Vermutlich mehrere Hunde hetzten am Wochenende das junge Rehkitz in einen Zaun und fügten ihm schwere Bissverletzungen zu. Foto: Scheiffele Quelle: Unbekannt

Von Mathias Kuhn

Am Montagabend tagte der Sicherheitsbeirat in der Wangener Kelter. Nicht die geringe Zahl der Einbrüche oder Verkehrsunfälle, sondern ein anderes Thema beherrschte die Diskussion: Seit dem 1. Mai haben Hunde sieben Rehe gerissen oder so gehetzt, dass sie sich in Zäunen verfingen und erlöst werden mussten. Die Fotos schockten und lösten eine Diskussion über einen Leinenzwang auf der Wangener Höhe aus - wenigstens während der Zeit, in der Jungtiere geboren werden.

Eigentlich wollten die Bezirksbeiräte nur den Revierförster und die Jagdpächter kennenlernen und etwas über ihre Arbeit erfahren. Was sie dann erfuhren, schockte sie. Die beiden Jagdpächter Jochen Scheiffele und Bernhard Reinle hatten Fotos mitgebracht, die unter die Haut gingen: „Wir werden den wildernden Hunden nicht mehr Herr. Seit 1. Mai wurden sieben Rehe gerissen“, erklärte Scheiffele. Erst am Sonntag wurde Reinle von der Polizei über ein verletztes Rehkitz unterhalb der Friedrichsruh benachrichtigt. „Es ist von einem oder mehreren Hunden gehetzt, von einem großen Hund in den Schädel gebissen worden, hatte irreparable Schäden und musste von seinen schweren Qualen erlöst werden“, erzählte Reinle. Bereits Ende Mai wurden die Jäger an einem Werktagvormittag auf den Wangener Friedhof gerufen. Dorthin hatte sich ein schwer verletzter, ursprünglich kräftiger Rehbock „gerettet“. Reinle: „Die Spuren zeigten, dass er auf der Flucht von der drei Meter hohen Friedhofsmauer gesprungen ist, sich die Vorderläufe gebrochen hatte, eine Stange seines Geweihs war bei der Hatz gebrochen. Er wies schlimme Bisswunden auf.“ Auch drei Wochen nach dem Vorfall stockte dem erfahrenen und hart gesottenen Jägers die Stimme bei der Schilderung.

Nicht nur die beiden Jagdpächter, sondern auch Revierförster Wolfgang Heckel ist angesichts der zunehmenden, wildernden Hunde ratlos. „Wir können nur an die Vernunft der Hundebesitzer appellieren“, sagt Heckel. In Baden-Württemberg gebe es bis auf wenige Ausnahmen keinen Leinenzwang. Der Schwarz- und Rotwildpark gehören zu den geschützten Gebieten. „Auch dort trifft mein Revierkollege immer wieder Hundebesitzer, die ihre Vierbeiner im Wald rennen lassen“, sagt Heckel.

Auf der Wangener Höhe scheint dies der Normalfall zu sein. „Hundebesitzer fahren auf die Waldebene Ost und lassen ihre Hunde sich dort austoben“, berichtet Bezirksbeirätin Barbara Stock-Edinger (Grüne). Sie ist Hundebesitzerin wie auch Ingrid Kreis. „Ich spaziere mit meinem Hund am Wangener Berg aber freiwillig an der Leine, weil ich nicht das Risiko eingehen will, dass er Tiere hetzt“, sagt die Freie Wähler-Bezirksbeirätin. Bei der Polizei in der Ostendstraße liegen mehrere Anzeigen gegen eine Frau vor, die mit drei Hunden unterwegs sein soll, die sie frei umherstreunen lässt, während sie sich auf eine Bank setzt und ein Buch liest. Eine Zeugin hatte am Sonntagabend gegen 19 Uhr, als das Rehkitz gerissen wurde, das Gekläffe mehrerer Hunde gehört. Das Polizeirevier in Stuttgart-Ost nimmt weitere Zeugenaussagen unter der Telefonnummer 89 90-35 00 entgegen.

Ermittelte Hundebesitzer bekommen Auflagen, dürfen mit ihren Hunden nur noch an der Leine und mit Maulkorb Gassi gehen und erhalten eine Geldstrafe. Es treffe die Richtigen. „Denn der Hund kann nichts dafür, die Schuldigen stehen immer am anderen Ende der Leine“, sagt Reinle. Das Bejagen wildernder Hunde kommt für die beiden Jagdpächter und für Heckel keinesfalls in Frage.

Und wie wäre es mit einem Leinenzwang auf der Wangener Höhe nach dem Vorbild der Regelung im Rotwildpark, fragten einige Bezirksbeiräte. Ein schwieriges Unterfangen, befürchteten die anwesenden Stadträte. Ohne Kontrolle würde das nichts bringen, zweifelt Heckel die Durchsetzbarkeit eines solchen Verbots an. Der städtische Vollzugsdienst, die früheren Feldschütze, sind nur sporadisch auf der Wangener Höhe unterwegs. Statt des Leinenzwangs wollen Wangens Bezirksbeiräte es mit Appellen versuchen. An den Wandelwegen sollen Schilder mit der Bitte „Hunde an die Leine nehmen“ aufgestellt werden. Auch damit die Rehe nicht ständig aufgescheucht und in die Enge getrieben werden. „Hundebesitzer lieben doch Tiere, die meisten verstehen sicherlich, dass dies keine Gängelei, sondern Tierschutz für Wildtiere ist“, hofft Reinle. Als Ausgleich könnte die Stadt Sport- oder andere große Plätze anbieten, auf denen Hunde sich austoben könnten - ohne Leine am Hals, meinte Kreis.