Chadrac Akolo (links) hat nach seinem verschossenen Elfmeter Trost nötig – und bekommt ihn von Benjamin Pavard. Foto: dpa

Von Sigor Paesler

Stuttgart – Chadrac Akolo wird mindestens ein paar Tage brauchen, um diese Situation zu verarbeiten. Es war die Szene des Fußball-Bundesliga-Spiels zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Bayern München. Vielleicht aus Stuttgarter Sicht die Szene der Saison, zumindest aber der Hinrunde. Akolo hatte sich den Ball geschnappt, nachdem Schiedsrichter Patrick Ittrich (Hamburg) nach Videobeweis auf Strafstoß für den VfB entschieden hatte. Akolo schoss. Akolo verschoss. Abpfiff. 0:1 (0:0), die vierte Stuttgarter Niederlage in Folge, das vierte Spiel in Serie ohne eigenen Torerfolg. Das Bayern-Spiel zeigte die ganze Krux des VfB am Jahresende 2017: Insgesamt voll bundesligatauglich, aber zu wenige Treffer erzielt. 13 in 17 Spielen, das bislang letzte am 13. Spieltag beim 1:1 in Hannover. Stuttgarter Torlos-Spektakel.

In einigen Monaten aber wird möglicherweise in Erinnerung bleiben, wie die Stuttgarter mit dieser Situation, mit dieser Szene am Ende des letzen Hinrundenspiels umgegangen sind. Direkt im Anschluss kam fast die gesamte Mannschaft sowie der Trainer- und Betreuerstab zu Akolo und trösteten ihn. Keine Stunde nach dem Spielende sagte Trainer Hannes Wolf diesen bemerkenswerten Satz: „Wenn man das mit etwas Distanz betrachtet, gibt es viele Dinge, die sehr viel schlimmer sind.“

Ein Punkt gegen die Bayern wäre verdient gewesen, keine Frage. Der VfB war ebenbürtig, legte eine hohe Intensität an den Tag, erarbeitete sich Chancen, stand in der Abwehr stabil – mit Ausnahme der Szene, die zum Gegentreffer durch Thomas Müller führte. Wer hätte das vor dem Anpfiff gedacht? Hinterher wollte Münchens Coach Jupp Heynckes deshalb auch überhaupt nichts von der Formulierung „Arbeitssieg“ wissen, die immer gerne benutzt wird, wenn der Rekordmeister eine Begegnung knapp für sich entscheidet. „Es war für uns nicht so einfach, das Spiel zu gewinnen. Ich finde, dass beide Mannschaften klasse gespielt haben“, sagte er und zollte den Stuttgartern Respekt: „Wenn man sie so spielen sieht, kann man eigentlich nicht verstehen, dass sie nicht mehr Punkte haben.“ Es war deutlich zu spüren, dass der Trainer-Gentleman dies nicht aus Höflichkeit sagte. Er lobte auch das Talent der Stuttgarter Mannschaft und das taktische Können von Trainer Wolf. „Das Spiel hatte alle Zutaten, die man von einem Spitzenspiel erwartet.“

„Fiese vier Wochen“

Wolf hörte die Worte des erfahrenen Kollegen. Zwei Dinge nahm er (auch) davon mit: Lieber als das Lob hätte er Punkte gehabt. Und es gibt trotz der Schwächephase Gründe, optimistisch in die Zukunft zu blicken. „Das waren fiese vier Wochen, da haben wir den Fußball mit seiner ganzen Wucht abbekommen“, sagte Wolf. Das „insgesamt fantastische Jahr 2017“ wollte er sich aber nicht kaputtreden lassen: „Wir sind inhaltlich voll in der Bundesliga angekommen und wissen, dass wir es schaffen können.“

Defensiv stimmt das, offensiv nur in Ansätzen. Sportvorstand Michael Reschke, der insgesamt ebenfalls voll des Lobes war, bemängelte denn auch genau diesen Punkt und kündigte erneut an, in der Winterpause auf dem Transfermarkt aktiv zu werden: „Die Torabschlussbilanz stimmt nicht, da werden wir uns etwas einfallen lassen.“ Wolf freut sich in diesem Zusammenhang vor allem darauf, dass Spieler wie Daniel Ginczek und Carlos Mané, der schrittweise wieder ins Mannschaftstraining einsteigt, zurückkommen.

Personalien waren aber weniger das Thema beim VfB. Die Stuttgarter schwankten zwischen Enttäuschung und Trotz. „Es hätte uns gutgetan, den Punkt mitzunehmen“, sagte Torwart Ron-Robert Zieler. Abwehrspieler Timo Baumgartl konnte das Lob schon nicht mehr hören: „Wir brauchen keine Schulterklopfer, sondern Punkte.“ Dennoch: Das 0:1 gegen die Bayern war eines dieser Beispiele dafür, dass eine Mannschaft aus einer Niederlage Selbstvertrauen ziehen kann. Wenn der Umgang damit gelingt. Und da spricht einiges für die Stuttgarter. Was auch die Szene des Spiels zeigte und was danach geschah.

Kaminski, der Mittelstürmer

Stuttgart (sip) – Für Marcin Kaminski war es wohl ein etwas verwirrender Moment. Was der polnische Fußballer von der Maßnahme seines Trainers Hannes Wolf hielt, konnte dieser nicht sagen. „Ich habe ihn nicht gefragt“, erklärte Wolf. Kaminski, im Hauptberuf Innenverteidiger beim VfB Stuttgart, lief nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Simon Terodde im Spiel gegen den FC Bayern als Sturmspitze auf. Das überraschte, aber der Coach hatte sich natürlich etwas dabei gedacht. Gegen die Münchner wollte er im Zentrum einen Spieler, der Bälle halten und verwerten kann. Kaminski kann das. Schnell ist er auch. Er brauchte ein paar Minuten, um in die Rolle zu finden. Zunächst sah es so aus, als wolle er den ebenfalls überrascht wirkenden Bayern-Verteidiger Jerôme Boateng beschatten. Dann aber machte er „seine Sache gut“, wie auch Wolf anerkannte.

Wie zuvor auch Terodde. Der schwächelnde Stürmer stand wieder in der Startelf und zeigte eines seiner besseren Saisonspiele. Trotzdem war es möglicherweise sein letzter Auftritt im VfB-Trikot. Im DFB-Pokal morgen in Mainz fehlt Terodde aufgrund einer Rippenprellung. Anschließend steht ein Wechsel etwa zum 1. FC Köln im Raum. Dass ihn Kaminski sowohl morgen als auch dauerhaft im Sturmzentrum ersetzt, ist trotz des gelungenen Versuchs gegen die Bayern unwahrscheinlich.