Auch Erwachsene können noch lesen lernen. Foto: imago images/Steinac/h

Menschen, die Probleme mit dem Lesen, Schreiben und vielleicht auch Rechnen haben, versuchen das meist zu verheimlichen. Wann gilt es, aufzuhorchen? Und wie sollte man reagieren? Katja Deigendesch von der Volkshochschule Stuttgart weiß Rat.

Allein in Baden-Württemberg können nach Angaben der Volkshochschule Stuttgart rund 700 000 Menschen nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen. Die VHS will mit einer Aktion auf der Königstraße an diesem Freitag, 17. Mai, auf das Problem aufmerksam machen. Wir haben mit einer der Initiatorinnen, der Pädagogischen Leiterin Grundbildung und schulische Qualifizierung, Katja Deigendesch, gesprochen, wie man Analphabetismus bemerkt und wie man am besten reagieren sollte.

Katja Deigendesch ist eine der Initiatorinnen der Aktion der VHS Foto: VHS /Stuttgart

Frau Deigendesch, was sind Warnzeichen für Analphabetismus – wann sollte ich aufhorchen?

Es gibt typische Strategien, die die Personen anwenden, wie die Vermeidungsstrategie. Unterlagen werden nicht eingereicht oder Zettel für die Schule oder den Kindergarten nicht zurückgegeben. Da könnten zum Beispiel Lehrkräfte aufmerksam sein – das kann darauf hindeuten, dass Eltern hier ein Problem haben. Im Betrieb wiederum sollte man hellhörig werden, wenn jemand Fortbildungen und Beförderungen grundsätzlich ablehnt – da kann die Sorge dahinter stecken, dass die Ansprüche höher werden und man auffliegen könnte.

Aber wie spricht man das an, ohne das Gegenüber zu beschämen?

Das ist wirklich ein sensibles Thema. Man sollte schon eine Vertrauensperson sein, um das anzusprechen. Als Vorgesetzter kann man das tun. Alternativ kann man eine Vertrauensperson in Kenntnis setzen, damit diese das Gespräch führt. Anders ist es, wenn ich zum Beispiel in einer Beratungsstelle arbeite, dann ist es meine Aufgabe, die Person darauf anzusprechen. Das kann dann ja Teil der Lösung sein, zum Beispiel in der Schuldnerberatung. Auch Lehrkräfte können das Gespräch suchen. Wir freuen uns natürlich, wenn sie dann auf unsere Grundbildungskurse oder unsere vertrauliche Beratung hinweisen.

Wer kommt in diese Alphabetisierungskurse?

Die meisten haben eine längere Leidenszeit hinter sich. Das geht oft mit einem geringen Selbstbewusstsein einher. Es kommen Erwachsene zwischen 18 und 60 Jahre zu uns, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Das zeigt auch – es ist nie zu spät, das Problem anzugehen. Wer lesen und schreiben lernt, schützt sich selbst übrigens auch vor Gefahren.

Welche sind das zum Beispiel?

Wer nicht oder kaum lesen und schreiben kann, wird viel leichter Opfer, zum Beispiel von Internetkriminalität. Man klickt auf einen Link, auf den man sonst nicht klicken würde. Man fällt auch leichter auf Fake News rein, weil man diese nicht einfach nachprüfen kann. Wer Verträge nicht durchlesen kann, wird leichter Betrugsopfer oder schließt Versicherungen ab, die er eigentlich nicht braucht. Aber auch der klassische Beipackzettel kann zur Gefahr werden – dass man Medikamente falsch dosiert oder sich über die Nebenwirkungen nicht informieren kann.

Bei der VHS finden Betroffene Hilfe

Beratung
Für Betroffene gibt es eine vertrauliche Beratung im Grundbildungszentrum der VHS, die man ohne Anmeldung dienstags von 9 bis 10 Uhr und freitags von 16 bis 17 Uhr aufsuchen kann – und zwar im Treffpunkt Rotebühlplatz, Raum F307. Weitere Informationen unter Telefon 0711/1873 897 oder per E-Mail an wolfgang.nagel@vhs-stuttgart.de.