In solchen Eingangsbüchern sind die Objekte aufgelistet, die zwischen 1933 und 1945 in die stadtgeschichtliche Sammlung kamen. Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Das Stadtmuseum im Wilhelmspalais wird in einem Jahr eröffnen. Die künftige Ausstellung soll den Besuchern anhand vieler Exponate die Geschichte Stuttgarts näher bringen. Die Sammlung besteht mittlerweile aus rund 12 000 Objekten - doch nicht immer ist eindeutig geklärt, woher so manches gute Stück stammt. Die Herkunft der in der NS-Zeit hinzugekommenen Objekte wird jetzt erforscht.

In Stuttgart wurde im Jahr 1928 damit begonnen, Objekte, die für die Stadtgeschichte Stuttgarts von Bedeutung sind, zu sammeln. Das Stadtarchiv trug Möbel, Haushaltsgegenstände, Textilien, Silber, Kunsthandwerk und Musikinstrumente zusammen. In den 1930er- und 1940er-Jahren erfuhr die Sammlung eine deutliche Erweiterung. Aber woher stammten diese Objekte? Gelangten sie womöglich aufgrund von Verfolgung ihrer Vorbesitzer im Nationalsozialismus in den Bestand? Solchen Fragen geht Helena Gand seit diesem Juni nach. Die Historikerin ist zuständig für die systematische Erforschung der Herkunft sämtlicher Erwerbungen der stadtgeschichtlichen Sammlung Stuttgart zwischen 1933 und 1945 - nach jetzigen Erkenntnissen müssen 1442 Objekte unter die Lupe genommen werden. Vielleicht werden es aber auch noch mehr.

Die Provenienzforschung (Provenienz kommt vom lateinischen Wort für „Herkunft) ist keine einfache Angelegenheit. In der Regel ist zwar jedes Objekt, das in die Sammlung gekommen ist, in den Eingangsbüchern oder auf alten Karteikarten vermerkt - zum Teil auch mit hilfreichen Notizen wie dem Namen des Gebers oder Angaben zum Kaufpreis. Doch oft seien die Informationen ungenau, räumt Gand ein. Mit detektivischem Spürsinn geht sie die Listen nun durch - und hat bereits erste Erkenntnisse gewonnen.

Mindestens 74 der 1442 Objekte wurden demnach über andere Ämter an das Stadtarchiv abgegeben. Dazu gehört beispielsweise die Präsidialglocke aus der ehemaligen Dorfgemeinde Sillenbuch. Mit der Eingemeindung 1933 wurde sie dort nicht mehr benötigt und so landete sie schließlich zur Verwahrung im Archiv. Auch Stadtfahnen, Stempel und Siegel, die irgendwann nicht mehr genutzt wurden, kamen mit den Jahren in die Sammlung. „Diese Objekte können zu einen Großteil von dem Verdacht auf verfolgungsbedingten Entzug freigesprochen werden, da sie quasi seit ihrem Bestehen im Besitz der Stadt sind“, sagt Gand.

Bei mehr als 500 anderen Objekten, die von einem gewissen Otto Burger für die Sammlung angekauft wurden, sei es da schon schwieriger. Der Stuttgarter Flaschnermeister, der offenkundig seit 1936 rege Geschäftskontakte zum Stadtarchiv pflegte, vermittelte diesem vor allem Objekte aus dem handwerklichen Bereich und der Landwirtschaft. Woher er diese Gegenstände hatte, das will Gand herausfinden - und wird sich dafür auch durch die Archive anderer Einrichtungen kämpfen müssen. Weitere rund 100 Objekte kamen über verschiedene Institutionen, wie die städtische Pfandleihanstalt, die Mittelstandshilfe oder die Fürsorgeanstalten, in die Sammlung. Deren Herkunft sei fragwürdig, so Gand. Denn die städtische Pfandleihanstalt fungierte im Nationalsozialismus als Sammelstelle für die Edelmetallabgabe, zu der jüdische Bürger Stuttgarts ab Februar 1939 gezwungen waren. Mindestens 60 Objekte des Stadtmuseums würden aus dieser Quelle stammen - das sogenannte Judensilber füllt einen ganzen Schrank.

60 weitere Stücke hat die Stadt von den Stuttgarter Händlern Otto Greiner und Paul Hartmann gekauft. Ihnen wurde der Handel mit jüdischem Kulturgut bereits mehrfach nachgewiesen. Der Verdacht liege also nahe, dass sich unter diesen Objekten Dinge befinden, die ihren Vorbesitzern unrechtmäßig entzogen worden seien oder unter dem Druck der Verfolgung für einen zu niedrigen Preis verkauft wurden. „Dies wird nun mithilfe von Auktionskatalogen und Unterlagen von Versteigerungen überprüft“, schildert Gand ihre Arbeit. Die Herkunftsrecherche sei auch bei den mehr als 300 Exponaten erforderlich, die vom Antiquitätenhändler Karl Sauter stammen.

In den Eingangsunterlagen würden noch viele weitere Namen auftauchen, die nun überprüft werden müssten, berichtet die Historikerin. „Einige erscheinen als Händler häufiger in der Objektkartei. Bei anderen scheint es sich um Privatpersonen zu handeln, die sich einmalig an das Stadtarchiv richteten. So wie Antonie Wiedmann, die sich 1940 von ihrer seit über 100 Jahren in Familienbesitz befindlichen Harfe trennte, als sie aus ihrer Wohnung zog. Ob sie das aus freien Stücken oder auf Druck hin tat? Den Umständen der Übergabe an das Stadtarchiv wird Gand in diesem und vielen weiteren Fällen nachgehen. Eine zeitaufwendige Angelegenheit. Dass sie bis zur Eröffnung des Stadtmuseums im Herbst nächsten Jahres die Herkunft aller 1442 Objekte klären konnte, ist eher unwahrscheinlich. Eine Verlängerung ihrer bislang auf ein Jahr befristeten Stelle um weitere zwei Jahre ist bereits beantragt. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert das Projekt mit rund 80 000 Euro.