VfB-Vorstandsvorsitzender Thomas Hitzlsperger. Foto: dpa - dpa

Hitzlsperger ist der neue starke Mann beim VfB Stuttgart – und auf mehreren Ebenen gefordert.

StuttgartDer Chef hat keine Zeit zu verlieren. Zum gemeinsamen Frühstück bittet Thomas Hitzlsperger morgens um halb neun – eine Uhrzeit, zu der das Fußballgeschäft gewöhnlich erst so langsam erwacht. Doch beginnt sein Tag neuerdings nicht selten schon um sechs in der Früh und ist durchgetaktet bis zum Abend. Denn: Hitzlsperger ist der neue starke Mann beim VfB Stuttgart – und auf mehreren Ebenen gefordert.

1. Der Vorstandsboss:Im Rekordtempo hat es Hitzlsperger auf den Chefsessel der VfB AG geschafft. Als Berater des Vorstands, von dem keiner so genau wusste, was tut, war er vor dreieinhalb Jahren zu dem Club zurückgekehrt, mit dem er als Spieler 2007 Meister wurde. Seit 15. Oktober ist er der Boss und gibt die Richtung vor. „Es ist eine große, komplexe Aufgabe, aber ich wollte diese Position und habe alles dafür getan.“ Viele neue Themen hat er nun auf seinem Schreibtisch, die nicht unmittelbar mit dem Sport zu tun haben. Um die Suche nach dem zweiten Investor kümmert sich Hitzlsperger, um den Umbau des Stadions, um die Neuordnung der Nachwuchsarbeit – und vor allem die Strategie für die nächsten Jahre. Momentan lernt er den Verein und seine Mitarbeiter noch besser kennen. Täglich führt er Personalgespräche – auch um ein Gefühl dafür zu bekommen, warum der VfB binnen drei Jahren zweimal abgestiegen ist. „Es gilt in Erfahrung zu bringen, warum wir als VfB Stuttgart in der zweiten Liga sind, und gleichzeitig Wege aufzuzeigen und zu entwickeln, wie wir wieder nach vorne kommen.“ Nur bei der Auswahl der beiden Präsidentschaftskandidaten, „da halte ich mich raus.“

2. Der Lehrling: Mit 18 Jahren istHitzlsperger Fußballprofi geworden, mit 31 hat er seine Karriere beendet und anschließend als Fernsehexperte gearbeitet. Bedeutet: keine Berufsausbildung, kein Studium, keinerlei Erfahrung in Unternehmensführung. Hitzlsperger weiß das selbst und er bekommt auch die Diskussionen mit, inwieweit der VfB das Anforderungsprofil zu seinen Gunsten verändert hat. „Ein Vorstandsvorsitzender wird immer Bereiche haben, in denen er sich besser auskennt“, sagt Hitzlsperger: „Ich habe einen Wissensvorsprung im Fußball und im Bereich Kommunikation – jetzt geht es darum, mir in allen anderen Bereichen mein Grundwissen auszubauen.“ Mit Fachleuten aus allen relevanten Aufgabengebieten steht Hitzlsperger im Austausch, denkt über ein Mentorenprogramm nach, und holt sich gelegentlich Rat bei Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff. Anfang Dezember geht er zudem auf eine vom Deutschen Fußball-Bund organisierte Bildungsreise zu Basketball- und Footballclubs in den USA. Ansonsten gilt: „Man kann nicht besser lernen, als jeden Tag unter diesem Druck zu arbeiten. Das ist die beste Schule.“

3. Der Visionär: Hitzlsperger wusste, was der Aufsichtsrat in den Bewerbungsgesprächen von ihm hören wollte: eine Vision für die Zukunft. „Das wird von einem Vorstandsvorsitzenden erwartet, ich habe auch eine präsentiert.“ Wie sie aussieht, die Vision des Thomas Hitzlsperger? Die Jugendarbeit sei ein wesentlicher Bestandteil, sagt er und möchte alles dafür tun, „dass wieder mehr selbst ausgebildete Spieler in der Profimannschaft auflaufen“. Viel mehr mag er vorerst nicht verraten. Die baldige Rückkehr in die Champions League hatten vollmundig die VfB-Clubchefs in den vergangenen Jahren angekündigt, ehe sie bald darauf entnervt aufgaben. In diese Falle will Hitzlsperger nicht treten. „Es wäre viel zu früh und in unserer Situation unpassend, öffentlich über Visionen zu sprechen“, sagt er: „Das würde nur dazu führen, dass die Leute sagen: ‚Jetzt träumen sie mal wieder.‘“

4. Der Mahner: Hitzlsperger kennt seit Jahren die Gespräche darüber, dass der VfB doch ein großer Club in einer wirtschaftsstarken Region sei, in der die Fans von ganz alleine kämen, das Geld auf der Straße liege und sich der Erfolg automatisch einstellen müsse. „Ich hatte einige Zeit auch dieses Bild. Aber ich habe dann Vergleichszahlen aus der Bundesliga gesehen“, sagt er: „Und da ist die Realität eine andere. Wir tun uns daher einen Gefallen, wenn wir die Erwartungen zurückschrauben und uns daran orientieren, was im Moment möglich ist.“ Viel zu lange seien überambitionierte Ziele formuliert worden. „Jetzt müssen wir weiter ordnen und uns neu ausrichten.“ Anspruchsvoll und ehrgeizig wolle man sein, das schon, „aber keine großen Ziele mehr ausgeben“. Stattdessen seien kleine Schritte gefragt: Neues Vertrauen aufbauen und vor allem nicht mehr so viele Fehler begehen. „Viele Vereine haben weniger Fehler gemacht und sind an uns vorbeigezogen. Wir sind zweimal abgestiegen und haben uns das selbst zuzuschreiben.“

5. Der Sportchef: Das Entwickeln von langfristigen Visionen und Strategien mag inzwischen zu den Hauptaufgaben von Hitzlsperger gehören – „mein Kerngeschäft ist aber nach wie vor der Fußball“. Sportchef ist er auch als Vorstandsvorsitzender geblieben. Zumindest solange der VfB in der zweiten Liga spielt, soll sich an dieser Konstellation auch nichts ändern. Also schaut Hitzlsperger noch immer so oft wie möglich beim Training zu und tauscht sich mit Tim Walter aus. Zu seinen wichtigsten Aufgaben zählt es der frühere Nationalspieler, „den Trainer zu unterstützen“. Dass Walter mit seinem selbstbewussten Auftreten häufig aneckt, überrascht Hitzlsperger nicht, im Gegenteil: „Wir wollten einen Trainer, der genau weiß, was er will, und der sein Selbstbewusstsein auch in seiner Ausdrucksweise rüberbringt. Und wir wussten vom ersten Tag an, dass er emotional ist.“ Das lasse man auch zu – zumindest bis zu einem gewissen Punkt: „Wenn er übers Ziel hinausschießt, dann sage ich ihm das.“