Grandseigneur der Pianokunst: Menahem Pressler. Foto: M. Borggreve Quelle: Unbekannt

Von Dietholf Zerweck

Ludwigsburg - „Die Komponisten sind unsere Götter, wir sind die Priester, die ihre Musik erklären“: Es ist ein unvergleichlicher Festspielabend, an dessen Ende sich der 92-jährige Menahem Pressler mit dem Intendanten Thomas Wördehoff zum Gespräch auf das Podium des Ludwigsburger Ordenssaales setzt und den Zuhörern noch ein wenig über die Musik und sein Leben erzählt. Dass die Musik sein Leben war und ist, hat er zuvor in seinem Recital mit Mozart, Beethoven, Ligeti, Debussy und Chopin eindrücklich bestätigt. Menahem Pressler, ein Grandseigneur der Pianokunst, ist eine Legende: 1923 in Magdeburg geboren, 1939 mit seiner Familie nach Palästina emigriert, 1940 in die USA gelangt und mit dem Gewinn des Debussy-Wettbewerbs 1946 in San Francisco an den Beginn einer ganz außergewöhnlichen Pianistenlaufbahn, die mit der Gründung des Beaux Arts Trio 1955 eine besondere Richtung nahm. Seit sich das Beaux Arts Trio 2008 nach 53 Jahren auflöste, konzertiert Pressler wieder solistisch. Wenn man sieht, wie er im Rollstuhl durch den Ordenssaal hereingeschoben wird, glaubt man nicht, mit welcher Energie und spirituellen Leidenschaft er sich gleich der Wiedergabe seiner Musik widmen wird. Behutsam, verhalten, von Melancholie getragen, beginnt er Mozarts Rondo a-Moll, über dessen Bedeutung Pressler später im Gespräch sagen wird, dass er ein Leben lang davon berührt gewesen sei. Mit 16 habe er es spielen wollen, doch sein damaliger Lehrer meinte damals, er sei noch zu jung dafür. Mit 30 habe er dieselbe Antwort erhalten, erinnert sich der Pianist. Erst mit 80 Jahren spürte Menahem Pressler: „Ich bin jetzt bereit, es zu spielen.“

In seiner Interpretation ist das von Trauer und Resignation durchwehte Rondo wie von Pedalschleiern entrückt, manchmal scheint es wie aus der Zeit gefallen. In Beethovens „Sturm“-Sonate danach spinnt Pressler diesen Gedanken in der Largo-Einleitung weiter: Aus dunklem Klanggrund steigen die Dreiklangmotive zeitentrückt auf in unendliche Ferne, jeder Ton noch fragiler als der andere - bis sich die gefasste Unruhe der Allegro-Achtel in leidenschaftlicher Bewegung entlädt. Weniger dämonisch als kraftvoll vorwärts drängend entwickelt Pressler diesen Satz, in den eingeschobenen Rezitativen lässt er die Töne wieder im Klangnebel verschwimmen. Im Adagio sind die musikalischen Figuren ausdrucksvoll gegeneinander gestellt, die kreiselnde Bewegung des Finales mit glitzernden Läufen in der rechten Hand wird grundiert von der Wärme der Bassharmonien.

Für Pressler hat György Kurtág sein „Impromptu al ongarese“ komponiert: ein im Ausdruck meditatives, die Spannung einzelner Töne und Klänge auslotendes Stück, welches der Gast höchst konzentriert darbot. Mit Claude Debussys dreiteiligen „Estampes“ hatte sein Klavier-Recital einen farblichen und ausdrucksintensiven Höhepunkt: glänzend dargestellt die „Pagodes“, rhythmisch differenziert „La soirée dans Grenade“ und von quirlender Lebendigkeit die „Jardins sous la pluie“. Bei Chopin erlebte man mit Pressler unterschiedliche Facetten: Nach einer vom Pedal etwas gleichförmig eingeebneten As-Dur-Ballade op. 47 als Zugabe folgte ein wunderbar tiefsinnig interpretiertes Nocturne cis-Moll, in dem die weit gespannten musikalischen Bögen sich in Abgründen zarter Melancholie verloren. „Eure Seele war ganz offen“, lobte der Pianist hernach seine Zuhörer.