Der Präsidentschaftskandidat Wolfgang Dietrich ist umstritten, Jos Luhukay und Jan Schindelmeiser verstehen sich nicht gut und die Mannschaft zeigt noch nicht die für den Aufstieg nötige Leistung. Montage: EZ Quelle: Unbekannt

Von Sigor Paesler

Stuttgart – Der Abstieg nach 39 Jahren ununterbrochener Bundesliga-Zugehörigkeit hat geschmerzt. Sehr geschmerzt. Es gab im Umfeld des VfB Stuttgart aber nicht wenige Menschen, die den Niedergang in die 2. Fußball-Bundesliga mit geballter Faust so kommentierten: „Es war mal nötig.“ Oder: „Vielleicht lernen sie was daraus.“ „Sie“, damit war die Vereinsführung gemeint, von der nach dem Ende der abgelaufenen Saison jedoch nicht mehr viel übrig blieb. Die Hoffnung war groß, dass der Abstieg eine reinigende Wirkung haben und der Verein gestärkt daraus hervorgehen würde. So wie etwa Borussia Mönchengladbach. Die Borussia, zuletzt in der Saison 2007/2008 in der 2. Bundesliga, spielte gestern Abend in der Champions League bei Manchester City.

Und der VfB? Von Befreiung keine Spur. Nach vier Spieltagen im Unterhaus herrscht ein heftiges Durcheinander und nicht nur auf dem Platz viel Verunsicherung. Drei große Baustellen gibt es: der Wirbel um den umstrittenen Präsidentschaftskandidaten Wolfgang Dietrich, der offene Konflikt zwischen Trainer Jos Luhukay und Sportvorstand Jan Schindelmeiser sowie die sportlich unbefriedigende Situation, die in der schwachen Vorstellung beim jüngsten 1:2 gegen den 1. FC Heidenheim einen vorläufigen Tiefpunkt hatte. Der VfB kommt nicht zur Ruhe. Die Angst geht um, dass es mit dem auch finanziell wichtigen direkten Wiederaufstieg in die Bundesliga nichts wird.

Baustelle 1: Die Präsidentenwahl

Die Stuttgarter machen es andersherum als üblich. Sie müssen es notgedrungen anders herum machen. Nach dem Abstieg stand der Verein ohne Präsident, ohne Sportvorstand und ohne Trainer da. Normalerweise engagiert ein Präsident einen Sportvorstand, der einen Trainer verpflichtet. Beim VfB lief es so: Der neue Trainer Jos Luhukay war schnell gefunden, den ersten Kontakt hatte kurz vor seiner Demission noch der bisherige Sportvorstand Robin Dutt hergestellt. Dann rang sich der – in dieser Frage nicht einige – Aufsichtsrat zur Trennung von Dutt durch und verpflichtete für diese Position Jan Schindelmeiser. Jetzt fehlt noch ein Nachfolger des zurückgetretenen Bernd Wahler als Präsident.

Viele Beobachter und VfB-Fans glaubten, nicht richtig gehört zu haben, als sie den Namen des Mannes hörten, den der Aufsichtsrat für die Wahl am 9. Oktober vorschlägt: Wolfgang Dietrich. Ganz unabhängig davon, ob der 68-Jährige fachlich für diesen (ehrenamtlichen) Job geeignet ist, stellt sich die Frage, wie das Kontrollgremium auf einen Mann kommen kann, der in der Bevölkerung so umstritten ist. Der Verein bräuchte angesichts der kritischen Gesamtsituation einen Präsidenten, der ausgleichen kann. Der eint und moderiert. So einen, wie es Erwin Staudt war. Oder auch Wahler.

Dietrich hat sich als Sprecher des Bahnprojektes Stuttgart 21 im Ländle viele Feinde gemacht – der Riss zwischen Befürwortern und Gegnern des Projektes geht auch quer durch die Reihen der Fußball-Fans. Den Posten gab Dietrich Anfang 2015 ab und er betont, er habe damit abgeschlossen: „Ich habe diese Tätigkeit vor eineinhalb Jahren beendet und mich seither zu diesem Thema nicht mehr geäußert.“

Die Stuttgart-21-Vergangeheit haftet Dietrich an, größere Bauchschmerzen bereiten vielen Mitgliedern, denen Dietrich am 9. Oktober als einziger Kandidat zur Wahl gestellt wird, dessen geschäftliche Verflechtungen im Fußball. Er besitzt oder besaß mehrere Firmen, die im Bereich Sport aktiv sind. Die „Quattrex Sports AG“ etwa greift finanziell angeschlagenen Vereinen unter die Arme, erhält dafür Zinsen und partizipiert an möglicherweise steigenden Fernseheinnahmen. Im August gab Dietrich seinen Aufsichtsratsposten bei Quattrex auf, die Geschäfte führt unter anderem sein Sohn Christoph. Es ist zumindest fraglich, ob nun kein Interessenskonflikt mehr besteht. Die Deutsche Fußball-Liga prüft anlässlich einer Anfrage des VfB und von Dietrich noch, ob ein Verstoß gegen entsprechende Statuten vorliegt. Auch heikel: Laut „Stuttgarter Zeitung“ und SWR pflegt Quattrex geschäftliche Beziehungen unter anderem mit den Stuttgarter Zweitliga-Konkurrenten 1. FC Heidenheim, Union Berlin, 1. FC Nürnberg und 1. FC Kaiserslautern. 

Baustelle 2: Konflikt zwischen Trainer und Sportvorstand

Die anwesenden Journalisten staunten nicht schlecht, als sich VfB-Trainer Luhukay vor einer Woche in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Heidenheim nicht gerade enthusiastisch über die jungen Zugänge Benjamin Pavard, Carlos Mané und Takuma Asano äußerte und andeutete, er hätte gerne erfahrenere Spieler bekommen. Er betonte, die sportliche Leitung habe das Trio verpflichtet, nicht er. Die sportliche Leitung, das ist vor allem Sportvorstand Schindelmeiser. Dabei war den Stuttgartern in der Szene vor allem zur Verpflichtung des vom FC Arsenal ausgeliehenen und zuvor unter anderem vom Bundesligisten FC Augsburg umworbenen Asano gratuliert worden. Zudem hatte der Verein – zum Teil vor Schindelmeisers Amtsantritt – schon erfahrene Luhukay-Wunschspieler wie Simon Terodde, Haijme Hosogai und Tobias Werner geholt.

Nach der peinlichen 1:2-Schlappe gegen Heidenheim trat der Konflikt offen zutage. Schindelmeiser wollte Luhukays Aussage, die Mannschaft habe „Angst gehabt“, nicht stehen lassen und sah sich in Rechtfertigungsdruck zu seiner Transferpolitik: „Ich bin auch verantwortlich für die Zukunftsfähigkeit des Vereins“, sagte er. „Bei nomineller Betrachtung unseres Kaders“ müsse man den VfB „schon ganz weit oben“ eingruppieren. Auch was die Bewertung der Personalie Alexandru Maxim betrifft, sind sich die beiden nicht einig. Luhukay baut nicht auf den rumänischen Spielgestalter. „Bringen Sie mich mit dieser Frage nicht in Verlegenheit“, sagte Schindelmeiser darauf angesprochen. „Es ist schon richtig, zwischen uns ist es wenig harmonisch“, sagte Luhukay der „Bild“-Zeitung.

Dass sich Manager und Trainer in Transferfragen nicht immer einig sind, ist nicht außergewöhnlich. Dass der Zoff in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, dagegen schon. Und das trägt nicht zur Beruhigung der Lage bei.

Wäre beim VfB im Sommer die übliche Reihenfolge möglich gewesen: Sportvorstand Schindelmeiser hätte Trainer Luhukay vermutlich nicht verpflichtet. 

Baustelle 3: Die sportliche Situation

Sollte der VfB im Mai die Rückkehr in die Bundesliga feiern und das Duo Schindelmeiser/Luhukay sich zusammengerauft haben, wird ihr jetziger Konflikt als Scharmützel zu Beginn einer holprigen Saison abgehakt sein. Aber noch sieht es nicht danach aus. Zwei Siege aus vier Spielen werden hochgerechnet nicht reichen, der Auftritt gegen Heidenheim war desolat. Im Spielaufbau und vor allem in der Abwehr. Die Mannschaft zeigte eine Verunsicherung, als habe sie noch kein einziges Saisonspiel gewonnen. Personell gibt es jetzt keine Ausreden mehr: Mit Ausnahme von Daniel Ginczek stehen Luhukay alle Spieler zur Verfügung. Die, die er wollte. Und die, die er trotzdem bekam. Die defensivstarken Timo Baumgartl, Kevin Großkreutz und Hosogai haben ihre Verletzungen auskuriert, die jüngsten Neuzugänge sind seit knapp einer Woche im Training.

Die Qualität des Kaders müsste für die sofortige Rückkehr des VfB Stuttgart in die Fußball-Bundesliga stark genug sein. Durch die Störgeräusche abseits des Platzes ist der Traditionsverein zurzeit jedoch selbst sein größter Gegner.