Mostafa Maftahs Teppichobjekt „Feuer im Ozean“ zeigt kein regelmäßiges, überliefertes Muster, sondern ist eine freie Formschöpfung. Die traditionelle Webtechnik wird so neu eingesetzt. Foto: Andreas Körner Quelle: Unbekannt

Von Dietrich Heißenbüttel

Stuttgart - Durch Anni Albers kam Sheila Hicks, Yale-Studentin bei Josef Albers, auf die Idee mit Textilien zu arbeiten. Sie bereiste die Welt, ließ sich 1964 in Paris nieder und kam Anfang der 1970er-Jahre auch nach Marokko: auf Einladung der Regierung, die dem Teppichhandwerk neue Impulse geben wollte. Die Entdeckung dieser auch in Marokko wenig bekannten Episode veranlasste drei junge marokkanische Kuratorinnen, sich auf eine Ausschreibung des Instituts für Auslandsbeziehungen zum ifa-Jubiläumsjahr 2017 zu bewerben, das unter dem Motto „Kulturen des Wir“ stehen soll. „Es war mit Abstand der interessanteste Vorschlag“, sagt Iris Lenz, die Leiterin der Stuttgarter Galerie. Alya Sebti war Direktorin der Marrakech-Biennale 2014, hat dazu im ifa eine Ausstellung kuratiert und leitet nun seit April die ifa-Galerie in Berlin. Mouna Mekouar lebt in Paris, Salma Lahlou, die dritte im Bunde, in Marokko und seit einigen Monaten zur Vorbereitung der Ausstellung an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart.

In Marokko fielen Hicks’ Anregungen auf fruchtbaren Boden. Mohammed Melehi, in der Ausstellung durch ein buntes Acrylgemälde von 1963 vertreten, hatte zu dieser Zeit nach Studienaufenthalten in Spanien, Italien und den USA die modernistische „Schule von Casablanca“ mit begründet. Dort, in Casablanca studierte 1979 Mostafa Maftah, dessen Teppichobjekt „Feuer im Ozean“ Hicks’ Anregungen zu verarbeiten scheint: In einem der zwei von ihr ausgestellten Teppiche hängt die Wolle zu Pferdeschwänzen gebunden aus dem Teppich heraus. Diese Erweiterung des Teppichs ins Plastische führt Maftahs „Farbobjekt“, wie er es nannte, in kräftigen Farben fort.

Beziehung reicht weit zurück

Den verborgenen Verbindungen zwischen dem Bauhaus und Marokko spürt die Ausstellung nach, indem sie Teppiche von Bauhaus-Künstlerinnen sowohl anonymen marokkanischen Arbeiten als auch Werken heutiger Künstlerinnen und Künstler gegenüber stellt. In einem schmalen Wandteppich nach einem Entwurf aus dem Jahr 1926 von Gunta Stölzl, der Leiterin der Bauhaus-Textilwerkstatt, klingt die abstrakte Malerei à la Mondrian an. Ganz aus schwarzen, weißen und grauen Quadraten besteht ein originaler Webteppich von Anni Albers, die anfangs nur widerstrebend in die Bauhaus-Textilklasse eingetreten war. Ida Kerkovius hingegen, von der eine „Landschaft“ aus der Nachkriegszeit ausgestellt ist, die gleichwohl an Figuren denken lässt, war nach ihrem Studium bei Adolf Hölzel genau deshalb ans Bauhaus gegangen, um textile Techniken zu erlernen.

Wie die Kuratorinnen im Katalog, ausgehend von neueren Publikationen zeigen, reicht die Wechselbeziehung noch weiter zurück. Eine Ausstellung 1910 in München über „Meisterwerke muhammedanischer Kunst“, in der Teppiche erstmals an der Wand hängend wie Bilder präsentiert wurden, regte Künstler wie Wassily Kandinsky oder Franz Marc zu einer flächigen Malerei an. Ein Reflex davon findet sich in einem Wandteppich nach einem Entwurf aus dem Jahr 1918, der von dem wenig bekannten Bauhaus-Schüler Rudolf Lutz stammt. Wer will kann in abstrakten Teppichmustern der Beni Zemmour oder Beni Ouarain Anknüpfungspunkte für moderne Arbeiten etwa von Anni Albers sehen. Umgekehrt hat die Architektin Amina Agueznay mit marokkanischen Handwerkerinnen das traditionelle Zickzackmuster Menchar in fünf Varianten neu interpretiert. Yto Barrada hat gar mit Weberinnen des Darna-Ateliers in Tanger einen Teppich nach Entwurf von Sophie Taeuber-Arp gewebt, während Saâdane Afif, Lehrer und Künstler, ein Zeichenpapier aus einer öffentlichen Geometriestunde auf dem Platz Jamaa el Fna in Marrakech als Vorlage in eine Weberei gab.

Aufwertung des Handwerks

Was ist dem allem zu entnehmen? Dass sich Künstler der klassischen Moderne an abstrakten Kunstformen in anderen Teilen der Welt ein Beispiel nahmen, ist nicht völlig neu. Dass die marokkanische Regierung moderne Künstler ins Land holte, um das nach wie vor wichtige Kunsthandwerk einem Update zu unterziehen, leuchtet ein. Auch wenn es im kleinen Marktflecken Azilal im mittleren Atlas auch ohne europäische Vorbilder eine überraschend modern wirkende Teppichproduktion gibt, wie ein schönes, nur aus weißer und schwarzer Wolle geknüpftes Stück eindrucksvoll vor Augen führt. Die Ausstellung will das Verhältnis von Kunst und Handwerk neu beleuchten, schreibt Iris Lenz im Katalog: im Sinne einer Aufwertung des Handwerks, wie sie schon von der Arts-and-Crafts-Bewegung angestrebt wurde. Und doch bleibt die Trennung bestehen: Nur die Künstlerinnen und Künstler, nicht aber die Handwerkerinnen sind namentlich genannt. Das Motiv eines marokkanischen Torbogens und die Pferdeschwänze von Sheila Hicks sprechen die Sprache eines Exotismus und Feminismus der Siebzigerjahre, die bereits etwas in die Jahre gekommen ist.

Ganz anders, wenn auch nicht ohne Erklärung verständlich, ist die Arbeit von Taysir Batniji, der drei Tage lang Bleistifte gespitzt und die Späne in einem Raum verteilt hat. Batniji kommt aus Gaza, wohin er seit den israelischen Angriffen 2006 nicht mehr zurückkehren konnte. Ein Foto am Ende des Raums zeigt sein leeres Atelier dort. Der Titel der Arbeit, „Hannoun“, bezeichnet den Mohn, der nach palästinensischer Überlieferung dort wächst, wo jemand ums Leben kam. Zugleich erinnert sich der Künstler an seine Schulzeit, als er sich, übereifrig Bleistifte spitzend, um das stupide Abschreiben der Lektionen drückte.

Die Ausstellung ist bis 18. Dezember in der Stuttgarter ifa-Galerie zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 12 bis 18 Uhr.