Eine Besucherin im Rathaus vor den eindrucksvollen Bildern, die die Fotografin Tomoko Arai gemacht hat. Foto: Nagel Quelle: Unbekannt

Von Uli Nagel

Es ist eine Geschichte, wie sie nur von „Mutter Natur“ geschrieben werden kann. Gelbkopfamazonen, die in ihrer Heimat in Mittelamerika vom Aussterben bedroht sind, gehören seit mehr als drei Jahrzehnten zum Cannstatter Stadtbild. Trotz Minusgraden im Winter, schlechter Luft und hoher Feinstaubwerte fühlen sich die exotischen Vögel rund um den Neckar pudelwohl. Wer die Fotoausstellung über die Geschichte der „gefiederten Exoten“, die noch bis zum 4. November im Stuttgarter Rathaus zu sehen ist, verpasst hat, kann

sich von den eindrucksvollen Bildern, die Tomoko Arai mit ihrer Kamera eingefangen hat, vom 10. bis 23. Dezember in der Mietgalerie Nestel, Wilhelmstraße 17, überzeugen.

Sie sitzen auf Dächern und Bäumen mit bester Sicht auf die Altstadt Bad Cannstatts. Wo gibt es etwas zu fressen? Etwa die Eibenbüsche in der Helfergasse? Dort hinterlassen sie regelmäßig ihre Spuren, indem sie die Zweige anknabbern und danach ausgespuckt auf den Boden fallen lassen. Wild sieht es aus, wenn sie dann ihr Fress-Revier hinterlassen - nicht immer zur Freude der Anwohner, denn nur wenige Vögel hinterlassen solch ein „Schlachtfeld“. Doch die Papageien-Kolonie ist ja auch etwas Besonderes: Denn Cannstatt ist die einzige außerhalb von Südamerika befindliche Region, in der die Gelbkopfamazonen wild und frei leben.

Nachweislich seit 1984, denn damals wurde der erste gelb-grüne Vogel am Neckarufer gesichtet. Woher er kam? Abgesehen von vielen Gerüchten (siehe Anhang), wurde es nie eindeutig geklärt. Zwei Jahre später waren es bereits fünf. Seitdem beschäftigen sich auch Vogelexperten mit dem „Phänomen“ und führen regelmäßige Zählungen durch. Heute sollen es laut Naturschutzbund zwischen 61 und 63 Gelbkopfamazonen sein, die durch das Cannstatter Stadtgebiet streifen und sich auf Beutesuche begeben.

Am Max-Eyth-See, in Untertürkheim ja sogar in Fellbach wurden sie schon gesichtet - und vor allem gehört. Denn ihr markantes Gekrächze lässt Passanten unweigerlich gen Himmel blicken. An diese Geräuschkulisse - vor allem morgens - haben

sich die Cannstatter dagegen längst gewöhnt und für viele gehören „ihre Gelbköpf“ mittlerweile zum gewohnten Anblick rund um den Wilhelmsplatz, Rosenstein- oder Kurpark. Falke, Habicht oder Krähe lassen die Papageien zumeist in Ruhe. Zumal die sich schon zu wehren wissen. Einzig der genervte Bürger kann dem Vogel gefährlich werden. Denn lärmempfindliche Anwohner schmeißen schon mal mit Gegenständen nach ihm, wenn um 4 Uhr morgens das Krakeelen losgeht. Und so passierte eines Tages etwas Ungeheuerliches: Ein Cannstatter griff 1996 zum Gewehr und erschoss eine Amazone, die vor seinem Fenster in einem Strauch saß und fraß. Was makaber war: Er legte den toten Vogel in die Gefriertruhe.

Zwei Jahre später griff er wieder zur Flinte und schoss auf einen anderen Papagei. Der entkam jedoch, am Flügel verletzt, wurde aufgefunden und zu einem Tierarzt gebracht. Angesichts der Kugel wurde die Polizei informiert, die ihre Ermittlungen aufnahm. Mit dem Geschoss als Beweismittel gingen die Ordnungshüter zum örtlichen Waffenhändler. Der wusste schnell Bescheid und der „Vogelmörder“ war überführt. Der Mann wurde zu einer Strafe von 2250 Mark verurteilt, zuzüglich den Tierarztkosten für den angeschossenen Vogel. Der behinderte Papagei kam zu Pflegeeltern, der tote Vogel steht - dank Tiefkühlung - ausgestopft in der Sammlung im Rosensteinmuseum.

Vor zwei Jahren schoss erneut ein Kursaal-Anwohner erbost auf die gelb-grünen Krawallmacher - allerdings „nur“ mit einer Schreckschusspistole. Der Papageienhasser wurde erwischt. Da kein Tier zu Schaden kam, blieb es bei einer harschen Ermahnung durch die Polizei. Die Nachbarn straften ihn mit Zorn und Verachtung. Denn bei den meisten sind die Papageien so beliebt, dass sie sogar Namen erhielten. Der Bekannteste Vogel ist Thea, die es schon in die Schlagzeilen der Stuttgarter Presse geschafft hat. Am 6. Mai dieses Jahres wurde eine Polizeistreife in den Schlossgartenanlagen von aufgeregten Spaziergängern angesprochen. Ein Papagei würde im Rosensteinpark in einer Baumhöhle stecken und nicht mehr herauskommen. Ein zweiter solle am Loch sitzen und seinen Artgenossen „bewachen“. Nachdruck und Dramatik verliehen die Passanten ihrer Geschichte, indem sie die Vögel liebevoll Thea und Thilo nannten, die offenbar - wie die Spaziergänger - regelmäßig den Park besuchen.

Die beiden Beamten informierten die Feuerwehr, die nur wenig später mit einer Leiter an dem Unglücksbaum ankam, um Thea aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Offenbar war das Papageienpaar auf „Wohnungssuche“ gewesen und Thea hatte die künftige Bleibe inspizieren wollen. Hierbei war sie in eine Aushöhlung der Platane gestürzt und konnte nicht selbstständig aus der rund 40 Zentimeter tiefen Höhle klettern. Dazu muss man wissen, dass Papageien im Normalfall ihren Schnabel als Kletterhilfe benützen können. Doch Thea hatte den oberen Teil ihres Schnabels vor gut einem Jahr bei einem Unfall verloren - keine Chance, ohne menschliche Hilfe aus ihrem Gefängnis zu klettern. Rettung kam in Form eines Astes. Den hatten die Feuerwehrmänner sanft in das Loch im Baum geschoben und an dem konnte sie schlussendlich herausklettern. Verletzt wurde das Tier bei den „Bergungsarbeiten“ nicht und unter dem großen Beifall der Schaulustigen setzten Thea und Thilo ihre Wohnungssuche fort.

Gelbkopfamazonen

Es begann im Jahr 1984. Eine Gelbkopfamazone, vermutlich aus einer privaten Haltung entflogen, wurde immer wieder auf dem Gelände der Wilhelma gesichtet. Scheinbar gab es einige erfolglose Versuche, die Amazone einzufangen und man munkelt, dass Tierschützer Mitleid mit der einsamen Amazone hatten und eine weitere kauften und diese freiließen. Die zwei Amazonen fanden sich als Paar und zogen 1986 drei Junge groß. Die Population wuchs seitdem stetig. Im Jahr 1995 wurden 16 gezählt und weitere zehn Jahre später sogar 38. Ende der 90er-Jahre gesellten sich zwei beringte Blaustirnamazonen dazu. Woher sie kamen, weiß man nicht. Eine verschwand nach kurzer Zeit, die andere wurde ein langjähriger Partner für die Gelbkopfamazone Thea. Die Population wächst nur sehr langsam. Viele Jahre stagnierte sie und ging teilweise sogar zurück. Seit einigen Jahren schwankt sie zwischen 50 und 60 Amazonen. Im Winter 2015 auf 2016 wurden 61 bis 63 Exemplare in der Cannstatter Innenstadt gezählt. In ihrer Heimat, Mexiko und Belize, bewohnen die Gelbkopfamazonen offene Trockenwälder mit Büschen und manchmal auch den etwas feuchten Küstenwald. Die Vögel stehen natürlich unter Artenschutz. BirdLife schätzte den Bestand 1994 auf 7000 Exemplare. Experten gehen aber davon aus, dass sich der Bestand mittlerweile halbiert hat.

Die 40 Seiten starke Broschüre „Stuttgarts wilde Papageien“ kann unter papageien@stuttgarter-amazonen.de bestellt werden. Erhältlich ist sie auch in der Seelberg Apotheke, Wildunger Straße 52. Der Preis: sechs Euro.