Seit wenigen Wochen kann Chefarzt Professor Christian Herdeg ein neues Medikament einsetzen, das die Sterblichkeitsrat Foto: Andreas Kaier - Andreas Kaier

Im August wurde auf einem Kardiologenkongress in Paris ein neues Mittel gegen Herzinsuffizienz vorgestellt. Christian Herdeg, Chefarzt am Ruiter Krankenhaus, setzt es bislang bei herzkranken Diabetikern ein.

OstfildernSchätzungsweise vier Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischer Herzschwäche. Bei den über 65-Jährigen ist sie der Hauptgrund für Krankenhausaufenthalte. Bei den Todesursachen steht Herzinsuffizienz auf Rang 3 – obwohl die Herz-Kreislauf-Medizin in den vergangenen 30 Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Und nun, in den vergangenen zwei, drei Jahren, hat die Therapie von Herzinsuffizienz erneut einen Riesensprung gemacht: Neue Medikamente senken die Sterblichkeit drastisch. Brandneu, so berichtet der Christian Herdeg, Chefarzt an der Medius-Klinik Ruit, sei diesen Sommer auf einem Kardiologenkongress in Paris ein Diabetes-Medikament vorgestellt worden, das auch bei herzkranken Nicht-Diabetikern wirkt und die Sterblichkeit noch einmal um 20 Prozent senke.

Herzkranke Menschen werden heute älter. Seit 1992 ist die Mortalitätsziffer bei akutem Herzinfarkt um 40 Prozent gesunken. Das Überleben von Infarktpatienten ist ein Grund, warum die Zahl der Menschen mit Herzinsuffizienz so rasant gestiegen ist. Der Anstieg liegt aber auch an der modernen, oft ungesunden Lebensweise, die zu Übergewicht und Diabetes führt. Der erhöhte Blutzuckerspiegel und Durchblutungsstörungen sind wiederum häufige Ursachen von Herzschwäche. Weitere Ursachen sind jahrelanger Bluthochdruck, durch einen Infarkt vernarbtes Gewebe und angeborene Herzinsuffizienz.

In der Behandlung der Herzinsuffizienz hat es in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel gegeben. Hat man früher das schwache Herz gestärkt, etwa mit Digitalis-Medikamenten, heißt heute die Parole:das Herz entlasten. „Der Körper hat ja bereits alle Reserven ausgeschöpft“, erklärt Professor Herdeg nimmt gern das Bild von Pferd und Kutsche: Anstatt dem Pferd, das die Karre nach oben zieht noch die Peitsche zu geben, ist es sinnvoller, die Kutsche zu entlasten und eine langsamere Gangart anzuschlagen.

Zur Entlastung des Herzens erhalten Patienten zum Beispiel ACE-Hemmer und zum Bremsen gibt es Beta-Blocker. Das sind die zwei Säulen der medikamentösen Behandlung. ACE-Hemmer wirken hormonell auf das Regelsystem Niere ein. Sie bewirken, dass sich die Blutgefäße weiten und der Widerstand abnimmt, sodass das Herz weniger Pumpkraft leisten muss. Betablocker blockieren jene Rezeptoren im Körper, an die sich sonst Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin binden. Betablocker verlangsamen den Pulsschlag, senken den Blutdruck und entlasten so das Herz. Als drittes Medikament wird seit circa 15 Jahren Eplerenon eingesetzt, das zur vermehrten Ausscheidung von Wasser und Natrium führt, und dadurch den Blutdruck senkt.

Mit der Wirkstoffkombination Sacubitril und Valsartan kam 2016 ein Mittel auf den Markt, das laut Kardiologe Herdeg „sensationell gut wirkt“ und die Sterblichkeitsrate noch einmal um 20 Prozent senkte. Dieser „Super-ACE-Hemmer“ – Markennamen Entresto – sei leider sehr teuer, weshalb er von manchen Ärzten noch zurückhaltend verschrieben werde. Für Herdeg zählt das Mittel aber zur leitliniengerechten Therapie.

Vom Kardiologenkongress in Paris im August Sommer hat der Ruiter Chefarzt eine weitere gute Nachricht mitgebracht. Ein Medikament, das bislang bei Diabetes angewandt wurde, hilft auch bei Herzinsuffizienz. Dapagliflozin heißt der sogenannte SGLT2-Inhibitor. Er verhindert, dass Glucose aus dem Harn resorbiert und wieder dem Blutkreislauf zugeführt wird. Der entscheidende Effekt: der Zuckerspiegel sinkt. Der Überraschungseffekt: Es wirkt auch bei Nicht-Diabetikern. „Eine „Riesen-Sensation“, findet Herdeg, man wisse aber noch nicht, ob es jedem Patienten gegeben werden soll. Er setzt es bislang nur bei Zuckerkranken mit Herzschwäche ein.

Kardiologe Herdeg empfiehlt Patienten mit Herzinsuffizienz, sich weiterhin viel zu bewegen. Wer einen 40-PS-Motor habe, könne auch noch normal fahren, halt nicht so schnelle wie mit einer 100-PS-Maschine. Und wenn ein Herzpatient 120 Kilo wiege, sollte er das Gewicht der Leistungsfähigkeit anpassen. Selbst Patienten, die wegen Atemnot kaum mehr laufen können, rät er zur Bewegung, am besten dann unter ärztlicher Aufsicht, etwa in einer Koronarsportgruppe. Herdegs Fazit: „Mit Bewegung kann man mehr erreichen als mit jedem Medikament.“