Haifa in der Vorweihnachtszeit Foto: Win Schumacher/

In Israel wird die Weihnachtszeit vom Krieg überschattet. Doch es gibt Orte, wo sich Juden, Christen und Muslime trotz allem gerade jetzt für ein respektvolles und friedliches Miteinander einsetzen.

„Last Christmas I gave you my heart“ säuselt es aus einem Restaurant auf Haifas Ben-Gurion-Boulevard. Zu Füßen der Bahai-Gärten am Berg Karmel sind Bäume und Häuser weihnachtlich geschmückt. In der alten deutschen Templerkolonie, um 1870 von Siedlern aus Württemberg gegründet, blinken Lichterketten und Rentiere. Die Festdekoration mag für einen Moment alles überstrahlen. Doch in Haifa ist wie überall in Israel nichts wie im Dezember vor einem Jahr. Allerorten erinnern vom Regen verblichene Poster mit Porträts an die Geiseln in Gaza.

Wenige Minuten von Haifas beliebter Flaniermeile treffen sich an diesem Dezemberabend jüdische, christliche und muslimische Israelis. Die Studierenden Shachar Ben-Ami und Younes Abdul Rahman haben zu einem Workshop eingeladen, der auf Hebräisch, Arabisch und Englisch stattfindet. „Viele Israelis wissen einfach nicht viel über den anderen“, sagt Ben-Ami. „Wir brauchen aber gerade jetzt mehr Initiativen, wo es zu einem echten Kennenlernen kommt.“ Die 30-Jährige studiert Soziale Arbeit an der Universität Haifa und wuchs in einem religiösen jüdischen Elternhaus in Israel und den USA auf. Mit Younes Abdul Rahman hat sie „Yalla Languages“ initiiert. Der 29-jährige Araber kommt aus dem muslimischen Dorf Abu Gosh bei Jerusalem und studiert ebenfalls Soziale Arbeit. Sie lernten sich über ein Hebräisch-Arabisch-Tandem kennen.

Unterschiede überbrücken

Unterschiede überbrücken

Dank der Initiative treffen sich regelmäßig jüdische und arabische Studierende. Die jüdischen lernen bei Abdul Rahman Arabisch, die arabischen, die wie die meisten Araber in Israel fließend Hebräisch sprechen, lernen bei der Muttersprachlerin Ben-Ami Englisch. „Yalla Languages“ setzt beim Spracherwerb auf Spiele und Lieder und stellt das gegenseitige Kennenlernen in den Mittelpunkt.

„Wer die Sprache des anderen lernt, kommt ganz natürlich auch zu Fragen nach der Kultur und dem Alltag des anderen“, sagt Abdul Rahman. Die beiden haben auch „Talk on the Trail“-Ausflüge entwickelt. Beim Wandern sprechen und lernen die teilnehmenden Israelis, Neueinwanderer oder Ausländer abwechselnd Arabisch, Hebräisch und Englisch. In der Natur lerne man sich anders kennen als im Alltag, erklären Ben-Ami und Abdul Rahman. Religiöse und politische Meinungsverschiedenheiten gerieten in den Hintergrund, ohne ausgespart werden zu müssen: „Was zählt, ist eine gemeinsame Erfahrung, die die Unterschiede überbrückt.“ Noch zwei Tage vor dem 7. Oktober waren sie mit einer gemischtreligiösen Gruppe auf einer mehrtägigen Wanderung. Nachdem der Krieg eine Zwangspause einforderte, sind sie inzwischen wieder zumindest für Tagesausflüge gemeinsam unterwegs. „Wir wollten uns einfach nicht entmutigen lassen“, sagt Abdul Rahman.

Haifa, wo Ben-Ami und Abdul Rahman heute leben, war von dem andauernden Krieg bisher weniger betroffen als etwa Tel Aviv, Jerusalem und viele Orte im Süden und Zentrum Israels. Die Raketen der Hamas erreichen die Metropole im Norden Israels nicht. Auch die Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon zielten bisher nicht direkt auf die Hafenstadt am Mittelmeer. Viele fürchteten jedoch nach dem 7. Oktober, dass der Krieg das weitgehend friedliche Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen in der Stadt auf die Probe stellen könnte. Haifa ist die drittgrößte Stadt Israels mit einem großen Anteil arabischer Bewohner. Sie hat die zweitgrößte Bevölkerung arabischer Christen in Israel.

Angst vor Unruhen

Die Stadt gilt säkularen und liberalen Israelis als Modell für eine friedliche Koexistenz – im Gegensatz zum ewig umkämpften Jerusalem. Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober, der Gazakrieg und seine Folgen werden jedoch auch in Haifa Spuren hinterlassen. Schon bevor im Dezember 2022 die rechtsreligiöse Regierung unter Netanjahu vereidigt wurde, zeichnete sich ab, dass sich die Gräben vertiefen zwischen Israelis mit unterschiedlichen Hintergründen. Wenige Orte bleiben, wo Brücken möglich sind.

Andernorts, wo Juden, Christen und Muslime zusammenleben, kam es bereits zu Spannungen. Ganz wie in Haifa erweckt die Weihnachtsdekoration in Jaffa, mit der arabische Christen die Yefet Street geschmückt haben, den Eindruck, als sei in diesem Advent alles wie immer in dem multikulturellen Stadtteil von Tel Aviv. Der Ruf des Muezzins hallt von einer nahen Moschee hinüber zur wuchtigen St.-Antonius-Kirche. Nachdem die Bombenangriffe aus Gaza seltener geworden sind, herrscht vor den Geschäften wieder Gewimmel. „Viele hatten nach dem 7. Oktober Angst, dass wir hier wieder eine Situation haben werden wie zuvor, als es in Jaffa zu Unruhen kam“, sagt Shani Bar Tuvia.

In ihrer Wohnung erzählen die 37-Jährige und ihr gleichaltriger Mann Suliman Adam zwischen Chanukkaleuchter und Plastikweihnachtsbaum davon, wie sie den Krieg in Jaffa erleben. Bar Tuvia ist jüdische Israelin mit persischen, bucharischen, marokkanischen und deutschen Wurzeln und Enkelin eines Holocaust-Überlebenden aus Salzwedel. Adam ist Sohn muslimischer Eltern aus Syrien und dem Sudan, aufgewachsen in Berlin. Die Familie hat sich entschieden, trotz des Kriegs in Israel zu bleiben. „Wir leben nicht an der Grenze zu Gaza“, sagt Adam, „Ich fühle mich hier nicht wirklich bedroht.“

Das Paar hat sich in Berlin an der Universität kennengelernt und zog später nach Israel. Ihre kleinen Töchter Layal und Tammuz wachsen dreisprachig mit Hebräisch, Arabisch und Deutsch auf – und gleichzeitig mit jüdischen, muslimischen und christlichen Traditionen. „Wir leben in einem gemischten, sehr liberalen Umfeld“, sagt Bar Tuvia, „der Kindergarten von Layal ist zweisprachig, und die Kinder sind etwa zur Hälfte arabisch und jüdisch.“ In Israel sind die meisten Kindergärten und Schulen für Juden und Araber getrennt.

Viele bestätigen nur die eigene Sicht

Viele bestätigen nur die eigene Sicht

Ertönt die Sirene, die einen Bombenangriff ankündigt, zieht sich die Familie in einen Schutzraum in der Wohnung zurück. Der Krieg bestimmt auch ihren Alltag. „Natürlich haben auch wir uns kontrovers über die aktuelle Situation ausgetauscht“, sagt Bar Tuvia. Aber ihre Ansichten über Gaza seien nicht grundsätzlich gegensätzlich. Adam liest außer israelischen auch arabische Nachrichten. „Ich habe so die Möglichkeit, mir die Sicht beider Seiten anzusehen und zu erkennen, wo die Überschneidungen sind.“ Bei israelischen Freunden und auch bei Freunden aus Berlin beobachtet er, dass sie vor allem Nachrichten konsumieren, die ihre eigene Sicht bestätigen.

In Jaffa hat die Familie von Bar Tuvia und Adam einen Ort gefunden, wo ihre Töchter mit Hebräisch, Arabisch und zwischen verschiedenen Kulturen aufwachsen. „Ich habe hier weniger Erfahrungen mit Rassismus als in Deutschland gemacht“, sagt Adam. „Die Leute, denen ich auf der Straße begegne, denken, dass ich vielleicht äthiopischer oder jemenitischer Jude bin. Wenn ich Arabisch spreche, sehen mich die Araber als einen von ihnen.“ Den beiden ist klar, dass solche Erfahrungen nicht die Regel sind. Befreundete gemischt palästinensisch-israelische oder ausländische Paare haben das Land verlassen oder denken darüber nach, auszuwandern. Bar Tuvia und Adam wollen vorerst in Jaffa bleiben. Die beiden hoffen, dass in Israel auch in Zukunft noch Raum für ein gutes Miteinander von Juden, Christen und Muslimen bleibt.