Steven Cherundolo (links) beim VfB. Foto: dpa - dpa

Über 400 Spiele hat Steven Cherundolo für Hannover 96 bestritten, zuletzt arbeitete er dort als Nachwuchscoach. Als der VfB Stuttgart anklopfte, zögerte er dennoch keine Sekunde.

StuttgartGeboren in Rockford, Illinois. Später sieben Jahre lang auf der Mt. Carmel High School. Studiert an der University of Portland, entsprechend aktiv bei den Portland Pilots. Später berufen in die Nationalmannschaft der USA. Bis hierhin: eine ganz normale amerikanische Sportlerlaufbahn. Doch so US-typisch ist die Karriere von Steven Cherundolo dann eben doch nicht. Denn wenn der VfB Stuttgart am Samstag (15.30 Uhr) bei Hannover 96 antritt, wird der heute 39-Jährige sagen: „Das ist ein besonderes Spiel für mich.“ Es geht schließlich gegen seinen Heimatverein.

So oder so ähnlich kann man das jedenfalls sagen. Martin Kind, der Präsident von Hannover 96, meint: „Er ist durch und durch 96er.“ Und doch Gegner am Samstag – weil Cherundolo nach über 18 Jahren in Niedersachsen nun ein neues Kapitel in seinem Leben schreibt. Ein schwäbisches. Er sagt: „Ich musste nicht lange überlegen, als die Anfrage kam. Ich bin froh über die Möglichkeit, als Co-Trainer in der Bundesliga weitere Erfahrung sammeln zu können, und kann hier viel lernen.“ Im Januar dieses Jahres hat Tayfun Korkut, der Cheftrainer des VfB, Cherundolo nach Stuttgart gelotst.

Publikumsliebling bei 96

Wie gesagt: nach über 18 Jahren seit 1999 – in denen Cherundolo an der Leine viel erlebt hat. Aufgestiegen ist er mit Hannover, hat gegen den Abstieg gekämpft, ist in den Europapokal eingezogen. Die Fans haben ihm eigene Choreografien gewidmet, er war Kapitän und Publikumsliebling. Er hat sich als 96er für drei WM-Teilnahmen empfohlen. Und nachdem der Außenverteidiger seine aktive Karriere im März 2014 beendet hatte, sammelte er erste Erfahrungen als Nachwuchscoach und Co-Trainer bei den Profis. Das Stadion in Hannover nennt er „mehr oder weniger mein Wohnzimmer“. In Hannover, sagt er, „fühle ich mich pudelwohl“. Nicht zuletzt deshalb, weil seine Frau Mandy von dort kommt und seine Kinder dort geboren wurden. Aber Cherundolo sagt auch: „Nun freue ich mich jeden Tag, in Stuttgart zu sein.“ Und damit wieder an der Seite von Korkut.

Dieses Gespann gab es schon einmal – allerdings in leicht veränderter Konstellation. Als Korkut Ende 2013 Cheftrainer in Hannover wird, steht Cherundolo zwar kurz vor dem Karriereende, ist aber noch Mannschaftskapitän. Und gerade in den ersten Wochen der Zusammenarbeit besprechen die beiden viel miteinander. So hat der US-Amerikaner in Niedersachsen Arbeitsweise und Charakter des Schwaben mit türkischen Wurzeln kennengelernt – und sagt heute: „Tayfun war in Hannover ein guter Trainer, er macht hier auch sehr gute Arbeit.“ Cherundolo will dabei „helfen, wo ich kann“.

Als Trio mit Ilija Aracic führen die Coaches viele Gespräche, planen Trainingseinheiten und Spieltaktiken, versuchen, Spieler und Mannschaft nach vorne zu bringen. Alle drei blicken auf eine eigene Profilaufbahn zurück – bei Cherundolo sind es 415 Partien für Hannover 96 geworden, 87 Länderspiele, sieben davon bei einer Weltmeisterschaft. Nun, als Co-Trainer in der Bundesliga, „gibt es unzählige Gespräche mit den Spielern, in denen es um Situationen geht, in denen ich selbst einmal war“, sagt Cherundolo und ergänzt: „Da gebe ich meine Erfahrung natürlich gerne weiter.“ Denn eines mag er überhaupt nicht: „Wenn jemand – und da beziehe ich mich ein – den gleichen Fehler ein zweites Mal macht.“ Im Training, in Spielen, aber womöglich auch in der Karriereplanung.

Cherundolo steht für Konstanz und Vereinstreue, weil er sich im Laufe seiner Karriere zwar durchaus Gedanken über einen Wechsel gemacht hat, folgende Fragen aber immer mit Ja beantworten konnte, wenn es darum ging, einen neuen Vertrag in Hannover zu unterschreiben: „Entwickelt sich der Verein weiter? Entwickle ich mich weiter? Bin ich glücklich? Spiele ich?“ Heutzutage, hat er festgestellt, „geht die Tendenz zur Schnelllebigkeit“. Dabei könne eine langfristige Zusammenarbeit nicht nur Spielern guttun, sondern auch den Vereinen.

Das klingt gut und vernünftig, aber auch ein treuer Kicker wie Cherundolo kennt die Realitäten: „Man kann im Fußball grundsätzlich schlecht planen.“

Wäre er in Hannover geblieben, würde er womöglich nun den Fußballlehrer-Lehrgang besuchen. Auch in Stuttgart kam das Thema im Sommer noch einmal kurz auf, man entschied gemeinsam, dass der Co-Trainer in Vollzeit bei der Mannschaft sein sollte. „Das ist auch richtig so“, sagt Cherundolo, der nun also erst einmal praktische statt theoretische Erfahrung sammelt. Bis 2020 ist sein Vertrag (analog zu Korkut und Aracic) beim VfB verlängert worden. Was danach kommt?

Aktuell schwer zu sagen – wobei sie in Hannover ihren verlorenen Sohn noch nicht aus den Augen verloren haben. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass er nach Hannover zurückkommt“, hat Kind beim Abschied gesagt. Am Samstag ist es erstmals so weit. Wenn auch nicht so, wie es der 96-Präsident gemeint hat – und mit ganz anderen Absichten. „Es ist ein besonderes Spiel“, wiederholt Cherundolo, „aber eines, das ich mit dem VfB gewinnen möchte.“