Am ersten großen Umzug 1951 nahm auch die Cannstatter Zeitung mit einem Motivwagen teil. Foto: /Archiv Kübelesmarkt

Nach Jahren der Entbehrung sorgte der Kübelesmarkt Bad Cannstatt ab 1949 wieder für Brauchtum und Unterhaltung. Es gab einen Schlagbaum an der König-Karls-Brücke und Fasnets-Umzüge.

Bad Cannstatt - Wir leben in einer gefühlt furchtbaren Zeit: keine Kneipen, keine Kultur, nächtliches Ausgehverbot und jetzt auch noch … keine Fasnet – ein Jahrhundertdesaster! Doch halt – so neu ist das nicht. Vor 30 Jahren wurden auch alle Veranstaltungen abgesagt, wegen eines Krieges weit weg. Diesmal geht es um unsere Gesundheit, und es wäre sträflicher Leichtsinn, Fasnet zu feiern wie immer. Doch es gab eine Zeit, in der die Fasnet volle zehn Jahre lang ausfiel. 1939 war das letzte „normale“ Jahr, danach kamen sechs Jahre Krieg. Wir waren von den Amerikanern besetzt, und wie heute gab es ein nächtliches Ausgehverbot. Allerdings war damals ein Verstoß dagegen lebensgefährlich. Wir haben eine warme Wohnung, genug zu essen, Fernsehen, Internet. Nach dem Krieg ging es um nichts mehr als ums nackte Überleben – die Winter waren eiskalt und es gab fast kein Brennmaterial. Volksfest fand so wenig statt wie Fasnet, und nach dem letzten Volksfest vor dem Krieg konnte die große Holz-Achterbahn, die Himalaya-Bahn, nicht mehr abgebaut werden. Nach Kriegsende wanderte die gesamte Bahn in die Bad Cannstatter Öfen und gab ein bisschen Wärme. Wirtschaften waren tagsüber geöffnet, doch nur wenige Menschen hatten das Geld, sich ein Essen zu leisten.

Findige Kübler

1948 fanden sich einige Kübler zusammen und beschlossen, ihr Brauchtum wieder aufleben zu lassen. Beim Kassensturz belief sich das „Barvermögen“ des Vereins auf 49 DM. Um 1949 eine große Fasnet zu starten, war die Zeit zu kurz. Doch die Kübler waren findig, war doch die neu errichtete König-Karls-Brücke nur auf der Stuttgarter Seite gefeiert worden – das schrie nach Vergeltung. Also bauten die Bad Cannstatter an der Brücke einen Schlagbaum auf und erhoben von jedem Stuttgarter, der passieren wollte, einen Brückenzoll von einer D-Mark. Verspätet kam die Karnevalsgesellschaft Möbelwagen, die mit den Küblern eng verbunden war, dazu, brachte einen leibhaftigen Elefanten mit. Der schlitzohrige Oberbürgermeister Arnulf Klett narrte die Kübler, ging als Clochard verkleidet über die Wilhelmsbrücke und näherte sich der König-Karls-Brücke von der Bad Cannstatter Seite. Doch er kam nicht ungeschoren davon, sondern musste als OB fünf D-Mark bezahlen für Hin- und Rückweg. Ausklang war im Gasthof „Sonne“ in der Waiblinger Straße, die später dem Straßenausbau zum Opfer fiel. Zu später Stunde kam noch der OB, setzte sich ans Schlagzeug und heizte den Küblern kräftig ein.

Großer Heimatabend im Herbst 1949

Einen großen Heimatabend gab es im Herbst 1949 mit dem Titel „Unter der Dorflinde“. Der Mitbegründer des Kübelesmarktes, Albert Hofele, ein Rundfunkpionier und unter Ministerpräsident Reinhold Maier sogar Heimatminister von Württemberg-Baden, organisierte das Programm. Mitwirkende waren Küblerbüttel Eugen Morlock, Ruth Mönch, Oskar Müller, der heute noch aktive Walter Schultheiss, alle bekannt vom Süddeutschen Rundfunk, und der Büttenredner Eugen Leuther, der sich vorstellte: „Großes L, kleines Euter“. Hermann Metzger gestaltete das Bühnenbild.

Am Fasnetsdienstag 1950 zogen die Kübler von der „Sonne“ durch die Marktstraße zum Rathaus. Voran Reiter, dann ein Ponygespann und die prächtigen Kutschen von Kohlen-Zweigle mit der Kübler-Prominenz. In der Marktstraße herrschte ein gefährliches Gedränge. Massen von Zuschauern freuten sich über ein bisschen Zerstreuung in der schwierigen Zeit. Beim darauffolgenden Rathaussturm wurde Bürgermeister Banhart abgesetzt und musste seine Amtsjacke gegen die Küblerweste tauschen. Dazu kam ein seltenes Hörerlebnis, als erstmals seit 50 Jahren die Rathausglocke durch Bad Cannstatt schallte. Beim Sommernachtsfest der Kübler im Kursaal war damals auch die Mannschaft des VfB eingeladen – Deutscher Meister 1950. Übrigens: 2007 versprach Sauerwasserschultes Thomas Jakob: „Wenn der VfB dieses Jahr Deutscher Meister wird, lass ich die Rathausglocke läuten“ – Ende bekannt. Weitere Premieren folgten in diesem Jahr. Das erste Cannstatter Volksfest seit 1938 fand statt mit einem Festzug zur Eröffnung, und auch das Fischerstechen wurde nach langer Pause wiederbelebt, alles mit Beteiligung des Kübelesmarktes. Im November folgte ein weiteres Großereignis – das erste Fußball-Länderspiel nach dem Krieg, gegen die Schweiz. Im Neckarstadion drängten sich über 100 000 Zuschauer. Ein Wunder, dass die provisorisch aufgebauten Holztribünen der Belastung standhielten.

1951 erster Umzug

1951 war es dann soweit. Die Kübler wollten nicht hinter den Fasnetshochburgen wie Rottweil, Stockach oder Rottenburg zurückstehen und veranstalteten einen großen Umzug. Zahlreiche schwäbisch-alemannische Narren, Karnevalsvereine und Motivwagen, zum Beispiel mit Konrad Adenauer und auch ein Wagen der Cannstatter Zeitung zogen vor unglaublich vielen Zuschauern durch die teilweise noch in Trümmern liegende Stadt. Während der Fahrt zu den Narrenfreunden in Rottweil begegnete den Küblern ein Mistwagen, und es kam die Idee auf, so einen Wagen im Umzug mit „Bundesmist“ mitzuführen. Der Mist konnte besorgt werden, denn in Bad Cannstatt gab es damals tatsächlich noch Bauernhöfe mit Vieh. Das Problem war nur, den Mist am Dampfen zu halten. Wie das gelöst wurde, ist nicht überliefert.

Den Verlust der Fasnet 2021 werden wir verschmerzen. Viel schlimmer sind das große Leid und der materielle Verlust, der viele von uns sehr hart trifft. Damit die Fasnet nicht nur im Kalender steht, lassen sich die Zünfte einiges einfallen, um „kontaktfrei“ wenigstens elektronisch etwas Fasnetstimmung aufkommen zu lassen.