Zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen schmieren in der Vesperkirche Brote. Foto: Seitter Quelle: Unbekannt

Von Tim Seitter

Stuttgart - Die Vesperkirche in Stuttgart war die erste ihrer Art in Deutschland, seit mehr als 20 Jahren ist sie Anlaufstelle für Bedürftige. Essen, medizinische Versorgung, Ruhe, Gespräche, Kultur - hier finden Menschen, was sie brauchen, um ein paar Stunden unbeschwert sein zu können. 600 ehrenamtliche Helfer sorgen sieben Wochen lang für einen reibungslosen Ablauf.

Wer die Leonhardskirche zwischen Januar und März betritt, dem fallen sofort die gelben Tischdecken auf, mit denen zahlreiche, lange Tische bedeckt sind. Sie stehen in Kontrast zu den überwiegend dunkel gekleideten, müden Menschen, die an den langen Tischreihen sitzen. Während sich einige Gäste bei einem heißen Getränk unterhalten, gibt es auch welche, die die Stille bevorzugen und versuchen, ein wenig Schlaf oder etwas Ruhe zu finden.

Unterdessen wird im West-Flügel der Kirche schon fleißig gearbeitet. Dutzende Helfer mit großen, runden Namensschildern auf der Brust kochen Kaffee, schmieren Vesperbrote und bereiten Besteck und Geschirr für das Mittagessen vor. Andere kümmern sich um die Gäste und schenken ihnen ein offenes Ohr. Das alles geschieht unter der Leitung von Diakon Kurt Klöpfer, der dieses Jahr interimsmäßig die Chefrolle von Karin Ott übernommen hat, die turnusmäßig ihre Pfarrstelle gewechselt hat.

Nach dem morgendlichen Kaffee gibt es ab 11.30 Uhr ein Mittagessen, für den symbolischen Preis von 1,20 Euro. „Der Preis ist bewusst gewählt, um einerseits einen Teil der Kosten decken zu können und andererseits die Würde der Gäste zu achten, die für ihr Essen bezahlen wollen“, erklärt Klöpfer. Doch auch, wer selbst diesen kleinen Betrag nicht aufbringen könne, werde nicht weggeschickt.

Für Theodor ist das Mittagessen der Vesperkirche ein Volltreffer: „Die Mahlzeit ist abwechslungsreich und schmeckt sehr gut“. Der kräftige Mann aus dem Stuttgarter Westen ist schon seit vielen Jahren arbeitslos und lebt von Hartz IV. „Das Essen, das ich hier bekomme, könnte ich mir in dieser Form nicht leisten“, fügt er hinzu.

In der Vesperkirche finden Menschen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Einkommen Zuflucht. Obdachlose, Drogensüchtige, Arbeitslose, Flüchtlinge und Prostituierte sitzen alle an einem Tisch. Auch aus den umliegenden Geschäften und Bürogebäuden kommen immer wieder Menschen zum Essen. „Die Mahlzeit wird für jedermann angeboten“, sagt Klöpfer, auch wenn der deutlich überwiegende Teil der Gäste aus Bedürftigen bestehe. Und das Motto der Vesperkirche lautet nicht umsonst: „Es ist genug für alle da“. Gekocht wird das Mittagessen in der Küche des Rudolf-Sophien-Stifts, wo bisher auch das Geschirr abgespült wurde. Seit diesem Jahr geschieht das in der neuen Spülstraße in der Garage des Diakoniepfarramts, direkt nebenan. „Das macht unsere Arbeit einfacher“, freut sich der Diakon.

So unterschiedlich wie die Gäste sind auch die Helfer der Vesperkirche. „Die Mischung ist sehr bunt. Wir haben hier Auszubildende, die von ihrem Betrieb geschickt wurden, Führungskräfte von Firmen aus der Region, Senioren und sogar Helfer, die sich extra Urlaub genommen haben“, erzählt Klöpfer. Doch die Vesperkirche ist mehr als Essen. Immer montags ist ein Friseur in der Kirche, dienstags gibt es eine Schreibwerkstatt, freitags kommt ein Psychologe und täglich ab 13 Uhr ist eine medizinische Versorgung durch einen Arzt möglich. Auch Kinder finden in einer liebevoll eingerichteten Spielecke einen Zeitvertreib.

Besonders stolz ist Klöpfer auf das Kulturangebot. Jeden Sonntag treten Künstler ohne Gage in der Leonhardskirche auf. „Damit ermöglichen wir Menschen Kultur, die sonst nicht in diesen Genuss kommen.“ Gleichzeitig würden Gäste kommen, die sich speziell für die Künstler interessieren und in der Regel die Vesperkirche nicht aufsuchen. „Diese Durchmischung ist gewollt und immer wieder interessant. Es zählt das Miteinander“, meint Klöpfer.

Bisher suchen täglich etwa 500 Menschen die Vesperkirche auf, das sind gut 100 weniger als im Vorjahr. Die Zahlen bedeuten allerdings nicht, dass der Bedarf abnimmt, betont Klöpfer. Vielmehr hätte der kalte Januar besonders Senioren davon abgehalten, ihr Haus zu verlassen. Rentnerin Renate aus Stuttgart-Ost hält die Kälte indes nicht ab. „Ich komme jedes Jahr in die Vesperkirche. Ich beziehe zwar eine Rente, die zum Leben reicht, aber hier schmeckt das Essen besser als allein an meinem Esstisch.“

Für Klöpfer macht genau das den Charme aus. „Die Menschen machen die Vesperkirche zu dem, was sie ist. Jeder ist hier willkommen“.