Nicht nur die Briten, die in ihrer Heimat leben, werden vom Brexit beeinflusst. Auch die drei Millionen von ihnen, die im Ausland leben, müssen mit starken Einschränkungen rechnen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Mehr als drei Millionen Briten leben außerhalb Großbritanniens. Diejenigen, die in Deutschland wohnen, hatten als EU-Bürger bisher das uneingeschränkte Recht auf Einreise und Aufenthalt. Mit dem Brexit könnten sich diese Sonderbedingungen ändern. Die Folge: Seit dem Brexit-Votum wurden in der Einbürgerungsbehörde Stuttgart 60 Anfragen auf Einbürgerung von Briten gestellt. Wenn sie sich vor dem Brexit einbürgern lassen, haben sie das Recht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft.

Von Erdem Gökalp

Das Brexit-Votum hat bei vielen Briten in Stuttgart die Frage nach ihrer nationalen Identität aufgeworfen. Das Telefon des Leiters der Einbürgerungsbehörde Stuttgart, Andreas Deuschle, hat daher eine ganze Zeit lang nicht stillgestanden. „Seit Juni 2016 sind insgesamt 60 Anfragen von Briten um die deutsche Staatsbürgerschaft bei uns eingegangen.“ Das kam praktisch aus dem Nichts. Der Prozess bei den britischen Staatsbürgern sei im Regelfall nicht besonders kompliziert. Ein halbes Jahr sei eine realistische Dauer. 21 der Einbürgerungen seien bereits genehmigt worden. Insgesamt leben in Baden-Württemberg knapp 11 600 Menschen aus dem Vereinigten Königreich. „Was die Einbürgerung ebenfalls beschleunigt, ist, dass es sich bei England noch um ein EU-Mitglied handelt“, sagt Deuschle. Das könnte sich jedoch bedeutend verändern, wenn der Brexit vollzogen würde. Das sei einer der Hauptgründe, warum die Anfragen so in die Höhe geschossen seien. Die Zukunft ist ungewiss.

Charles Robertson ist ein Brite, der seit 53 Jahren in Filderstadt lebt und als Tennislehrer und Übersetzer arbeitet. Er hat die politische Diskussion und das Referendum auch sehr aufmerksam mitverfolgt, sowohl in den deutschen als auch in den englischen Medien. Die Berichterstattung in Deutschland setze sich kritischer mit dem Thema auseinander. „Ich hatte das Gefühl, dass viele gar nicht ausreichend darüber informiert waren, was ein Brexit überhaupt für langfristige Konsequenzen haben wird“, sagt er. Das Verfahren sei für einige zu kompliziert gewesen, um es zu verstehen. „Viele ältere Menschen haben sich für den Brexit entschieden, weil sie sich noch an die Zeiten vor dem EU-Beitritt erinnern können“, sagt er. Bei dem Referendum durfte er als im Ausland lebender Brite aber nicht mitentscheiden.

Damit waren es insgesamt knapp drei Millionen Briten, die nicht mitwählen durften, weil sie ihren Wohnsitz außerhalb Großbritanniens haben. „Wahrscheinlich wäre die knappe Entscheidung des Votums anders ausgegangen, wenn dieser Teil der Bevölkerung hätte mitentscheiden dürfen“, so Robertson. Denn sie wären mit am stärksten davon betroffen, wenn der Brexit vollzogen wird. Für EU-Bürger herrschen Sonderkonditionen beim Aufenthalt und der Einreise. Diese könnten aufgehoben werden. Doch wenn sich Briten vor dem Brexit einbürgern lassen, müssen sie die alte Staatszugehörigkeit nicht ablegen. Wegen dieser Regelung wird die Einbürgerungsbehörde in Stuttgart wohl auch in den kommenden Wochen einiges zu tun haben.