Katrin Vermelin (li.) und Katrin Wermuth, die Leiterin der Begegnungsstättte „Die Brücke“ im Gespräch mit Angehörigen. Foto: Iris Frey - Iris Frey

Die Angehörigen müssen bei der Pflege oft große Anforderungen bewältigen. Sie vermissen eine Tagespflege in Bad Cannstatt, wie beim Einblick in den Gesprächskreis für pflegende Angehörige in der Begegnungsstätte „Die Brücke“ deutlich wird.

An diesem Nachmittag in der Cannstatter Begegnungsstätte „Die Brücke“ ist neben der Leiterin der Begegnungsstätte, Katrin Wermuth, auch Katrin Vermelin von der Diakoniestation Stuttgart gekommen. Sie stehen bereit für Fragen der pflegenden Angehörigen. „Den Ablauf gestalten die Teilnehmer“, sagt Vermelin. „Bei Demenzerkrankten gibt es viel Unsicherheit im Alltag“, weiß Vermelin. Und in der Runde tauscht man sich aus. Da ist ein 79 Jahre alter Cannstatter, der namentlich ungenannt bleiben will und ein 43-jähriger Psychotherapeut, der sich mit seiner Schwester um seine Mutter kümmert.
Der 79-jährige hat seine Frau viele Jahre betreut, die demenzielle Erkrankungen hat. „Ich habe erfahren, dass es bei vielen Menschen dasselbe ist mit den Demenzproblemen“, sagt der Rentner. Es sei komisch, wie sich ein Mensch innerhalb kürzester Zeit verändere. „Die leben in einer anderen Welt.“ „Wir können keine direkten Ratschläge geben“, sagt Vermelin. Doch sich auf die Ebene des Erkrankten zu begeben, könne helfen. Nicht sagen, was der Erkankte behaupte, entspreche nicht der Realität. Es gebe keinen Plan, wie man es zu machen hat. Jeder Tag sei anders, jede Demenz laufe anders. So müssten beispielsweise Kompromisse gefunden werden mit dem Patienten, wenn sich jemand nicht mehr waschen lassen will. Da helfen kleine Ideen.
Wermuth berichtet von einer Demenzkranken, die nicht mehr ihr genaues Alter wusste. Bestärken, ich bin ungefähr 77 Jahre, das helfe. Oftmals erkennen die Dementen ihre Angehörigen nicht mehr.
Der 43-Jährige ist mit seiner Mutter nach deren Schlaganfall vor drei Jahren und einer Operation zusammen gezogen und mit seiner Schwester in eine gemeinsame Wohnung. Die Mutter sei nach dem Vorfall wesensverändert gewesen. Zuvor lebte sie alleine und konnte sich selbst versorgen. Auf einmal war sie komplett abhängig vom Sohn und der Tochter.
Diese stellten sich ganz auf die Mutter ein. „Es war schwierig, eine Wohnung zu finden“, sagt der Mann. Die Mutter kann sich alleine bewegen, aber manche Sachen könne sie nicht erkennen, sie habe Wortfindungsstörungen und sei schlecht orientiert.
Er ist das zweite Mal im Gesprächskreis, war mit der Mutter beim Gedächtnistraining in der Begegnungsstätte. Für ihn sind es gute Angebote. „Es ist schön, ähnliche Erfahrungen zu hören“, sagt er. Die Begegnungsstätte sei eine tolle Sache. „Wir wohnen nicht weit weg von hier, aber meine Mutter muss hergefahren werden.“ Die Kinder gehen mit ihr zur Logopädie, Physiotherapie, Gesprächstherapie und jeden Tag spazieren. Als Psychotherapeut kann er seine Zeit frei einteilen, hat seine Arbeitsstunden aber reduziert, wie seine Schwester, denn sie teilen sich die Rundum-Versorgung. „Wir hatten seit drei Jahren keinen Tag frei.“ Oft haben die Angehörigen Schwierigkeiten, Entlastung zu finden. Das kennt auch der 79-Jährige, der seine Frau immer überall mitnahm. Immer mal wieder sei sie unterwegs weg. Dreimal habe sie mit der Polizei gesucht werden müssen aufgrund ihres demenziellen Bewegungsdrangs. Seit einem Oberschenkelhalsbruch ist sie im Pflegeheim.
Auch Pflegekosten sind ein Thema. Und die Pflegestufen. Viel bleibt den Angehörigen nicht übrig. Ein Problem zeigt sich in Bad Cannstatt: „Hier gibt es keine Tagespflege“, sagt Vermelin. Diese würde manch Angehörigen entlasten. Wermuth sieht die Not hierfür auch. In der Begegnungsstätte „Die Brücke“ werden Module aufgebaut, wie das Gedächtnistraining. Die Betreuungsangebote seien für demenzielle Erkrankungen ausgerichtet, nicht für Schlaganfälle, so Wermuth. Urlaub ist oft ein Fremdwort für die Angehörigen. Auch der städtische Pflegestützpunkt habe da keine Angebote. Bei den besonderen Angeboten würden die Anfangszeiten nicht stimmen. Auch das neue kommende Pflegestärkungsgesetz ist Thema in der Runde. Es soll Angehörige bei der Zuzahlung von Pflegekosten entlasten bei einem Einkommen ab 100 000 Euro. Wie schaffen die Angehörigen es, den Druck und Stress zu bewältigen? Hilft dem Psychotherapeuten seine Fachkenntnis. „Ich bin immer der Sohn“, sagt er. Seine Mutter habe viel für ihn getan, es sei manchmal belastend, keinen freien Tag zu haben. Er hofft auf Tagespflege oder kompetentes Personal. Vermelin sagt, die Krankenkasse gebe eine Liste mit Hilfen. Doch die Umsetzung sei eine andere Sache, es fehle Personal. Bei den Betreuungsdiensten werde Geld nur für zugelassene Einrichtungen der Krankenkasse gegeben. In anderen Ländern sei das anders. Die Angehörigen hoffen, dass sich was tut bei den Betreuungsdiensten, es mehr Möglichkeiten gibt. Die Diakoniestationen haben Nachbarschaftshelferinnen auf ehrenamtlicher Basis. Doch da reiche die Stundenzahl oft nicht. Der 47-jährige weiß, dass seine Mutter gut umsorgt ist zu Hause. „Wenn ich alt bin, wird es nicht so sein“, sagt der Alleinstehende. Er erlebt auch dass solche Dienste nicht so wertgeschätzt werden. „Ich habe die Gesellschaft noch nie so altenfeindlich erlebt wie jetzt“. Jeder sei sich selbst der Nächste, stellt auch Vermelin fest. Aber es gebe in Bad Cannstatt auch noch alte Hausgemeinschaften, die sich helfen. „Viele Menschen vereinsamen in den Wohnungen, das finde ich echt schlimm“, so Vermelin. Die Begegnungsstätte „Die Brücke“ hat deshalb aufsuchende Sozialarbeit für Senioren gest