Im Wintergarten der alten Villa in der Berliner Straße zieht Claus Staudts großformatige Materialinstallation die Blicke der Besucher auf sich. Foto: Weiß Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

„Das Fremde“ - schlicht und knapp ist eine Gruppenausstellung überschrieben, in der 26 Künstler derzeit ihre unterschiedlichen Positionen zu diesem aktuellen Thema ausloten, ihre Überzeugungen in ästhetische Form bringen und ihre Perspektiven in verschiedenartigsten Techniken von Malerei über Installation, Objekt, Druck, Performance, Zeichnung, Video und Fotografie bis hin zur Prozesskunst Gestalt annehmen lassen. Die ambitionierte Ausstellung, die in einer unbewohnten alten Villa an der Berliner Straße Raum gefunden hat, erlaubt einen Blick auf die Arbeiten, die im Rahmen des auf zwei Jahre angelegten interkulturellen Langzeitprojekts „WestStadtkunst 2016/2017“ entstehen. Mit ihren Aktionen wollen die Mitglieder des Vereins Artgerechte Haltung bildende Künstler den Wandel und die Veränderungen im Esslinger Westen beobachten, begleiten, mitgestalten und dokumentieren.

Der Künstler wird zum Außenseiter

„Das Fremde, das Neue, das Unbekannte sind für die Kunst wichtig“, betonte Kulturamtsleiter Benedikt Stegmayer bei der Vernissage. Der Künstler müsse in immer neue Gefilde vordringen, er stehe unter Innovationsdruck: „Kunst ist nur gut, wenn sie neu ist. Künstler können nicht einfach wiederholen, was bereits in den Archiven, Museen und Galerien zu sehen ist.“ Die Konsequenz, die daraus entstehe, mache jeden guten Künstler selbst zu einem Fremden und Außenseiter. Aus diesem Blickwinkel, gepaart mit Nachdenklichkeit, einem klugen Blick auf die Welt, Kreativität, handwerklichem Können und unterschiedlichen ästhetischen Positionen, eröffnen sich mannigfache Blicke auf „Das Fremde“: Das ist charmant, eingängig und erkenntnisreich, aber auch rätselhaft, abgründig, sperrig und undurchschaubar - bei 26 Künstlerpersönlichkeiten kein Wunder. Genau das macht die Schau jedoch ergiebig und interessant. Da geht es ums Allein-Sein, Einsam-Sein, Anders-Sein und Außenseiter-Sein. Da geht es um das Fremdsein früher und heute. Da geht es um die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Fremden und mit den Fremden. Da geht es um Daheim und Zuhause. Da geht es um das neugierige und die Nerven kitzelnde Aufbrechen in das Unbekannte. Da geht es um die Verwandlung des Unbekannten ins Bekannte ebenso wie darum, dass sattsam Vertrautes plötzlich ins Befremdliche umschlagen kann.

Margit Schranner und Gaby Burckhardt schicken für ihr Projekt „Schlafstatt“ ganz realistisch zwei Schlafsäcke in die Stadt hinaus. Ade Weeths „Drei Türen“ bieten Schutz, bedeuten aber auch den Weg ins Ungewisse. Judith Wenzelmann denkt die sichtbaren Wasserschäden in der alten Villa weiter. Anna Beurer lässt den Betrachter das Wort „fremd“ als Schriftzug an der Wand verändern. Andrea Eitel reißt den Alltag aus dem Zusammenhang, indem sie den Duschvorhang an der Stange und die Gewürzgläschen in der Halterung malend übergroß realisiert. Der zur Vernissage eigens aus Moskau angereiste russische Künstler Alexander Pettai lässt „X2“ mit „Landing“ von Claudia Bohnenstengel, Johannes Friedel und Roland Kranz korrespondieren: Aus zwei Videoarbeiten entsteht etwas völlig Neues. Angela Hildebrandts Bilder „Einfach lassen“ sind so mehrdeutig wie ihr Titel, scheinen sie doch in den tapezierten Wänden, auf denen sie gezeigt werden, aufzugehen.

Wolfgang Scherieble zeichnet von sich selbst ein Porträt als Fremder neben einem gepackten Reisewagen, mit dem er sich jederzeit davonmachen und in neue Welten aufbrechen kann. Gideon Knabben versieht 16 schmale Objekte nach einem mathematisch ausgeklügelten System mit Zeichen: „Zeichen, die nichts bezeichnen außer ihrer Unterscheidung. Damit sind sie vertraut und fremd zugleich.“ Bodo Nassal lässt in dick aufgetragenen Farben mit gewaltigen Pinselstrichen aus Bildern Skulpturen wachsen: „Das Fremde im Gegenüber und das Fremde in uns selbst.“ Rosemarie Beißer spürt in ebenso befremdlichen wie einladenden Installationen, die sie zurückhaltend in Nischen platziert, den Menschen nach, die einst in diesem Haus gelebt haben. Jürgen Niederer verfremdet kleinformatige Fotografien durch digitale Bearbeitung und setzt sie zwischen den Arbeiten seiner Künstlerkollegen aus: Kunst, die sich einschleicht, die fremd ist, oder aber gerade ein wohliges Gefühl des Wiedersehens erzeugt. Auch bei Horst Wöhrle ist das Fremde positiv besetzt und lässt es mit Texten, Zeichnungen und Fotos in die Ferne schweifen. Wohltuend behutsam nähern sich die Werke auch der alten Villa an, deren Patina von anderen Zeiten kündet, an der der Zahn der Zeit genagt hat, die vieles erlebt hat, und in der manches vertraut und gleichzeitig fremd erscheint.

Die Ausstellung „Das Fremde“ ist bis zum 30. Oktober donnerstags und freitags von 16 bis 19 Uhr, samstags von 11 bis 18 und sonntags von 14 bis 18 Uhr in der Berliner Straße 17 geöffnet.