Fasziniert vom tiefen Bim-Bam: Komponist Alan Menken im „Glöckner“-Bühnenbild. Foto: Stage / Eventpress Radke Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Berlin/Stuttgart - Ein „Dies Irae“ im mehrstimmigen Chorsatz, eine Inszenierung in der Tradition des „armen Theaters“ und ein Glöckner, der seinen Buckel auf offener Bühne anschnallt? Was kommt denn da als Nachfolger von „Mary Poppins“ auf uns zu? Keine Angst, der Disney-Konzern gibt immer noch kräftig Geld aus für seine Musicalproduktionen, aber „Der Glöckner von Notre-Dame“ erkundet doch vorsichtig neue Wege, folgt nicht unbedingt den Ausstattungsorgien der Vorgänger. Das neue Musical, das am 18. Februar im Apollo-Theater in Stuttgart-Möhringen Premiere feiern wird, spricht zur Abwechslung mal wieder die Freunde des dramatischen, stimmgewaltigen Musicals an.

Victor Hugos Roman „Notre-Dame de Paris“, bei uns zum „Glöckner von Notre-Dame“ geworden, erzählt vom buckligen Quasimodo, der die schöne Zigeunerin Esmeralda rettet, vom lüsternen Dompropst Frollo, der ihr nachstellt, und vom Hauptmann Phoebus, den sie liebt. 1996 schrieb Alan Menken die Songs zu einem Disney-Zeichentrickfilm mit obligatem Happy-End, aus dem wenig später ein in Berlin uraufgeführtes Musical entstand, das erste überhaupt, das der Entertainment-Gigant Disney außerhalb der USA produzierte. Nun wurde es nach 15 Jahren komplett überarbeitet und kommt via Berlin nach Stuttgart.

Bei einem Pressegespräch in Berlin erläuterte der Komponist das neue Konzept. Alan Menken ist bei uns nicht nur durch sein frühes Kultmusical „Der kleine Horrorladen“ bekannt geworden, sondern hat acht Oscars für seine Filmsongs und -Partituren gewonnen, unter anderem für „Die Schöne und das Biest“, „Aladdin“ oder für „Das Farbenspiel des Winds“ aus „Pocahontas“.

Näher bei Victor Hugos Roman

Auf die Frage, was sich gegenüber dem Trickfilm und der ersten Berliner Musicalfassung verändert hat, ob das Stück dunkler geworden ist, weist Menken vor allem auf die neue Inszenierung von Scott Schwartz hin: „Der ‚Glöckner‘ ist von all den Trickfilm-Adaptionen für die Bühne sicher die anspruchsvollste, er hat sich sehr stark weiterentwickelt vom Film. Damals war es richtig, diese vorwitzigen, komischen Figuren zu haben, die Wasserspeier. Jetzt gehören sie einfach zu den Heiligenfiguren der Kathedrale, die mit Quasimodo sprechen. Das neue Bühnenkonzept von Scott Schwartz beeinflusste auch die Partitur, wir erzählen die Geschichte anders. Aber die meisten Songs, die wir für den Film geschrieben haben, sind immer noch da! Ich weiß nicht, ob man es dunkel nennen kann - wir haben gemerkt, dass wir viel enger bei Victor Hugos Roman bleiben müssen und nicht für das übliche Familienpublikum schreiben können.“

Der Humor haftet nicht mehr an bestimmten Figuren, sondern ist in die Dialoge gewandert, insgesamt aber ist die neue Version wesentlich dichter und dramatischer. Auch mit einer Inszenierung, die auf Projektionen oder Laser-Show verzichtet und stattdessen auf die jahrhundertealten Bühnentricks des Theaters setzt, weicht der neue „Glöckner“ durchaus vom üblichen Disney-Schema ab (dem etwa Menkens Musical „Aladdin“, derzeit in Hamburg zu sehen, perfekt folgt). Möglich wird so etwas allein durch die exzellente Teamarbeit bei Disney, so Menken: „Ich liebe Disney. Ich mag die Firma, ich mag die Menschen. Größtenteils haben sie die Tendenz, Geld verdienen zu wollen, aber da arbeiten so viele gute Leute mit herausragendem künstlerischem Instinkt, mit so viel Gefühl. Es gehört zur Tradition dieser Firma, dass sie sich immer die besten Leute suchen. Und jetzt ist dort diese neue Generation junger Komponisten angekommen, die ich kenne, seit sie Kinder waren… Sie werden Teil einer guten Tradition.“

Im neuen „Glöckner“ gibt es einen mehrstimmigen Chor aus klassisch ausgebildeten Stimmen, der zwar nicht auf der Bühne agiert, aber die gesamte Aufführung über in einer Art Chorgestühl sitzt und wunderbar singt. Inspiriert wurde Menken unter anderem von Carl Orffs „Carmina Burana“, wie er erzählt - und vom tiefen Bim-Bam der ehernen Glocken natürlich.

Die riesigen Glocken auf der Bühne werden tatsächlich per Seilzug bewegt. Echt sind sie schon aus dem Grund nicht, weil kein Theaterschnürboden der Welt das Gewicht von sechs Bronzeglocken dieser Größe aushalten würde. Aber durch eine trickreiche Vorrichtung wird ihr Läuten tatsächlich nur dann per Computer zugespielt, wenn der Klöppel sich bewegt.

So traurig ist Alan Menken gar nicht, dass es die amerikanische Version nicht an den Broadway geschafft hat, wo derzeit ohnehin zwei Musicals von ihm laufen. Auch in den USA setzt sich gerade die Erkenntnis durch, dass der Broadway nicht alles ist, dass man durchaus auch jenseits davon Erfolg haben kann - der „Hunchback of Notre Dame“ wird in zahllosen Regionaltheatern in den USA gespielt, in Japan, Australien, Deutschland.

Botschaft gegen Trump

Der 68-jährige Menken ist Demokrat, wie er erzählt, und hat im Wahlkampf Hillary Clinton unterstützt. Was denken die amerikanischen Künstler über ihren Präsidenten? „Wir schütteln sehr viel den Kopf. Es ist verstörend. Es ist frustrierend. Wie er Angela Merkel beleidigt hat, das ist unglaublich! Oder wie er die Leute wegschubst… Die größte Sorge ist, dass die Menschen von der Politik, von den sozialen Medien derart polarisiert werden, dass Kompromisse und Fortschritt unmöglich werden.“

Umso wichtiger erscheint die Botschaft am Ende des Musicals, das wie bei Victor Hugo tragisch endet. In einem kurzen Nachspiel streichen sich alle den gleichen Dreck ins Gesicht wie Quasimodo und bewegen sich genauso ungelenk wie der Bucklige, der ganze mittelalterliche Schaustellertrupp solidarisiert sich mit dem Außenseiter. In einem Land, dessen Präsident sich öffentlich über Behinderte lustig macht, setzt das Disney-Musical damit ein ungewöhnlich deutliches Zeichen für Empathie und Toleranz. „Die Botschaft“, so Alan Menken, „ist sicher die der Einbindung, des Akzeptierens. Wir müssen die Angst vor dem Unbekannten überwinden. Warum weinen wir am Ende? Weil die Menschen, die Angst vor Quasimodo haben, hervortreten und zu seinen Spiegeln werden. Das sollten wir alle tun - jemand wie Quasimodo zeigen, dass man ihn hört und dass man ihn sieht.“

„Der Glöckner von Notre-Dame“ läuft ab 18. Februar 2018 im Stage Apollo Theater in Stuttgart-Möhringen. Karten unter

www.stage-entertainment.de