Börsenchef Michael Völter: Die Stimmung hat sich gedreht. Der Markt hat derzeit keine klare Richtung, daher dominiert Zurückhaltung. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Stockholm - Private Anleger können an der Börse Stuttgart - sie wurde 1861 gegründet und liegt mitten in Stuttgart - Aktien, verbriefte Derivate, Anleihen, Fonds und Genussscheine handeln. Mit 35 Prozent des Orderbuchumsatzes ist die Börse der führende deutsche Parketthandelsplatz. Mit einem Handelsvolumen von mehr als 94 Milliarden Euro in allen Anlageklassen im vergangenen Jahr liegt die Börse an zehnter Stelle unter den Börsen in Europa. Für den Stuttgarter Börsenchef Michael Völter ist das Vertrauen der Anleger das wichtigste Gut.

Besitzen Sie Aktien?

Völter: In Wertpapiere zu investieren ist für mich eine Selbstverständlichkeit - natürlich besitzt ein Börsenchef auch Aktien.

Wann haben Sie Ihre erste Aktie gekauft?

Völter: Als Porsche im Jahr 1984 erstmals Vorzugsaktien ausgab, habe ich mir diese damals als Auszubildender gekauft.

Wo sind Sie sonst noch investiert?

Völter: Ich lege bei der Geldanlage Wert darauf, möglichst breit zu streuen. Dazu gehören für mich alle Wertpapierklassen wie Anleihen, Fonds, verbriefte Derivate, ETFs und eben auch Aktien.

Als Börsenchef sind Sie zu Neutralität verpflichtet. Wo ist die Neutralität der Börse verankert und wie kommt sie zum Ausdruck?

Völter: Eine Börse ist ein neutraler Handelsplatz, über den Wertpapiere zu marktgerechten Preisen fair und transparent gehandelt werden können. Die Neutralität leitet sich unter anderem aus dem Börsengesetz ab. Dort ist festgelegt, dass kein Handelsteilnehmer bei Preisfeststellung und Orderausführung bevorzugt werden darf. Eine Besonderheit an der Börse Stuttgart ist das Auktionsprinzip: Alle Orders mit gleichem Limit werden gleich behandelt - unabhängig davon, wer seinen Auftrag zuerst aufgibt. So sind private Anleger auf Augenhöhe mit professionellen Investoren. An anderen Handelsplätzen gilt dagegen das Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Welche Anlage empfehlen Sie?

Völter: Als Chef einer öffentlich-rechtlichen Börse bin ich zur Neutralität verpflichtet. Ich kann aber in jedem Fall empfehlen, sich mit der eigenen Geldanlage zu beschäftigen. Es ist wichtig, selbstbewusst an das Thema heranzugehen und Chancen und Risiken zu kennen. Dann fällt der Weg an die Börse nicht allzu schwer.

Wohin entwickelt sich die deutsche Börsenlandschaft?

Völter: Seit Jahren erleben wir einen intensiven Wettbewerb unter den Handelsplätzen. Dabei geht die Fragmentierung der Orderströme auch jenseits der Börsen weiter. Wir haben unsere Marktposition als Privatanlegerbörse in den vergangenen Jahren gut behauptet und in einigen Anlageklassen sogar ausgebaut. Dabei punkten wir mit Qualität und Verlässlichkeit: Der Handel ist öffentlich-rechtlich organisiert. Dies ist insbesondere für Privatanleger wichtig, die damit ein hohes Maß an Schutz vorfinden.

Welche Auswirkungen hat der Brexit, insbesondere auch für den Finanzplatz London?

Völter: Welche Auswirkungen der Brexit für London hat, ist für mich nicht vorrangig. Ich stehe an der Spitze des Börsenplatzes Stuttgart und setze mich für den Finanzplatz Baden-Württemberg ein. Ich bin aber auch überzeugter Europäer. Der Brexit ist eine der größten Herausforderungen für die Europäische Union seit ihrer Gründung, kann aber auch eine Chance bedeuten. Solch ein Schock rüttelt wach und ist Anlass, das eigene Handeln auf den Prüfstand zu stellen. Wir alle sollten uns auf die Grundwerte von Europa besinnen und diese leben. Im Idealfall geht die EU dann gestärkt aus dem Brexit hervor.

Wie beurteilen Sie die Fusion der Deutschen Börse mit London?

Völter: Die Fusionspläne in Frankfurt und London möchten wir nicht kommentieren. Ich bitte um Ihr Verständnis.

In Deutschland stagniert Ihr Geschäft als Börse. Welche Rolle spielen Auslandsaktivitäten? Ist die Expansion der Börse Stuttgart ins Ausland abgeschlossen, oder sind weitere Schritte geplant?

Völter: Die Entwicklung der Handelsaktivitäten unserer skandinavischen Tochter Nordic Growth Market seit 2008 zeigt, dass unser Angebot von den dortigen Anlegern sehr gut angenommen wird. 2015 wurden mehr als zwölf Milliarden Euro umgesetzt. Damit wurden die Handelsrekorde der vergangenen Jahre deutlich übertroffen. Der Schritt, verbriefte Derivate in Europas Norden zu etablieren, war folgerichtig: Die Länder verfügen über hoch entwickelte Finanzmärkte mit ausgeprägter Investitionskultur der Privatanleger. Deshalb spielt der skandinavische Markt eine Schlüsselrolle in unserer internationalen Geschäftsstrategie. In Zukunft könnten die baltischen Staaten eine Option sein, konkrete Pläne haben wir derzeit aber nicht.

Ende 2015 haben Sie von einer Rückkehr der Privatanleger gesprochen. Setzt sich das fort, oder hat sich die Lage verändert?

Völter: Die Stimmung hat sich gedreht: Der Markt hat derzeit keine klare Richtung, Zurückhaltung dominiert daher. Die Handelsvolumina sind in allen Anlageklassen unter dem Niveau des - sehr umsatzstarken - Vorjahres. Gründe dafür sind der massive Einbruch der Märkte und die hohe Volatilität gleich zum Jahresbeginn 2016, es folgten politische und konjunkturelle Unsicherheiten. Als es im Jahresverlauf mit den Aktienmärkten dann wieder aufwärtsging, haben viele Anleger dies verpasst. Hier wird deutlich, dass man nicht nur kurzfristige Entwicklungen betrachten sollte. Langfristig führt angesichts historisch niedriger Zinsen kaum ein Weg an Wertpapieren vorbei, wenn es um Vermögensaufbau und Altersvorsorge geht.

Sie streben den mündigen Anleger an. Was tun Sie denn in Sachen Anlegerbildung?

Völter: Anleger sollten ihre Kenntnisse erweitern und lernen, Chancen und Risiken einzuschätzen. Deshalb sind Bildungsaktivitäten schon seit über einem Jahrzehnt Teil des Selbstverständnisses am Börsenplatz Stuttgart. Beispiele sind unsere regelmäßigen Seminarreihen für Privatanleger und die Anlegermesse Invest, aber auch unsere kostenfreie Kundenhotline. Dort beantworten Experten während der gesamten Handelszeit von acht bis 22 Uhr alle Fragen rund um Wertpapiere und Orders. Seit 2009 engagiert sich die Börse Stuttgart auch in der Schulbildung und erstellt in Kooperation mit staatlichen Stellen Unterrichtsmaterialien zu Finanzthemen. Mein Rat ist: Fangen Sie mit kleinen Summen an, aber fangen Sie an.

Sie haben den Anleger 4.0 skizziert. Was zeichnet diesen Anleger der Zukunft aus?

Völter: Er ist interessiert, informiert und internetaffin. Ihm ist Geldanlage wichtig, weil er ihre Bedeutung für Vermögensaufbau und Altersvorsorge verstanden hat. Er informiert sich selbstständig und kennt die Produkte, deren Funktionsweise und mögliche Risiken. Dabei dient ihm das Internet nicht nur als Informationsquelle, sondern er nutzt auch eine Vielzahl von interaktiven Werkzeugen zur Produktsuche und einen bequemen Weg zur Ordererteilung. Schließlich weiß der Anleger 4.0 auch, dass er die Hoheit über die Auswahl des Handelsplatzes hat. Wir setzen alles daran, dass er aus guten Gründen die Börse Stuttgart wählt.

Wie sieht ihr Alltag aus? Welche Aspekte ihrer Arbeit machen ihnen Spaß, und welche weniger?

Völter: Das Vertrauen der Anleger ist für mich das wichtigste Gut. Deshalb ist die faire und nachvollziehbare Preisfeststellung im öffentlich-rechtlichen Rahmen der Börse sehr wichtig. An der Börse Stuttgart arbeiten sehr interessierte und motivierte Mitarbeiter, die zur Börse stehen und an einem Strang ziehen. In unserem mittelständischen Unternehmen herrschen flache Hierarchien und kurze Wege. Es macht großen Spaß, in einem solchen Umfeld zu arbeiten.

Interview: Michael Paproth

Zur Person

Michael Völter, geboren am 26. Dezember 1962 in Stuttgart, ist verheiratet und hat vier Kinder. Er begann seine berufliche Laufbahn 1992 bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen. 1994 wechselte er zur SV Sparkassenversicherung in Stuttgart, wo er in verschiedenen Funktionen, unter anderem in den Hauptabteilungen Controlling/Unternehmensplanung und Rückversicherung, tätig war. 2006 wurde er in den Vorstand berufen und zeichnete dort bis 2015 für das Ressort Finanzen mit den Aufgaben Kapitalanlage, Bilanzen, Rückversicherung und Betriebsorganisation verantwortlich.

Völter studierte Rechtswissenschaften an der Uni Tübingen und promovierte 1992 zum Thema „Verantwortung von Verwaltungsräten bei Sparkassen“. Zuvor absolvierte er eine Bankausbildung bei der Landesgirokasse in Stuttgart. Seit März 2015 ist Völter Vorstand der Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse e. V.