Foto: Heck - Heck

Das Inklusionsprojekt zwischen dem Treffpunkt des Caritasverbandes und der Kanu-Gesellschaft Stuttgart feiert 25-jähriges Jubiläum.

Bad Cannstatt Es regnen die ersten Tropfen auf das Vereinsgelände der Kanu-Gesellschaft Stuttgart (KGS) am Cannstatter Wasen herab. Donnergrollen ist in der Ferne zu hören und der Neckar, als wichtigstes Arbeitsmittel der Kanuten, scheint zu unruhig für ein sinnvolles Training. Da packen an diesem Trainingsabend selbst die sonst so motivierten Kanuten der inklusiven Gruppe ihre Boote lieber wieder ins Trockene. Dafür lassen sie anschließend in der schützenden Vereinsgaststätte die letzten 25 Jahre Revue passieren: Denn so alt ist sie inzwischen schon, die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Treffpunkt des Caritasverbands, die geistig behinderte Menschen aus dem Schatten in die Mitte der Gesellschaft holen möchte, mit dem traditionsreichen Wassersportverein vom Neckar. 25 Jahre, die weitaus ruhiger verliefen als der wilde Nachbar Neckar sich an diesem regnerischen Donnerstagabend gibt, wenn man der „Kanutin erster Stunde“, Doris Kretzschmar, Glauben schenken will. Die langjährige pädagogische Mitarbeiterin des Caritasverbands ist selbst bereits seit ihrer Kindheit paddelnd auf den Flüssen der Umgebung unterwegs und so entstand im Jahr 1993 im Gespräch mit den Vereinskameraden der KGS eine einzigartige Symbiose: „Aus meiner Leidenschaft für den Kanusport entstand damals die Idee, auch in diesem Bereich etwas für Behinderte zu entwickeln. Damals, 1993, bin ich bei mir im Verein mit dieser Idee auf offene Ohren gestoßen und nun sind wir schon im 25. Jahr mit einem gemeinsamen Inklusionsprojekt dabei, in dem Behinderte und Nichtbehinderte zusammen und gleichberechtigt trainieren.“

Aus dem anfänglichen „Teilen der Infrastruktur“, so Doris Kretzschmar zu den ersten Jahren der Kooperation, wurde schnell mehr. Die ersten gemeinsamen Ausfahrten starteten bereits im Folgejahr und sukzessive erweiterte sich der anfangs kleine Kreis von Helfern hin zu einem festen Bestandteil des Vereinslebens. Mit der Aufnahme des Kanurennsports in das umfangreiche Repertoire der deutschen Special Olympics 2008 wurden die Kurse zunehmend zur optimalen Wettbewerbsvorbereitung ausgebaut. Seitdem ist das Projekt aus der Landeshauptstadt durchgehend stark bei den deutschen Special Olympics vertreten, die alle zwei Jahre geistig behinderte Sportler aus allen Disziplinen in einer Stadt zum gemeinsamen Wettkampf zusammenbringen.

Mittendrin bei eben diesen Special Olympics fand sich bereits drei Mal in Folge der Stuttgarter Peter Heermann. Seit nunmehr sechs Jahren steigt der begeisterte Sportler regelmäßig in die Boote der KGS und hat es dabei schon weit gebracht: Gemeinsam mit seinem Bootspartner Valentin Merthel schaffte er es bei den letzten Special Olympics 2018 in Kiel gleich mehrfach ganz nach oben aufs Treppchen.

Nicht nur wegen zahlreicher Siege auf höchstem sportlichem Niveau zeigt sich Peter Heermann unverändert begeistert von seiner großen Leidenschaft. Viele Worte braucht es für den Athleten dabei nicht, um diesem Enthusiasmus Raum zu geben. Heermann ist von einer Form des Asperger-Syndroms betroffen, was sich vor allem in seiner wortkargen Verschlossenheit zeigt. Doch wenn der junge Mann von seinen Trainingsstunden mit Bootspartner Valentin Merthel spricht, dann leuchten seine Augen regelrecht auf und er beginnt ein wenig zu erzählen: Von den zahlreichen Medaillen, die er bereits bei mehreren bundesdeutschen Special Olympics einheimsen konnte, von „dem tollen Gefühl“, auf dem Siegertreppchen zu stehen und von seiner Begeisterung für den Kanusport, die er ganz banal und doch wunderschön begründet: „Das tolle an diesem Sport ist einfach die Abwechslung – die Mischung aus Wettkampf und Spaß.“

Sein derzeitiger Bootspartner Valentin Merthel stieß erst vor vier Jahren zum Team des inklusiven Kanuprojekts mit Leuchtturmcharakter hinzu. Der damalige Student suchte in der neuen schwäbischen Heimat einen passenden Verein zur Fortführung seiner Lieblingssportart und fand dadurch ins Inklusionsprojekt der KGS. Als Neuling war er sich zunächst unsicher, hatte einige Bedenken im Umgang mit den sieben behinderten Trainingspartnern. Am Ende brauchte es allerdings nur wenige Stunden auf dem Wasser, um seine Ressentiments vollends verschwinden zu lassen: „Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich mit meinen neuen Mannschaftskollegen richtig und gut umgehen kann. Dann hat sich aber relativ bald herausgestellt, wie gut die Zusammenarbeit funktioniert. Ziemlich schnell ist diese Art der sportlichen Inklusion ganz normale Realität für mich geworden.“

Genau darin sieht KGS-Vorstandsmitglied Thomas Kaiser, ebenfalls ein „Mann der ersten Stunde“, schlussendlich den Grund für die so lang anhaltende Kooperation: „Der Kanusport ist einfach schon per se eine enorm inklusive Sache. Wir sehen uns in diesem Sport als eine große Familie – und da spielen Behinderungen über kurz oder lang keine Rolle mehr.“ Auf eine solche Einstellung hofft man bei der Caritas auch über die Grenzen des Kanuvereins hinaus – schließlich soll Inklusion in der Gesellschaft eines Tages im besten Fall zur Normalität werden und nicht mehr „nur“ lobenswerte Ausnahme sein.

Entsprechend optimistisch antwortet Doris Kretzschmar auf die Abschlussfrage nach den Jubiläumswünschen für die Zukunft: „Ich hoffe, dass die Entwicklungen der letzten 25 Jahre in irgendeiner Form so weitergehen. Wir sind auf dem Weg, gemeinsam mit Netzwerkpartnern, weitere Konstrukte zu bilden und neue Vereine für die Öffnung gegenüber Behinderten zu motivieren. Das Thema Inklusion ist im gesamten Sport sehr groß und aktuell ist auch der politische Wille hierzu da. Die Zeichen stehen positiv, jetzt müssen wir nur noch die entsprechenden Standbeine bilden.“ Ein frommer Wunsch also zum Start in die nächsten 25 Jahre – damit es auch in Zukunft, bundesweit wie international, heißt: Das Kanu-Team des Treffpunkt des Caritasverbandes greift nach den Medaillen.