Mira Foron (li.) mit Tatiana Chernichka bei Cultur in Cannstatt. Foto: Christian Kellner (z)

Im Kursaal gab es kürzlich ein herausragendes Konzert unter dem Titel „Neue Namen“ mit Kammermusik, die begeisterte und zuvor Organisationstalent erforderte.

Die Bezeichnung GAU ist zu hoch gegriffen, was aber jeder Musikveranstalter fürchtet, sind Absagen von Vokal- oder Instrumentalsolisten aus Krankheitsgründen, von Dirigenten ganz zu schweigen. Cultur in Cannstatt e.V. backt zwar kleine, aber immer stärker beachtete Brötchen im Bereich der Kammermusik, insbesondere in der Unterstützung junger Preisträger – seit 35 Jahren leider ohne entsprechend angemessene Förderungssätze durch die Stadt Stuttgart.

Für den 24. Juli ist unter dem Titel „Neue Namen“ ein Duoabend der Preisträger Mira Foron, Violine und Aris Alexander Blettenberg, Klavier mit Werken von R. Strauss, P.I. Tschaikowsky, F. Poulenc und C. Saint-Saëns seit Wochen angekündigt. Eine Woche vor dem Konzert meldet sich der Pianist krank, eine Vertretung kann gefunden werden. Am Vorabend des Konzerts kommt jedoch auch von dort eine Krankmeldung. Da während der Corona-Zeit verschiedene Konzerte zum Leidwesen aller ausfallen mussten, wird es jetzt äußerst eng. Gesucht wird eine besonders fähige Person, die diese anspruchsvollen Werke sehr gut kennt, schon öffentlich aufgeführt hat, möglichst in erreichbarer Nähe wohnt, diesen Sonntag noch keine Verpflichtung hat und deren Honorar sich im Rahmen der Möglichkeiten des Vereins bewegt. Dem künstlerischen Leiter von Cultur in Cannstatt, Marin Smesnoi, gelingt es, den gordischen Knoten zu zerschlagen, er kann die in Novosibirsk/Russland gebürtige Pianistin, Tatiana Chernichka, seit 2003 in München ansässig, inzwischen auch an der dortigen Musikhochschule unterrichtend, so überaus kurzfristig für dieses Konzert als musikalischen Engel gewinnen. Ihre Biografie im Internet ist angefüllt mit internationalen Preisen, Prädikaten und Auszeichnungen, ganz offenbar ist sie inzwischen auch eine begnadete Begleiterin bei internationalen Wettbewerben.

Welche Entlastung nicht nur für den Vorstand, die Mitglieder und weiteren Zuhörer, vor allem für die vielfach prämierte Geigerin Mira Foron, dieses künstlerisch außergewöhnliche Programm in ihrer Heimatstadt doch noch spielen zu können. Die gemeinsame Probenzeit am Sonntagvormittag genügt jedoch, sich vertrauensvoll aufeinander einzustellen, fast nichts korrigieren zu müssen, die geplante Sonate von Francis Poulenc durch eine von Edvard Grieg auszutauschen.

Beide Künstlerinnen treten bescheiden auf, schon bei der im Klavierpart technisch anspruchsvollen Partie der Strauss-Sonate lassen sich eine Reihe von entscheidenden Beobachtungen machen: Die Pianistin spielt zum Teil auswendig, ist nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen ständig bei ihrer Kollegin, gemeinsames Atmen unterstützt das ‚blinde’ Vertrauen, sie verzichtet durch die Verwendung eines Tablets jedes Risiko eignen Umwendens (respektive durch eine umblätternde Person). Jede ›Einspringerin‹ muss sich in kürzester Zeit mit dem Flügel zurechtfinden, den sie vorfindet. Tatiana Chernichka bezwingt den bekanntlich nicht ganz einfach zu traktierenden Steinway in kürzester Zeit, entlockt ihm nicht nur kräftige, sondern auch weiche und warme Töne, differenziert die Dynamik außerordentlich, meistert die raschen Oktaven im dritten Satz der Grieg-Sonate atemberaubend. In denjenigen Sätzen, die mit einem Vorspiel im Klavier beginnen, wirkt das angeschlagene Tempo sehr natürlich, der Teppich für die solistische Geigerin ist ausgerollt. Auch die häufigen, sehr diffizilen Tempowechsel in der nicht zufällig Pablo Sarasate gewidmeten Introduction e Rondo Capriccioso von Saint-Saëns sind wie aus einem Guss.

Die Geigerin Mira Foron, deren wichtigste Auszeichnungen im Programm aufgeführt sind, glockenrein bis in die höchsten Töne spielend, immer mit sehr aktiv geführten rechtem Arm, lotete die ganze Klangpalette ihrer Testore-Violine aus. Rein technisch gibt es gar nichts, was sie nicht mit der linken oder mit der bogenführenden rechten Hand souverän in Klang umsetzen könnte, vom satten fortissimo bis zu schwebend klingenden pianissimo. Dank der besonnenen Pianistin kann sie agogisch alles machen, was eine sehr gute Interpretation auszeichnet. Als Dreingabe, die von den stürmisch jubelnden, doch für das heiße Wetter recht zahlreichen Zuhörern, erklatscht wird, erklingt nochmals der dritte Satz Mélodie von Tschaikowsky, ein weicher Klang des Flügels trägt edel klingenden Melodien der Violine. Die doppelte Spannung eines solchen Konzerts, die den Zuhörer gelegentlich zum Atemanhalten zwingt, kann man nur live erleben, jede CD ist ein schwacher Abglanz.