Seit 2014 steht die Gedenkstätte für die Opfer des Amoklaufs an der Albertviller Straße, an der seitdem die alljährliche Feier stattfindet. Foto: Gottfried Stoppel

Am 11. März 2009 hat ein ehemaliger Schüler der Albertville-Realschule 15 Menschen erschossen. Die Anforderung an die Erinnerungsarbeit: Wunden nicht neu aufreißen, aber trotzdem informieren.

Das öffentliches Gedenken an das Geschehen vom 11. März 2009, den Amoklauf eines ehemaligen Schülers der Albertville-Realschule in Winnenden und Wendlingen, wird sich auch am 15. Jahrestag gegenüber denjenigen der vergangenen Jahre nicht wesentlich ändern. Zum Auftakt an der Gedenkstätte im Stadtgarten neben der Hermann-Schwab-Halle am Montag, 11. März, gegen 9.30 Uhr läuten die Kirchenglocken. Exakt um 9.33 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem einst beim Amoklauf des Ex-Schülers Tim K. die ersten Schüsse in der Albertville-Realschule gefallen sind.

Die Namen der Opfer werden verlesen

Man habe in Winnenden durchaus überlegt, berichtet Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth, der auch in diesem Jahr eine Ansprache an der Gedenkstätte namens „Gebrochener Ring“ halten wird, ob am 15. Jahrestag des furchtbaren Dramas an der betont zurückhaltenden Form des Gedenkens etwas geändert werden sollte. Für ihn etwas überraschend seien aber beim Treffen des Bürgerrats keinerlei derartigen Wünsche geäußert worden. So bleibt es beim rücksichtsvollen Erinnern an alle 15 Opfer des Amoklaufs im März 2009. Nach der kurzen Ansprache des Winnender Oberbürgermeisters verlesen drei Vertreterinnen des Winnender Jugendgemeinderats an der Gedenkstätte nahe dem Haupttatort alle Namen der Opfer. Es folgt ein gemeinsames Gebet mit Pfarrerin Heike Bosien und Musik mit Flöte, Klarinette und Fagott.

Drei ökumenische Gedenkgottesdienste

Teil des Erinnerns sind auch mehrere Gedenkgottesdienste. Um 10 Uhr in der Schlosskirche, um 18.30 Uhr in der Peterskirche in Weiler zum Stein und um 19 Uhr in der St. Karl Borromäus Kirche. Nach diesem dritten Gottesdienst startet um 20 Uhr eine Lichterkette am Winnender Marktbrunnen. Auch dazu lädt der Jugendgemeinderat ein.

Zwölf Tote in der Schule

Der 17-jährige Tim K. hat am 11. März vor 15 Jahren in der Albertville-Realschule zwischen 9.33 und 9.40 Uhr zwölf Menschen erschossen. Drei Lehrerinnen, acht Schülerinnen und einen Schüler. Auf der Flucht vor der Polizei ermordete er, quasi im Vorbeigehen, im angrenzenden Schlosspark einen Angestellten der Psychiatrie. Nach einer zweistündigen Irrfahrt mit einem gekidnappten Autofahrer durch den Großraum Stuttgart fielen dem Amoklauf des Schülers dann noch zwei Männer in einem Wendlinger Autohaus zum Opfer. Nach einer Schießerei mit der Polizei erschoss der ehemalige Schüler der Albertville-Realschule sich auf einem Parkplatz des Autohauses.

Ein narzisstischer, leicht kränkbarer Täter

Die Motive des 17 Jahre alten Täters, der zu den Morden in der Schule eine Waffe seines Vaters benutzte, hat in den Jahren danach die Kriminologin Britta Bannenberg von der Universität Gießen analysiert. Sie hat die Spuren des jungen Mannes aus Weiler zum Stein im Internet verfolgt. Der narzisstische, leicht kränkbare Teenager fühlte sich offenbar von einer Schülerin abgewiesen. Diese habe, so die Recherchen, dies wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Sie hat ihm wohl auch keinerlei Anlass zu der fürchterlichen Tat gegeben. Klar ist: Die 16-Jährige ist am Ende unter den ermordeten Schülerinnen. Ein weiterer Hinweis auf die Psyche des Täters und die Hintergründe des Winnender Amoklaufs: Elf von zwölf Ermordeten in der Schule sind weiblich.

Der Vater wird verurteilt

Den Amoklauf hatte der Jugendliche – auch das ergeben die Recherchen – über längere Zeit vorbereitet. Unter anderem, indem er Munition aufsammelte, die sein Vater offenbar allzu achtlos liegen ließ. Der Sportschütze hatte die Tatwaffe, eine großkalibrige Pistole, unverschlossen in einem Wäscheschrank deponiert. Wegen fahrlässiger Tötung hat ihn das Landgericht Stuttgart schließlich im Jahr 2013 zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, da er nach Auffassung des Gerichts die Tat wohl hätte verhindern können.

Der 11. März als bleibende Mahnung

Noch heute symbolisiert in Winnenden für viele jener 11. März einen markanten Punkt in der persönlichen Lebensgeschichte. Allerdings, sagt Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth im Gespräch zum 15. Jahrestag, seien die Betroffenheit und Erinnerungen inzwischen höchst unterschiedlich. Entsprechend müsse man in den Formen des Erinnerns auch berücksichtigen, dass es Menschen in Winnenden gibt, die nicht wieder kaum vernarbte Wunden aufgerissen sehen wollen. Dass es andererseits aber auch etwa Zugezogene oder Nachgeborene gibt, die informiert werden sollten, die am gemeinsamen Erinnern in dem durch den Amoklauf weltweit bekannt gewordenen Heimatort teilhaben wollen und sollten.

„Der Großteil der Schüler an der Albertville-Realschule war noch nicht geboren, als die Schüsse fielen“, sagt auch Sven Kubick, der heutige Schulleiter. Auch nach 15 Jahren sei die Erinnerung an die Opfer des Amoklaufs aber ein wesentlicher Bestandteil des Gedenkens. „So sehen wir in der altersgemäßen Information zu den Geschehnissen des 11. März 2009 eine wichtige pädagogische Aufgabe.“ Aus diesem Grund wurde an der Albertville-Realschule ein Arbeitskreis gebildet, der sich mit der Tat und den wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzte, um die Fakten zu sammeln. Diese werden den Klassenlehrkräften zur Verfügung gestellt, um den Schülerinnen und Schülern konkrete Antworten auf ihre Fragen geben zu können. So will die Albertville-Realschule unter anderem auch Gerüchten und Falschaussagen entgegenwirken.