Mit Hilfe von Plektron und Saugnapf wird versucht, das Glas des Displays abzunehmen und das beschädigte iPad zu öffnen. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Eine Wasserflasche ist schuld. Genau gesagt: eine ausgelaufene Wasserflasche. Als das Malheur passiert, ist das Tablet der Marke Apple gerade erst eine Woche lang im Besitz von Claudia Wydrowski. „Seither reagiert das Gerät nicht mehr an verschiedenen Stellen“, sagt die 25-Jährige bedauernd. Und so sitzt sie an diesem Samstagvormittag an einem von mehreren Tischen im Max-Bense-Forum im Untergeschoss der Stadtbibliothek. In dem ganz in blau gehaltenen Raum hat an diesem Tag das Repair Café seine Türen geöffnet. Vor Claudia Wydrowski liegt das beschädigte iPad, in ihrer Hand hält sie einen blauen Heißluftföhn, mit dem sie versucht, den Kleber rund um das Display aufzuwärmen und zu entfernen. Nur so kann ein Blick in das Innere des Geräts geworfen, nur so kann dessen Lebenszeit eventuell noch verlängert werden. Immer wieder schaltet die Stuttgarterin das Gebläse aus und prüft mit Hilfe von Plektron und Saugnapf, ob sich das Glas anheben lässt. Bisher jedoch ohne Erfolg. „Das klebt einfach zu fest“, sagt Wydrowski resigniert. „Nicht aufgeben, das wird noch“, ermutigt sie der junge Mann, der neben ihr sitzt.

Am Eingang hat sich kurzzeitig eine Schlange gebildet. Die Ankommenden tragen sich in eine Liste ein, Name, Gerätetyp und die vermeintliche Ursache für den Defekt werden notiert. Und natürlich muss noch ein Haftungsausschluss unterschrieben werden, der festhält, dass die Mitarbeiter des Repair Cafés keine Garantie für die Reparatur übernehmen. Sobald ein Platz frei wird, kommt der nächste Besucher mit seinem Gerät zum Zug. Das Angebot ist stark nachgefragt, schließlich kennt das Problem jeder: Was tun, wenn der Föhn plötzlich Funken sprüht? Der Toaster nicht mehr warm wird? Sich das Handy nicht anschalten lässt? Der Fernseher nicht mehr flimmert und der Koffer seine Rollen verliert? Meist lautet die Antwort darauf: Alles so schnell wie möglich im Müll beziehungsweise im Wertstoffhof zu entsorgen. Oder man repariert es - vorausgesetzt, man weiß, wie es geht und man verfügt über das entsprechende Werkzeug. Die Idee für die Repair Cafés stammt aus den Niederlanden, wo es eine Umweltjournalistin satt hatte, Dinge einfach wegzuwerfen und die Schrottberge weiter anwachsen zu lassen. Ihre Antwort: ein Reparaturtreffen, das in Amsterdam 2009 erstmals abgehalten wurde. Seither hat die Idee immer mehr Anhänger gefunden und ist längst auch nach Deutschland übergeschwappt. Im Stuttgarter Westen hat sich 2014 das Repair Café gegründet - es ist nicht das einzige in der Landeshauptstadt und in der Region. Als „Konkurrenz“ sieht man sich nicht. Im Gegenteil. Jedes Treffen hilft, die Umwelt zu schonen, Jung und Alt kommen miteinander ins Gespräch, technisches Wissen wird an Laien weitergegeben - so wie an diesem Tag in der Stadtbibliothek.

Alle Lampen an der Decke brennen, die Gespräche werden von den Anwesenden fast flüsternd geführt. Zu zweit oder zu dritt stecken sie die Köpfe zusammen, schauen sich kurze Filme mit Reparatur-Anleitungen im Internet an und diskutieren. Lötkolben glühen. Elektrogeräte werden aufgeschraubt, auseinander genommen und wieder zusammengesetzt. Und manchmal - nicht immer - gelingt es, dem „Patienten“ wieder neues Leben einzuhauchen. Dann ist die Freude bei den Besitzern und den Helfern gleichermaßen groß.

Sylvia Keck ist seit längerem Mitglied des Organisationsteams. An diesem Tag läuft die junge Frau von Tisch zu Tisch und lädt die Besucher dazu ein, sich am Büfett zu bedienen. Backwaren vom Vortag werden dort kostenfrei angeboten. Auch das ein Zeichen gegen die Wegwerfmentalität. Wer will, kann eine kleine Spende abgeben. Durch einen Facebook-Aufruf, erzählt die Lehrerin, sei sie auf das Projekt aufmerksam geworden. Und nicht nur sie. Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer steigt: Vom Hobbybastler über den Maschinenbauingenieur bis zum Elektriker im Ruhestand stehen den durchschnittlich 80 Besuchern zahlreiche Experten mit Rat und Tat zur Seite. Zum Werkzeug greifen müssen die Hilfesuchenden allerdings selbst. Da hilft kein Verweis auf zwei linke Hände oder mangelnde technische Expertise. „Wir wollen auch die Fähigkeit vermitteln, Gegenstände selbst zu reparieren“, betont Keck. Auch das sei in der heutigen Gesellschaft verloren gegangen. Zudem mache es unabhängiger von Industrie und Herstellern, die mitunter absichtlich Schwachstellen in ihre Produkte einbauen würden.

Auch wenn Haushaltsgegenstände wie Toaster & Co. sowie digitale Hilfsmittel wie Handys oder Computer den Großteil der Geräte ausmachen, werden auch Kuriositäten vorbeigebracht - wie eine alte Jukebox. Für die meisten Lacher hat bisher jedoch ein jahrzehntealtes Massagegerät mit Drahtbürste gesorgt, das mit Gas und Unterdruck betrieben wurde. „Keiner von uns hatte je so etwas gesehen. Als wir mehr über das Gerät wissen wollten und im Internet googelten, stellten wir fest, dass es offenbar in der SM-Szene verwendet wird.“

Das Repair Café ist am 22. Oktober von 10.30 bis 14.30 Uhr in der Volkshochschule, Rotebühlplatz, zu Gast.