Helmut Zierl spielt den Filou, Fremdgänger und Lügner Michel, der am Ende mit seinen eigenen Methoden geschlagen wird. Foto: Bernd Böhner Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Schuldgefühle hält Michel für etwas Überflüssiges. Sein Motto heißt: „Lügen aus Respekt“. Der Fremdgänger nimmt Rücksicht auf die Gefühle von Laurence, seit 20 Jahren seine Ehefrau, und seines besten Freundes Paul, mit dessen Frau Alice er seit sechs Monaten ein heimliches Verhältnis pflegt. „Wenn die Leute aufhören würden, sich zu belügen, gäbe es kein einziges Paar mehr“, erklärt er seiner Geliebten noch im Bett. Der Titel von Florian Zellers Erfolgskomödie „Die Wahrheit“ könnte daher irreführend sein, lautete nicht der Untertitel „oder von den Vorteilen, sie zu verschweigen und den Nachteilen, sie zu sagen“. Tatsächlich geht es in der einfach genialen, dialogstarken und so verzwickten wie amüsanten Vierecksgeschichte, die jetzt an der Stuttgarter Komödie im Marquardt mit TV- und Kino-Star Helmut Zierl Premiere hatte, um die hohe Kunst des Vertuschens.

Klug, frech, nonchalant

Der Untertitel ist ein Zitat von Voltaire, und im Sinne einer solchen spielerischen Eleganz hat der 36-jährige französische Autoren-Shootingstar Zeller die sieben Szenen nonchalant gestrickt. Eine kluge, freche, Boulevardkomödie um Lügen und andere Wahrheiten, die seit ihrer Uraufführung vor fünf Jahren in Pairs an mehr als 50 deutschsprachigen Bühnen mit großem Erfolg gespielt wurde. In der Komödie im Marquardt ist eine sehr entspannte Version in Kooperation mit dem Tourneetheater Landgraf und in der Regie von Peter Lotschak zu sehen.

Der zweifelhafte Held der Geschichte ist Michel, den Helmut Zierl als herrlich lässigen Schwerenöter über Ethik und Moral der Menschen schwadronieren lässt, während er sich sein Weltbild zusammenbastelt, wie es ihm gefällt. Die Gattin ist wichtig in seinem Leben, keine Frage. Sie bietet Rückhalt und Beständigkeit. Die Geliebte ist aufregend und kopulationswillig: „Ich liebe es, mit dir zu schlafen“, haucht Caroline Kiesewetter mit katzenhaften Augen hingebungsvoll als sich räkelnde Alice im großen Lotterbett, das Bühnenbildner Rolf Spahn als minimalistisches Requisit in den Raum gestellt hat. Währenddessen sucht Michel, der Filou im weißen Hemd, bereits seine Socken, auf dem Sprung zu einer wichtigen Konferenz.

Es ist köstlich, mitzuerleben, wie sich der selbstsichere Michel immer mehr im Beziehungslabyrinth verheddert, wie seine bewährten Betrügerstrategien - Aussitzen und Spießumdrehen - gegen ihn verwendet werden, wie er am Ende mit seinen eigenen Verteidigungswaffen geschlagen wird. Zufällig oder auch nicht erfährt er, dass auch die drei Anderen keine Kinder von Traurigkeit sind. Paul (Uwe Neumann als kumpelhafter Dauergrinser) weiß angeblich von Beginn an über das Verhältnis seiner Frau Alice mit Michel Bescheid. Anstatt als Gehörnter das Rumpelstilzchen zu spielen, behauptet er seelenruhig, dass er schon viel länger mit Michels Frau Laurence (abgeklärt und geheimnisvoll: Karin Boyd) schlafe. Die streitet alles ab, indem sie Michels Beschwichtigungssätze mantraartig wiederholt: Sie liebe ihren Mann, er sei viel attraktiver und intelligenter, habe mehr Humor als Paul. Dieser wiederum beschwichtigt den sehenswert durchdrehenden Freund: „Aus Liebe zu dir haben wir nichts gesagt“. Michel bleibt nur die lakonische Antwort: „Ich kenne das Lied.“

Immer wieder wendet sich die Situation. Es ist verwirrend und spannend zugleich, wer von wem etwas weiß oder doch nicht weiß und wer mit wem nun tatsächlich etwas hat. Die überraschenden Wendungen und die pointenreichen Satz- und Gedankenkonstruktionen nehmen dieser gelungenen Boulevardkomödie jegliche Banalität. Florian Zeller ist ein Meister der Kontingenz, also des Schwebezustands. Es könnte so sein, aber auch ganz anders. Am Ende ist alles ein offenes Geheimnis. Die Zuschauer dürfen sich in Gedanken noch ein bisschen mit diesem sommerleichten Lügenmärchen und mit der Frage beschäftigen: Hat sie oder hat sie nicht?

Vorstellungen ab übermorgen täglich außer montags bis 10. Juli.