Die Gebäude Brückenstraße 6 und 8; die Brückenstraße 8 (li.) sieht heute noch fast genauso aus. Das ist das Stammhaus von Rilling mit dem historischen Keller darunter. Foto: Rilling

Mit dem Aus für Rilling-Sekt gehen auch 135 Jahre anekdotenreicher Firmengeschichte zu Ende – Erinnerungen an eine Kellerei, für die Wengerter aus der ganzen Region Trauben nach Bad Cannstatt lieferten und in der Piccolos wie Hühner hießen.

Gerade mal 0,2 Liter klein ist die Flasche, grün, und auf dem Etikett steht der Name „Sabinchen“. Die Geschichte dazu, die in den 50er Jahren spielt, haben die Rillings immer wieder erzählt: Über den Hof der Bad Cannstatter Sektkellerei in der Brückenstraße sei demnach damals auch ein kleines Huhn gewackelt. Es war das Lieblingstier der Rilling-Kinder, und sein Name war – klar, Sabinchen. Als in diesen Jahren für die neue Piccolo-Flasche im Sortiment ein griffiger Name gesucht wurde, war die Sache schnell erledigt.

Was heute Marketingabteilungen mit viel Hirnschmalz und reichlich Budget ausbrüten würden, entschied der Chef damals kurz entschlossen selbst: Die kleine Sektflasche aus dem Haus Rilling sollte fortan wie das kleine Huhn „Sabinchen“ heißen – und das ist bis heute so.

Der Handel mit Schaumwein unterlag schon immer Schwankungen

Die Firmengeschichte des Bad Cannstatter Traditionsunternehmens, die spätestens im kommenden September nach 135 Jahren tatsächlich Geschichte sein wird, ist reich an solchen Anekdoten. Manche davon sind der Tatsache geschuldet, dass der Handel mit Schaumwein schon immer gehörigen Schwankungen unterworfen war – je nach Feierlaune der Konsumenten. Goldene Zeiten gab es in der Sektbranche so verlässlich wie die schlechten: So schlecht wie zuletzt waren sie freilich zumindest für Rilling-Sekt nie: Am Montag dieser Woche verkündete das einstige Familienunternehmen das endgültige Aus. Schon 2021 hatten die Rillings ihre Anteile an den Aalener Immobilienentwickler Trias verkauft.

Helfen konnte da auch keine „Scharmant Kalte Ente“ mehr. So wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als dem Staat einfiel, er könnte mit einer wieder eingeführten Schaumweinsteuer den Aufbau mitfinanzieren. Für viele Deutschen und ihre meist leeren Taschen wurde damals Sekt zu teuer. Rilling reagierte und erfand die „Scharmant Kalte Ente“, eine Mischung aus Wein und Sekt, für günstige 3,90 Mark im Jahr 1949. „Duftig und reich im Ausdruck“ sei sie gewesen. Der Sektanteil in der „Ente“ war niedrig genug, um sie dem Zugriff des Fiskus zu entziehen. Der Gründer des Unternehmens, Ludwig Rilling, war damals schon fast 90 Jahre alt und lebte noch ein Jahr. Als 27-Jähriger hatte der Heilbronner 1887 seine Unterschrift unter den Kaufvertrag für ein Kolonialwarengeschäft in der Cannstatter Brückenstraße 15 gesetzt und damit den Grundstein der späteren Sektkellerei gelegt.

Goldene Preismünze für den 1934er Eilfinger Berg Riesling

Im Jahr 1900 machte er dann den entscheidende Schritt: Um seinen bis dahin bescheidenen Weinhandel zu vergrößern, erwarb der Firmengründer ein Anwesen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und gründete damit in der Brückenstraße 8–10 das künftige Stammhaus. Hier findet sich auch der Gewölbekeller, der für die eigene Weinherstellung- und lagerung notwendig war. Einer der Höhepunkte des Weinproduzenten wird die Goldene Preismünze auf der Pariser Weltausstellung sein, die Rilling für seinen 1934er Eilfinger Berg Riesling erhält.

Ein Jahr später, 1935, nimmt schließlich die Sektkellerei unter Ludwig Rillings Sohn Albert ihren Betrieb auf. Kurz zuvor hatte der Staat als eine Maßnahme zur Überwindung der Wirtschaftskrise die seit 1902 bestehende Schaumweinsteuer ausgesetzt und damit für goldene Sektzeiten gesorgt.

Auf der Internetseite des Unternehmens ist zu erfahren, dass Albert Rilling kurz darauf ein „Verfahren zum Herstellen von Getränken mit beliebigem Alkohol-, Restzucker- und Kohlensäuregehalt durch Gärung in geschlossenen Gefäßen unter Verwendung der eigenen Kohlensäure“ erfunden hat. Dieses Verfahren einer zweiten Gärung im Sektfass sei der Grundstein für den Erfolg der Sektkellerei gewesen, so das Unternehmen.

Die Sektkellerei wird zu einer Mini-Stadt in der Neckarvorstadt

Nach und nach wird die Sektkellerei durch Zukauf weiterer Gebäude größer und entwickelt sich zu einer eigenen Mini-Stadt in der Neckarvorstadt. Anfang der 1990er Jahre, die Deutschen sind dank der Wende in Feierlaune, steigt der Absatz bei Rilling-Sekt auf drei Millionen Flaschen im Jahr. Wengerter aus der ganzen Region liefern Trauben nach Bad Cannstatt. Doch der Höhepunkt der Unternehmensentwicklung ist damit überschritten: 2010 vermeldet die Sektkellerei bei rund 20 verschiedenen Sektsorten noch 2,5 Millionen abgefüllter Flaschen, 2022 waren es noch 1,55 Millionen. Die vierte Generation, die Urenkel des Firmengründers, Bernhard und Charlotte Rilling, stößt 2021 das Familienunternehmen ab, bleibt aber im Unternehmen. Vor dem Hintergrund der Pandemie, des Ukraine-Kriegs und steigender Energiekosten wird auch den neuen Eigentümern eine Kehrtwende nicht mehr gelingen.