Stuttgarts Torwart Ron-Robert Zieler (Mitte) steht mit seinen Mannschaftskollegen vor dem Spiel im Kreis. Foto: dpa

Von Sigor Paesler

Hannover – Es war eines dieser Fußballspiele, nach denen man wirklich gespannt sein durfte, wie die direkt Beteiligten das Geschehene einordnen würden. 1:1 hatten sich die beiden Aufsteiger Hannover 96 und VfB Stuttgart im Freitagabendspiel der Fußball-Bundesliga getrennt. Die 43 500 Zuschauer wurden gut unterhalten, die meisten von ihnen verließen die HDI-Arena einigermaßen zufrieden. Die Kicker und ihre Trainer schwankten ein bisschen. Hannovers André Breitenreiter, dessen Team eine Viertelstunde vor Schluss den Ausgleich erzielt sowie nach zwei Niederlagen und dem Spiel bei den Bayern vor der Brust zumindest wieder einen Punkt geholt hatte, wählte die Glas-Halb-leer-Variante, sprach von einem schlechten Spiel und einer schwachen ersten Hälfte.

Die Stuttgarter trauerten nach dem ersten Auswärtspunkt der Saison zwar dem verpassten Dreier nach, sahen aber mehr das Positive. Lieber ein gutes Spiel, das mit einem Punkt belohnt wird, als ein Duselzähler, bei dem die Luft nach oben im Mittelpunkt der Analyse steht. Das Glas ist halb voll. Angesichts dessen, wo die Mannschaft herkommt, kann man auch feststellen: Das Glas ist fast voll.

„Wir wissen, wo wir herkommen“

„Wir wissen, wo wir herkommen“, war ein Satz, den VfB-Trainer Hannes Wolf mehrfach sagte, während es in Hannover auf Mitternacht zuging. „Wir wissen, wo wir herkommen und dass wir uns für einen Punkt maximal anstrengen müssen.“ Kollege Breitenreiter würde das für seine Mannschaft sofort unterschreiben. Wolf konnte mit dem Punkt leben, vor allem in Kombination mit dem 2:1-Sieg zuvor gegen Borussia Dortmund. Vier Zähler aus den Begegnungen mit der – zumindest viele Jahre lang – zweiten Kraft im deutschen Fußball und dem richtig stark in die Saison gestarteten Mitaufsteiger, das ist wahrlich nicht schlecht. Ebenso wie die gesamte bisherige Saisonbilanz: 17 Punkte aus 13 Spielen. Der VfB ist kein Abstiegskandidat. Zumindest im Moment nicht. „Wir wollen bis zur Winterpause die 20-Punkte-Marke knacken“, sagte Routinier Andreas Beck. Bremen, Leverkusen, Hoffenheim und München sind die Gegner.

Vor allem aber: Die Stuttgarter treten nicht auf wie ein Abstiegskandidat. Nicht während und nicht nach dem Spiel. Wolf quittierte es mit einem sehr zufriedenen Lächeln, als er mitbekam, dass sich die VfB-Profis eher unzufrieden über das Unentschieden äußerten. Und gleichzeitig betonten, dass sie selbst mit ihrer Leistung ganz zufrieden waren. „Die Überzeugung, in der Bundesliga bestehen zu können, ist für alle wichtig“, betonte der Trainer. Aber: „Wir haben keine Spieler, die zu Überheblichkeit tendieren.“ Das wäre auch nicht angebracht. Sie wissen, wo sie herkommen. Aus der 2. Bundesliga.

„Es sind wichtige Schritte, die wir im Moment machen“, betonte Wolf. Schritte dahin, wieder ein etablierter Bundesligist zu werden. Als ein solcher wird der VfB in der Republik längst wahrgenommen. Als gefährlicher Gegner werden die Stuttgarter von den Konkurrenten vor den Begegnungen stets bezeichnet. Der Respekt vor dem VfB, seiner Spielweise und seinem Auftreten ist groß. „Wir haben gegen eine starke Mannschaft gespielt“, sagte Breitenreiter nach dem 1:1. Das sagte Wolf natürlich auch. Hannover hatte sich nach dem Wechsel gesteigert. Auch das muss man in die Analyse mit einfließen lassen.

Wolfs Handschrift

Ein Blick in die Medien aus der Stadt des Konkurrenten lohnt. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ etwa schrieb am Samstag von einem am Ende verdienten, insgesamt aber doch eher glücklichen Punkt für 96. „Der VfB Stuttgart überzeugte auf dem neu verlegten Rasen der HDI-Arena mit klugen Spielzügen und übernahm die Kontrolle über das Geschehen“, schrieb die „HAZ“.

Das Spiel des VfB hat eine klare Struktur. Eine Handschrift. Die Dreier-Abwehrkette funktioniert. Wie Beck und Emiliano Insua sie in der Defensive zur Fünferkette verriegelten und gleichzeitig viel für die Offensive taten, war beeindruckend. Was das Spiel über die Flügel betraf, waren sie den Hannoveranern klar überlegen. Und hinten musste wie gegen Dortmund ein Strafstoß für das einzige Gegentor herhalten. Bei den weiteren 96-Chancen stand einmal der Pfosten und mehrfach der an seiner früheren Wirkungsstätte erneut starke Torhüter Ron-Robert Zieler im Weg.

Wolfs VfB schafft zurzeit die richtige Mischung, sich immer wieder neu auf die Gegner einzustellen und gleichzeitig eine klare eigene Spielidee auf den Platz zu bringen. Gegen Hannover agierte die Mannschaft aus der gleichen defensiven Grundordnung raumorientierter als gegen Dortmund. Vorne spielen die Schwaben mit so viel Tempo wie kaum ein anderes Team in der Liga (siehe Text unten). Dazwischen Abräumer Santiago Ascacibar und Kopf Christian Gentner. Auch in diesem Punkt hieß es am Freitag: Vorteil Stuttgart. „Da fehlte im Mittelfeld die ordnende Hand, die der VfB in Gestalt von Kapitän Christian Gentner hatte“, kritisierte die „HAZ“ die 96er.

Eine Frage musste Wolf natürlich auch beantworten: Was bedeutet es, dass die Mannschaft im siebten Versuch endlich den ersten Punkt auf fremden Plätzen geholt hat? Der Trainer musste grinsen, er war vorbereitet. Dann schüttelte er leicht den Kopf: „Das ist ein Thema, das wir mit der Mannschaft nicht haben. Da konzentrieren wir uns ganz auf den Fußball.“ Und da war er mit der Auswärtsleistung zufrieden: „Es steckt eine gute Kultur in der Mannschaft. Wie alle gearbeitet haben, verdient Lob.“ So kann man es sehen. In Bremen ist der VfB am Samstag der Favorit.