Foto: //Jean

Die Regierung in Rom will den jahrelangen Niedergang stoppen. Der Großkonzern Stellantis und die Politik sollen helfen.

Italien lieferte sich einst ein Wettrennen mit Deutschland um die Führungsposition in Europas Autoindustrie. Tempi passati. 2022 sind nur noch 473 000 Pkw in Italien hergestellt worden: Platz sieben in Europa. Die Regierung in Rom will, dass sich das ändert. Bis Mitte August soll eine Übereinkunft mit Stellantis-Chef Carlos Tavares erzielt werden: Ziel ist es, die Produktion im Land wieder auf deutlich über eine Million Einheiten zu steigern.

Bei einem Krisentreffen zwischen Tavares und Adolfo Urso, Minister für Unternehmen und das „Made in Italy“, wurde vereinbart, dass eine Arbeitsgruppe Vorschläge dazu erarbeiten soll. Tavares stellte in Aussicht, in Italien ein fünftes Modell auf der Basis der neuen Elektro-Plattform im Konzern für Mittelklasseautos zu produzieren – wohl ein Jeep. Doch konkrete Zusagen machte er ebensowenig wie in Bezug auf die im süditalienischen Termoli geplante Batteriefabrik. Dafür sollen 100 Millionen Euro für einen neuen grünen Campus in Turin investiert werden.

Bei der Vorstellung der Quartalszahlen des französisch dominierten Stellantis-Konzerns, zu dem die italienischen Marken Fiat, Lancia, Alfa Romeo und Maserati, aber auch Peugeot, Citroen, Jeep, RAM und Opel gehören, zeigte sich Tavares zuversichtlich, eine Einigung zu finden. Er verlangt aber Gegenleistungen Roms in Form von Kaufanreizen für schadstoffarme Fahrzeuge.

Perspektiven sind nicht berauschend

Im Jahr 2000 liefen in Italien noch 1,7 Millionen Fahrzeuge von den Bändern. 2022 schrumpfte die Produktion auf 473 000 Einheiten. Rechnet man Nutzfahrzeuge dazu, waren es 770 000. In diesem Jahr sind die Zahlen besser. Doch die Perspektiven sind nicht berauschend. Der Branchenverband Anfia fürchtet infolge der zunehmenden Elektrifizierung den Verlust weiterer 70 000 der noch 268 000 Arbeitsplätze in der Branche.

Unter dem langjährigen Chef Sergio Marchionne hat Fiat Investitionen in die Elektromobilität verschlafen. Die Produktivität stagniert seit Jahrzehnten. Der einst dominante Fiat-Konzern verhinderte lange den Bau von Werken der Konkurrenz in Italien und investierte wenig. Neue Autowerke entstanden in Nordafrika, Spanien und Portugal, in Osteuropa – und sogar in Deutschland (Tesla) - aber nicht in Italien. Nur dank der Übernahme von Jeep, Dodge und Ram und deren üppigen Gewinnen konnte sich Fiat halten. 2021 kam die Fusion mit PSA Peugeot Citroen. Rom versuchte bis zuletzt, das nun für 2035 geplante Ende des Verbrennermotors hinauszuschieben.

Turin, einst eines der großen Zentren der weltweiten Autoindustrie, ist nur noch ein Schatten früherer Zeiten. 2022 wurden hier nur noch 88 000 Autos gebaut, vor allem die Elektroversion des Fiat 500, die derzeit ganz gut läuft.

Produziert wird in Polen und Marokko

Ein wenig Glanz kehrte vor einigen Wochen zurück als Stellantis-Chairman John Elkann am historischen Standort in Turin Lingotto die Elektroversion des Fiat 600 und den neuen Topolino präsentierte. Doch gefertigt werden die beiden Modelle nicht im nahe Werk in Turin Mirafiori, wo einst jedes Jahr hunderttausende von Autos vom Band liefen. Der Topolino wird in Marokko produziert, der Fiat 600 in Polen, ebenso ein geplanter kleiner SUV von Alfa Romeo.

Rom fühlt sich im Stellantis-Konzern benachteiligt. Doch Chef Tavares, der die EU für ihre „dogmatische Position“ im Hinblick auf die Elektrifizierung kritisiert, macht klar, dass „Stellantis nur da produziert, wo wir wirtschaftlich wettbewerbsfähig sind. Die Kunden wollen Qualität und attraktive Preise. Wir können nicht von ihnen verlangen, dass sie 40 Prozent mehr für Elektroautos zahlen.“

Gut läuft es für den Bremsenhersteller Brembo, den chinesisch dominierten Reifenproduzenten Pirelli, die Audi-Tochter Lamborghini sowie Ferrari. Doch Italien hat zu wenig große und leistungsfähige Zulieferer, die die nötigen Investitionen stemmen können. Rom plant nun neue Hilfen für die Branche. Premier Mario Draghi hatte 2021 insgesamt 8,7 Milliarden Euro in Form von Kaufanreizen und Hilfen für Unternehmen bis 2030 locker gemacht. Präsidentin Giorgia Meloni will nun nachschärfen. Die Rede ist von weiteren sechs Milliarden Euro, die etwa aus dem europäischen Aufbauprogramm stammen sollen.

Kleine Hoffnungszeichen

Es gibt kleine Hoffnungszeichen. Stellantis investiert in neue Modelle von Lancia, Maserati und und Alfa Romeo – auf Plattformen des Konzerns. Die Verkaufszahlen von Alfa Romeo wachsen dank des in Süditalien produzierten SUV Tonale wieder, ebenso wie die der Oberklassemarke Maserati, die nach vielen Jahren seit 2021 wieder schwarze Zahlen schreibt und ihren operativen Gewinn im ersten Halbjahr auf 121 Millionen Euro verdoppelt hat.

Stellantis hat Investitionen von 2,5 Milliarden Euro bei Maserati versprochen. Und Fiat profitiert von der ungebrochenen Beliebtheit des veralteten Fiat 500, der aber überwiegend nicht in Italien gebaut wird.

Einst die modernste Autofabrik der Welt

Vergangene Pracht
Der riesige Fiat-Gebäudekomplex im Turiner Stadtteil Lingotto war bei der Eröffnung 1923 die fortschrittlichste Autofabrik der Welt. Autos werden hier schon seit Jahrzehnten nicht mehr produziert.

Mirafiori
Im nahen Werk Mirafiori wurden in Spitzenzeiten bis zu 1,5 Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert. 2022 waren es noch 88 000. bl