiedlung an der Höhenstraße – für die Realisierung ihres Traums vom Einfamilienhaus.

Doch Träume können scheitern – etwa, weil die Finanzierung dieser teuren Immobilie nicht zu stemmen ist. Oder aber, weil die umweltpolitische Debatte immer mehr an Fahrt gewinnt. Ganz aktuell gibt es etwa den Disput zwischen der Klimaaktivistin Luisa Neubauer („Fridays for Future“) und dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der ihr vorhält, sie kämpfe gegen das, „was das Leben der meisten Menschen lebenswert macht oder als erstrebenswert gilt“ – wie etwa der Wunsch nach einem Eigenheim.

Um solche Themen geht es auch in der Internationalen Bauausstellung 2027 Stadtregion Stuttgart (IBA’27). Als zurecht geeigneter Ort für einen gemeinsam mit der in Potsdam ansässigen Bundesstiftung Baukultur organisierten Dialog erschien den Machern eben das Bistro der Fertighaussiedlung am Fellbacher Stadtrand. Aktuellen Studien zufolge wünschen sich rund 65 Prozent diese Wohnform. Tendenz steigend. 16,1 Millionen Einfamilienhäuser stehen in der Republik, erläutert Rainer Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Der Ansturm auf Anlagen wie in Fellbach ist ungebrochen – typischerweise wie eh und je durch die Kleinfamilie mit „Mann, der schwangeren Ehefrau, bereits ein oder zwei Kindern, eventuell noch die Oma, die mit einziehen will“, wie die seit einem Jahr als Geschäftsführerin agierende Sevil Özlük das Klischee zum Amüsement der Zuhörerschaft bestätigt.

100 000 derartige Häuser werden jährlich noch in Deutschland gebaut – trotz Kritik an Flächenversiegelung, Material- und Energieverbrauch oder CO2-Ausstoß. Diese Wohnform „hat sich seit 70 Jahren als fester Bestandteil etabliert“, so Anja Reichert-Schick, Leiterin Zukunftsfragen der Wüstenrot-Stiftung. Wobei 25 Prozent der Erbauer mit 69 Jahren ihr Häusle noch nicht abbezahlt haben, so die Fachfrau.

Dabei verweigern mittlerweile etliche Städte die Genehmigung für weitere Einfamilienhäuser – etwa Münster oder Hamburg-Nord. Oder es ist so wie von Fellbachs Baubürgermeisterin Beatrice Soltys geschildert: „Für Einfamilienhäuser sind allenfalls noch fünf Bauplätze vorhanden“ – in der Regel jedoch unbezahlbar.

Doch das „Verteufeln“, da ist sich Florian Schmid als Vertriebsleiter von Schwörer-Haus sicher, und der Versuch, den Interessenten „diesen Traum auszureden, wird nicht klappen: Die Menschen, die hierherkommen, fühlen sich pudelwohl und suchen genau das, Kinderzimmer eins und Kinderzimmer zwei“.

Er wolle das Einfamilienhaus „nicht verteufeln“, sagt Marcus Menzl von der Technischen Hochschule Lübeck. IBA-Intendant Andreas Hofer will ebenfalls „kein Bashing“ betreiben und auch „nicht groß ideologische Debatten führen“.

Die „Transformation“ – dieses Wort fällt am Abend insgesamt mehrere Dutzend Male – werde kommen, weil sie kommen müsse, so die Referenten. Es gibt beim Umbau von Einfamilienhäusern viel Potenzial – was notwendig ist, da es nach dem Auszug der Kinder oder auch dem Tod eines Ehepartners in dem „zu groß gewordenen Haus viele leer stehende Einliegerwohnungen gibt, die für den Enkel bei seinem Besuch freigehalten werden“, erklärt Christina Simon-Philipp, Professorin für Städtebau an der Hochschule für Technik Stuttgart. Aber: Man muss die Menschen überzeugen, „indem wir ihnen Super-Beispiele für gute Lösungen zeigen“, so Wolfgang Riehle, Vorsitzender des Vereins IBA-Friends. „Die Hinführung der Menschen ist der richtige Weg, damit sie in wenigen Jahren umswitchen.“

Eine junge Zuhörerin, Mitarbeiterin in einem Forschungsprojekt über Wohnformen im Quartier Schafhof in Kirchheim/Teck, bemängelt das „Narrativ“, das in der Fellbacher Fertighaus-Ausstellung gefördert werde, nach dem Motto: Mein Glück ist verknüpft mit dem Einfamilienhaus. Doch das Einfamilienhaus „gibt es erst seit 70 Jahren, das ist nicht eingeschrieben in unsere DNA“. Unter Beifall regt sie an, bis in drei Jahren auf dem Gelände einen viergeschossigen Neubau als Musterhaus zu präsentieren, um so „neue Bilder zu schaffen“. Hofer greift dies am Ende der Diskussion gegenüber Gastgeberin Özlük auf: „Es wäre doch super, wenn in einer Ecke in vier Jahren so ein Modell für ein Mehrfamilienhaus steht.“

So erhellend wie amüsant ist übrigens am Schluss die Frage des Gesprächsleiters Nagel, wer denn unter dem gut 100-köpfigen Auditorium – zum Großteil Architekten und Stadtplanern – in einem Einfamilienhaus lebt: Ein Drittel reckt den Arm in die Höhe.