Bei Borna Sosas Kopfball hebt der Linienrichter die Fahne. Foto: dpa - dpa

Ein klares Handspiel eines Berliners wird nicht für den VfB gepfiffen. Weil das Handspiel niemand im Stadion gesehen hat. Der Videoschiedsrichter hätte es aber sehen müssen – und schritt trotzdem nicht ein. Warum auch immer. Spielentscheidend war diese Situation aber nicht.

StuttgartWenn es stimmt, dass Spiele auf dem Niveau der Fußball-Bundesliga durch Kleinigkeiten und einzelne Szenen entschieden werden können, dann ist dem VfB Stuttgart am Samstag in Berlin tatsächlich Böses widerfahren. Es lief beim Stand von 0:0 im Berliner Olympiastadion die 37. Minute, als ein Eckball, getreten von Daniel Didavi, in den Strafraum von Hertha BSC segelte. Allerhand Spieler sprangen in Richtung Ball, zwei Stuttgarter, der Berliner Keeper Rune Jarstein und dessen Mitspieler Karim Rekik. An die Kugel ran kam nur einer aus dieser Menschentraube: eben dieser Rekik – mit der Hand. Was allerdings keiner sah.

Nicht die Spieler, nicht die Zuschauer, nicht die Trainer, auch nicht der Schiedsrichter Daniel Schlager. Aber der hat ja ein drittes und viertes Auge – in einem Keller in Köln. Und so warf am Ende dieser Partie, die der VfB 1:3 verlor, auch keiner dem Unparteiischen aus Hügelsheim ein Versäumnis vor, sondern dessen Kollegen Günter Perl. Der war als Video-Assistent in Köln zuständig für die Überprüfung strittiger Szenen – und hatte in der 37. Minute keine erkannt. „Ich weiß nicht, was in dem Moment im Keller los war“, sagte der VfB-Interimscoach Nico Willig. Mittelfeldspieler Alexander Esswein sprach vom „klarsten Handspiel der letzten Wochen und Monate, vielleicht sogar der gesamten Saison“. Und Dennis Aogo, der Routinier der Stuttgarter, meinte verärgert: „Der Videoschiedsrichter hat einen Riesenfehler gemacht. Es ist für mich unverständlich, wie man das nicht sehen kann.“ Zur Seite sprang den VfB-Vertretern Deutschlands Schiedsrichter-Chef, Lutz-Michael Fröhlich, der sagte: „Das Entscheidende ist, dass die Handhaltung oberhalb des Kopfes war.“ Jochen Drees, der Projektleiter Videobeweis beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) ergänzte in Bezug auf den Kollegen Perl: „Er hat es einfach nicht gesehen. Die Situation war unscheinbar, es hat niemand reklamiert.“

Rekiks Aktion, da bestand kein Zweifel, war also strafwürdig – und die Nicht-Ahndung demnach spielentscheidend? Diese Version klingt entschuldigend für eine Niederlage, entsprechend sagte Nico Willig: „Wir haben es nicht verbockt, das wurde an anderer Stelle verbockt.“ Was den Kern dieses Nachmittags allerdings nicht ganz trifft, weil der VfB Stuttgart weder vor noch nach dieser Szene den Eindruck vermittelt hatte, diese Partie unbedingt gewinnen zu wollen – und zu können. Fußballerische Qualität ist schließlich auch, sich von Widrigkeiten nicht aus der Bahn werfen zu lassen. Beim VfB aber geschah genau das Gegenteil.

Kurz nach der 37. Minute und dem nicht geahndeten Handspiel des Innenverteidigers Rekik kassierten Willigs Männer das 0:1, noch vor der Pause das 0:2. Zwei Beispiele, die ein weiteres Mal in dieser Saison bewiesen, dass diese VfB-Mannschaft im Überwinden von Widerständen in etwa so gut ist wie in der gemeinsamen Orchideenzucht. Aogo immerhin fügte einigermaßen selbstkritisch an, die Klagen über die strittige Situation sollten „kein Alibi“ sein. Die zählen zwei Spieltage vor dem Ende einer Saison, in der eine mit viel Geld aufgehübschte Mannschaft bislang nur 24 Punkte gesammelt und die direkte Rettung bereits verspielt hat auch nicht mehr – und erst recht nicht in der wahrscheinlichen Relegation.