Diese Kugeln aus Kalkstein sind rund 1,4 Millionen Jahre alt und stammen aus einer archäologischen Fundstätte in Israel. Foto: © Muller et al./Royal Society Open Science, CC-by 4.0

Vor rund 1,4 Millionen Jahren fertigten Vorfahren des heutigen Menschen fast runde, glatte Kugeln aus Stein. Hunderte dieser handlichen Objekte wurden in Israel entdeckt und analysiert. Waren sie Schmuck oder Statussymbole? Dienten sie rituellen oder kriegerischen Zwecken? Über eine archäologische Zeitreise zu unseren frühesten Vorfahren.

Die archäologische und paläoanthropologische Fundstätte Ubeidiya liegt rund drei Kilometer südlich des Sees Genezareth im mittleren Jordan-Tal, unweit des Kibbuz Beit Zera in Israel. Hier haben Spatenforscher rund 150 Steinzeitkugeln ausgegraben. Das an sich ist schon eine archäologische Sensation.

Doch die Ausgrabungsgeschichte wird noch spannender, wenn man sich das Alter der Artefakte vor Augen führt. Die fast runden und glatten Objekte sind nämlich circa 1,4 Millionen Jahre alt. Sie wurden von Antoine Muller von der Hebräischen Universität Jerusalem und seinen Kollegen untersucht. Ihre Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „The Royal Society Publishing“ veröffentlicht.

Was ist über ähnliche Kugeln aus der späten Steinzeit bekannt?

Zwischen 3000 und 2000 v. Chr. in Schottland gefertigte Carved Stone Balls. Foto: Imago/VWPics
Steinzeitkugel mit zwei großen Noppen. Foto: Imago/Photo12
Fünf Kugeln mit Rillen und unterschiedlichen Noppen-Formen. Foto: Imago/Ashmolean Museum, University of Oxford/Heritage Images
Carved Stone Ball mit Rillen und Verzierungen (um 3000 v. Chr.). Foto: Imago/stock&people
Carved Stone Ball mit zahlreichen Noppen aus dem Spätneolithikum (um 3000 v. Chr.). Foto: Imago/United Archives Internationa/l

Bisher bekannte „Carved Stone Balls“ (englisch für: geschnitzte Steinkugeln) entstanden vermutlich im späten Neolithikum und in der Bronzezeit (3500 bis 1500 v. Chr.). Es sind etwa 450 Exemplare aufgefunden worden, die meist aus dem schottischen Aberdeenshire stammen.

Bei diesen spätneolithischen Steinkugeln handelt es sich vermutlich um Statussymbole. Die meist kugeligen, nur selten ovalen Objekte wurden aus Hartgesteinen wie Granit, Gabbro, Gneis, Diabas, Diorit oder Quarzit sowie aus Weichgesteinen wie Sandstein und Serpentinit sorgfältig und aufwendig hergestellt.

Meist haben sie einen Durchmesser von sieben Zentimeter und liegen gut in der Hand. Einige weisen vier, andere sechs und wieder andere eine unterschiedliche Anzahl von Noppen auf. Viele von ihnen haben Muster, die aus linearen, spiralförmigen oder konzentrischen Ritzungen bestehen.

Wer hat die 1,4, Millionen Jahre alten Kugeln gemacht und wozu?

Fundorte der Steinzeit-Kugeln und Lage der Ausgrabungsstätte Ubeidiya. Foto: © Muller et al./Royal Society Open Science, CC-by 4.0

Die Kugeln aus Israel bestehen aus Kalkstein, Feuerstein oder Basalt und sind fast genauso perfekt wie ihre Nachfolgemodelle. Nur das sie sehr viel älter sind. Wie bereits gesagt: 1,4 Millionen Jahre. Solche grazilen Kugeln, sogenannte Sphäroide, wurden bereits in anderen steinzeitlichen Fundstätten entdeckt.

150 dieser Sphäroide aus Ubeidiya haben Antoine Muller und sein Team per Laserscan nun vermessen und dreidimensional kartiert. Mit Hilfe der 3D-Daten bestimmten sie die Größe und Zahl der Kanten, die Winkel und Krümmung der Oberflächen sowie die Rundheit der Steinkugeln. Auch die Bearbeitungszustände waren ein wichtiges Kriterium.

Trotz Analyse bleiben die Kugeln rätselhaft

Die Analyse zeigt, dass die Objekte von den Vorfahren des modernen Menschen solange gezielt zurecht gehauen wurden, bis sie fast perfekt kugelförmig waren.

Einfache Faustkeile, Hammersteine und Handbeile waren zu dieser Zeit nichts ungewöhnliches und gehörten schon vor 2,9 Millionen Jahren zum Werkzeug- und Jagdinventar unserer Urahnen. Doch diese Kugeln sind außergewöhnlich.

Sphäroide aus der Zeit von 2,9 Millionen Jahre bis 6500 v. Chr.

Mit Hilfe der 3D-Daten bestimmten sie die Größe und Zahl der Kanten, die Winkel und Krümmung der Oberflächen sowie die Rundheit der Steinkugeln n. Auch die Bearbeitungszustände waren ein Kriterium. Foto: © Muller et al./Royal Society Open Science, CC-by 4.0

„Diese Sphäroide geben Archäologen wegen ihrer unklaren Funktion und ungewöhnlichen Form schon länger Rätsel auf“, erklärt Muller. „Was wir aber wissen ist, dass diese Kugeln zu den am längsten vorkommenden Steintechnologien gehören.“

Die ältesten Sphäroide stammen aus der Oldowan-Ära in Afrika (2,9 bis 1,5 Millionen Jahre), der Acheuleen-Kultur (1,76 Millionen bis 150 000 Jahre) und der Mittelsteinzeit (9600 bis 6500 v. Chr.). Doch wozu dienten sie? Wie und warum wurden sie hergestellt? Bisher war strittig, ob die Kugeln zufällig oder absichtlich entstanden sind.

Absichtlich, aufwendig und gezielt hergestellt

In der Fundstätte Ubeidiya haben die Archäologen insgesamt rund 600 Artefakte ausgegraben. Einige von ihnen sind die ältesten Objekte dieser Art außerhalb Afrikas. „Wir haben ein klares Muster der Abschläge beobachtet, bei dem immer eine größere Abschlagsfläche als Ausgangsplattform genutzt wurde“, so Muller.

Ziel der Steinhauer von Ubeidiya sei es nicht gewesen, ein glattes, nur ungefähr rundes Objekt zu erschaffen. Muller zufolge strebten sie „das Ideal einer perfekten Kugel“ an. Dem näherten sie sich „durch immer weitere, gezielte Abschläge“ des vorhandenen Materials an.

Die Forscher schließen aus, dass die Kugeln bloße Nebenprodukte bei der Werkzeugherstellung oder -nutzung gewesen sein könnten. „Auch wenn zufälliges Abschlagen manchmal aussehen kann wie Absicht, ist es eher unwahrscheinlich, dass dabei etwas so Unnatürliches wie eine perfekte Kugel entsteht.“

Gab es eine regelrechte Steinzeitkugel-Massenfertigung?

Homo-erectus-Frau beim Feuermachen. Foto: Imago/Stock Trek Images
Homo heidelbergensis beim Behauen eines Tierknochens. Foto: Daniel Naupold/picture alliance/dpa

Das Ergebnis der Analysen ist faszierend und vielschichtig. Denn es bedeutet, dass bereits vor gut 1,4 Millionen Jahren Frühmenschen gezielt und in größeren Mengen solche Steinkugeln produziert haben müssen. Muller: „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass die Sphäroide von ‚Ubeidiya‘ eine komplexe, formale Technologie darstellen, die die kognitiven Fähigkeiten und die Kunstfertigkeit dieser Homininen widerspiegelt.“

Die Kugeln könnten damit zu den frühesten symmetrischen Objekten überhaupt gehören, welche die Vorfahren des Homo sapiens anfertigten.

Doch wozu dienten sie? Waren sie Schmuckstücke oder Statussymbole? Erfüllten sie einen rituellen oder kriegerischen Zweck? All diese Fragen sind trotz der neuen Untersuchungen ungeklärt. Fest steht nur, dass der Homo erectus oder zeitgleich mit ihm lebende andere Vorfahren des modernen Menschen wie der Homo heidelbergensis als Schöpfer der Sphäroiden in Frage kommen.