Plakativer Hinweis: Ein Banner mit der Aufschrift „Feinstaubalarm in Stuttgart“ hängt an einer Fußgängerbrücke über der Bundesstraße 14. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Kleines Jubiläum für Stuttgarts Feinstaubalarm: Am heutigen Mittwoch jährt sich der bundesweit erste Luftnotruf. Der damit verbundene freiwillige Verzicht auf Autos und Komfortkamine ist jedoch weiterhin umstritten. Den einen geht die Maßnahme zu weit, den anderen nicht weit genug.

Am 11. Januar 2016 haben Stadt und Land den Feinstaubalarm erstmals vorgestellt. Das Ziel: Pendler sollen freiwillig ihr Auto stehen lassen und auf Bus und Bahn umsteigen, damit die Feinstaubwerte in der Landeshauptstadt endlich unter die EU-Vorgaben sinken. Vor allem am Neckartor werden die Grenzwerte öfter als zulässig überschritten. Am 18. Januar dann trat der allererste Feinstaubalarm in Kraft - und fand wenig Resonanz: SSB und Bahn verzeichneten keinen Fahrgastzuwachs, die städtische Verkehrsleitstelle konnte keine nennenswerte Verringerung des Verkehrsaufkommens feststellen. Eine Woche dauerte der erste Feinstaubalarm, ohne dass die Luftbelastung im Talkessel deutlich zurückgegangen war.

Die Stadt Stuttgart hat bislang zwölf Mal Feinstaubalarm ausgelöst, der mal länger und mal kürzer ausfiel. An bis dato insgesamt 67 Tagen waren Autofahrer zum freiwilligen Fahrzeugverzicht aufgefordert. Bislang ist dieser Appell verpufft, am Neckartor - dem bundesweiten Hotspot - wurden allein im vergangenen Jahr 63 Überschreitungstage registriert. Zulässig sind höchstens 35. Besonders ärgerlich aus Sicht von Oberbürgermeister Fritz Kuhn: An vielen Tagen wurde der Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft mehrfach nur knapp verfehlt.

Zwar wird die Zahl der Grenzwertüberschreitungen weniger, doch der Weg zu akzeptablen Werten ist noch weit. Die Feinstaubalarme haben den öffentlichen Verkehrsmitteln nur fünf bis sechs Prozent mehr Fahrgäste beschert. Restriktionen scheinen unausweichlich zu sein. Schon vor einem Jahr wurden Fahrverbote in den Raum gestellt, sollte sich der erhoffte Erfolg bis 2018 nicht einstellen. Denn klar ist: Der Verkehr muss während eines Feinstaubalarms am Neckartor um 20 Prozent reduziert werden. Dieses Zugeständnis haben Stadt und Land in einem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht gegenüber klagenden Anwohner gemacht. Zudem sitzt Deutschland die Europäische Kommission im Nacken. Sie könnte Klage gegen die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Sollte Deutschland verurteilt werden und das Urteil nicht befolgen, kann der EuGH ein Zwangsgeld in sechsstelliger Höhe festlegen.

Der Countdown läuft: Werden die Grenzwerte auch 2017 überschritten, kann es zu Fahrverboten in Stuttgart kommen. Doch wie könnten diese aussehen? Alle Diesel raus? Einfahrt frei nur noch für jedes zweite Fahrzeug wie in Paris? Sperrungen ganzer Straßenzüge bei hoher Luftverschmutzung? Der Fantasie scheinen keine Grenzen gesetzt. Details dazu gibt das Land noch nicht preis, sie sollen mit der Fortschreibung des Luftreinhalteplans nach den Sommerferien veröffentlicht werden. Der Druck jedenfalls ist groß: Ohne die Einführung der blauen Plakette, die der Bund hartnäckig verweigert, wird es schwer sein, die Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen.

Große Hoffnungen setzt man daher auf einen weiteren Ansatz zur Reduzierung der Feinstaubbelastung: Gegen Kritik der Heizungsbranche soll das Verbot von Kaminöfen ohne Heizungsfunktion, sogenannte Komfortkamine, an Feinstaubalarmtagen in Stuttgart am 1. März dieses Jahres in Kraft treten. Untersuchungen zufolge sind Holzfeuer mit etwa 20 Prozent der zweitgrößte Verursacher der Verschmutzung. Nach Angaben des Verkehrsministeriums geht es um etwa 20 000 Komfortkamine. Das Kabinett soll der Sperre noch im Februar zustimmen.

Über Sinn und Unsinn der Luftreinhaltemaßnahmen in Stuttgart wird weiterhin viel diskutiert. Während sich die Wirtschaft klar gegen Verbote ausspricht, gehen Umweltschützern schon die bisherigen Maßnahmen nicht weit genug. OB Kuhn setzt weiter auf die Einsicht der Bürger. „Es wäre doch viel besser, die Gesellschaft bringt es selbst fertig, dass die Stadtluft sich verbessert.“ Das sei zwar angesichts der Kessellage Stuttgarts schwierig. „Meine Vision heißt aber: Das packen wir trotzdem.“

Seit Montag gilt in der Landeshauptstadt wieder Feinstaubalarm. Sein Ende ist bislang offen.