Quelle: Unbekannt

Der ehemalige Bayern-Profi ist in Stuttgart nur noch Innenverteidiger Nummer fünf.

StuttgartIn einer Internetgrafik unter dem Titel „Die Verletzungen des Holger Badstuber“ zeigte die „Süddeutsche Zeitung“ im Februar 2016 anhand eines Bildes des Fußballprofis detailliert auf, aus welchem Grund dieser wann wie lange gefehlt hatte. Es gab darin Pfeile auf sein rechtes Knie (insgesamt 628 Tage Ausfallzeit), Hüfte und Becken (insgesamt 86 Tage), den linken Oberschenkel (insgesamt 372 Tage) sowie das linke Sprunggelenk, an dem er sich damals gerade einen Knöchelbruch zugezogen hatte (voraussichtlich 195 Tage). Und wie reagierte Badstuber? Mit Humor. „Kleine Korrektur, werte SZ“ schrieb er in einer Replik dazu auf Twitter mit einem Zwinkersmiley: Er strich das Wort „Verletzungen“ im Titel der Grafik rot durch, ersetzte es durch „STÄRKE“ und fügte einen auf seinen Kopf zeigenden Pfeil hinzu, daneben schrieb er: „TOPFIT“.

Badstuber, damals noch beim FC Bayern München und heute beim VfB Stuttgart, ist ein intelligenter Kerl und ein kritischer Geist – keiner, der nur Ja und Amen sagt; einer mit Ecken und Kanten, der einst nach dem Fachabitur Zivildienst an der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte leistete und sich viele Gedanken über sich und die Welt macht. Während andere Profis mit hochmotorisierten Luxuskarossen auf den Spielerparkplatz einbiegen, rollt er im Elektro-Smart an. Im Stuttgarter Süden ist der Hundefreund, der einen Weimaraner besitzt, bisweilen auf einem Klapprad zu sehen.

An diesem Mittwoch wird Badstuber 30 Jahre alt. Auch Hermann Gerland wird versuchen, ihn anrufen. Der 64-Jährige, einst sein sportlicher Ziehvater beim FC Bayern, wünscht ihm „Alles Gute, viel Glück und Gesundheit auf alle Fälle“. Drei Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen, doch er verfolgt die Karriere seines Ex-Schützlings aufmerksam, findet aber, dass er in der Vergangenheit schon genug über ihn gesagt hat: „Er ist seinen Weg gegangen, wir wissen doch alle, wie schwierig es für ihn war und wie er gekämpft hat.“ Die große Erfahrung mit Rückschlägen hilft Badstuber, der selbst nicht über seine Situation sprechen möchte, auch jetzt. Der renommierte Defensivstratege erlebt die schwierigsten Tage seiner Zeit in Stuttgart. Statt Abwehrchef ist er mittlerweile nur noch das fünfte Rad am Wagen – Innenverteidiger Nummer fünf im Ranking von Trainer Markus Weinzierl hinter Benjamin Pavard, Marc Oliver Kempf, Ozan Kabak und dem wiedergenesenen Timo Baumgartl.

Professionalität wird allseits gelobt

Bei anderen Spielern würde man in diesem Zusammenhang von der schwierigsten Phase ihrer Karriere sprechen. Badstuber, der in Rot an der Rot im Landkreis Biberach aufgewachsen ist, hat aber schon ganz andere Tiefschläge bewältigen müssen. Denn kaum dass er Anfang 2009 beim FC Bayern seinen ersten Profivertrag unterschrieben hatte, kam die Schockdiagnose für seinen Vater Hermann: Krebs. Der hoch angesehene frühere VfB-Jugendtrainer starb wenig später im März 2009 im Alter von 53 Jahren. Er sollte nicht eine Bundesliga-Minute des Sohnes sehen, worauf er ein Leben lang hingearbeitet hatte.

Holger Badstuber legte trotz des Schicksalsschlags einen steilen Aufstieg hin. Der damalige Bayern-Trainer Louis van Gaal beförderte ihn im Sommer 2009 zum Stammspieler. Der Mann mit dem feinen linken Fuß war mit seiner starken Spieleröffnung und passgenauen Diagonalbällen raus auf den rechten Flügel zu Arjen Robben der Urtypus des modernen Innenverteidigers; Joachim Löw machte ihn alsbald zum Nationalspieler. Wegen seiner jahrelangen Verletzungsmisere kamen aber nur 31 Einsätze zusammen.

Es wurde immer wieder über ein Karriereende spekuliert, doch Badstuber biss sich jedes Mal zurück. Im Sommer 2017 ging er zum VfB – mit einem leistungsbezogenen Einjahresvertrag. Unter Tayfun Korkut, der Ende Januar 2018 Hannes Wolf als Trainer ablöste, war er eine tragende Stütze der zweitbesten Rückrundenmannschaft der vergangenen Saison – laut und unbequem trat er auf, setzte auf dem Platz und in der Kabine Reizpunkte.

Danach liebäugelte er mit einem Wechsel zu einem Champions-League-Teilnehmer, unterschrieb aber letztlich einen gut dotierten Dreijahresvertrag bis 2021. Zu Saisonbeginn patzte Badstuber, die fehlende Kompaktheit des Teams zwang ihn in viele Laufduelle, was seine Schwächen schonungslos offenlegte. Als er sowieso den Platz in der Startelf zu verlieren drohte, fiel er vor dem Spiel in Nürnberg aufgrund von Wadenproblemen aus. In der Winterpause stand ein Wechsel zur Debatte, er blieb aber.

Badstuber macht einen mürrisch-missmutigen Eindruck, wenn man ihn durch die Mixedzone stapfen sieht. Er ist gefrustet. Trotzdem trainiert er engagiert, wie am Dienstag wieder zu beobachten war. Er versucht junge Spieler an die Hand zu nehmen, Tipps zu geben. Kaum jemand verliert ein schlechtes Wort über ihn, seine Professionalität wird allseits gelobt. Mitleid wollte er noch nie haben – auch nicht, als es ihm richtig schlecht ging.