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„Ich hatte ein gutes Gefühl für Führung, Organisation und Zahlen – das war besser als mein Ballgefühl“, sagt der Gaiser rückblickend über sich selbst.

StuttgartIn eine Auswahlmannschaft hat er es als Fußballer nie geschafft damals beim SV Baiersbronn, bei dem er von der E-Jugend an alle Nachwuchsteams durchlief. Die Mitspieler wollten Bernd Gaiser aber trotzdem zumeist als Kapitän haben. „Ich hatte ein gutes Gefühl für Führung, Organisation und Zahlen – das war besser als mein Ballgefühl“, sagt der im Schwarzwald aufgewachsene 58-Jährige im Rückblick und schmunzelt.

Seit dem Rücktritt des Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden Wolfgang Dietrich nach der turbulenten Mitgliederversammlung Mitte Juli ist er wieder einmal als Kapitän gefragt, am Ruder eines angekratzten Luxusliners des deutschen Fußballs – als Clubchef des Bundesliga-Absteigers VfB Stuttgart. Der Vizepräsident führt bis zur außerordentlichen Mitgliederversammlung am 15. Dezember in der Schleyerhalle interimsweise den VfB e. V. als größten Sportverein Baden-Württembergs mit 70 000 Mitgliedern und rückte für diesen Übergangszeitraum auch in der VfB Stuttgart 1893 AG zum Aufsichtsratsvorsitzenden auf.

In der Führungsposition als Aufsichtsratsvorsitzender kommt Gaiser eine Schlüsselrolle bei wegweisenden Entscheidungen zu – bei der Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden und bei der Suche nach einem zweiten Investor neben Ankerinvestor Daimler unterstützt und begleitet er den Vorstand (was er auch vor dem Dietrich-Aus schon tat).

Der Aufsichtsrat hat beschlossen, dass die Stelle des Vorstandsvorsitzenden geschaffen wird – dieser wird der neue starke Mann beim VfB. Gaiser interviewt mit dem dreiköpfigen Präsidialrat, dem außer ihm seine Aufsichtsratskollegen Wolfgang Porth und Hermann Ohlicher angehören, die Kandidaten.

Dazu zählt Vereinslegende Jürgen Klinsmann. „Wir haben uns zu einem konstruktiven, offenen Informationsaustausch getroffen. Es wird Folgegespräche geben“, sagt Gaiser, der Klinsmann dabei erstmals persönlich begegnete und keinen fixen Zeitrahmen für die Besetzung des neuen Postens benennen möchte. „Wir haben auch Gespräche mit anderen Kandidaten geführt, und es kommen noch Gespräche mit weiteren Kandidaten, Jürgen Klinsmann ist das auch bekannt. Der Prozess wird noch mehrere Wochen dauern.“

Eine Beurteilung des bisherigen Austausches mit den Bewerbern oder wie Sport- und Wirtschaftskompetenz gewichtet werden, lässt er sich nicht entlocken. „Wir machen das objektiv im Sinne des VfB anhand unseres Anforderungskatalogs, mit dem wir die Kandidaten bewerten. Den Prozess machen wir mit Sorgfalt und werden zwischendurch keine Wasserstandsmeldungen abgeben. Wir gehen keinen Kompromiss ein“, sagt er. Nur so viel verrät er mit einem Lachen: „Jemand, dem man die Abseitsregel erklären muss – das würde nicht funktionieren.“

Der Deal mit dem zweiten Investor könnte derweil auch besiegelt werden, bevor ein Vorstandsvorsitzender installiert ist – je nachdem, wann dieser feststeht. „Der VfB Stuttgart darf nicht die grundsätzliche Ausrichtung von Einzelpersonen abhängig machen. Wir haben die Überzeugung, dass wir das Thema zweiter Investor weiter vorantreiben wollen. So denkt auch der Vorstand“, sagt Gaiser als Aufsichtsratschef. „Dieser Club hat derartig Potenzial mit den herausragenden Fans und unserer besonderen Region, dass wir trotz des Abstiegs keine Abstriche in der Bewertung machen. Wir arbeiten daran, dass wir bis Jahresende zu einem Abschluss kommen, garantieren kann ich es aber natürlich nicht.“

Sicher ist dagegen, dass es bis dahin einen neuen Präsidenten geben wird, wenngleich dessen Einfluss durch die Berufung eines Vorstandsvorsitzenden schwinden wird. Eigene Ambitionen auf den Posten hat Gaiser nicht. „Da habe ich ein klares Bild: Der Einsatz für meine beruflichen Aufgaben lässt sich bei mir nicht mit dem Präsidentenamt vereinbaren“, sagt der selbstständige Unternehmensberater. „Die Zeit, die ich zur Verfügung habe, passt für das Amt des Vizepräsidenten, aber nicht für das Amt des Präsidenten.“ Dies hat er dem Vereinsbeirat, der die Bewerbungen bis 15. September entgegennimmt und bis zu zwei Kandidaten nominieren kann, so mitgeteilt.

Es spricht noch etwas anderes gegen eine Kandidatur: Dass er bei der Mitgliederversammlung Mitte Juli loyal ein Plädoyer für Dietrich hielt, kam bei Teilen der Fans nicht gut an. Ein echter Neustart wäre es mit ihm an der Spitze des Vereins nicht. Als Vizepräsident ist Gaiser noch bis 2021 gewählt und will dies bleiben – unabhängig davon, wer Dietrich beerbt. Er beteuert auch, dass er sich in den Nominierungsprozess nicht einmischen wird. „Das macht der Vereinsbeirat autonom, da bin ich nicht eingebunden. Es ist kein Kriterium, dass jemand kommt, mit dem ich gut kann. Entscheidend ist, dass er oder sie gut für den VfB ist“, sagt er. „Ich bin mir sicher, dass der Vereinsbeirat gute Kandidaten findet und ich mit dem neuen Präsidenten klarkommen werde.“

Was den VfB e. V. angeht, so ist sein oberstes Anliegen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen nach dem Abstieg, dem WLAN-Debakel bei der Mitgliederversammlung und dem Rücktritt des umstrittenen Dietrich, unter dessen Regentschaft eine Zerrissenheit mit Pro-Dietrich- und Dietrich-raus-Lagern entstanden waren. Zudem will Gaiser eine außerordentliche Mitgliederversammlung auf die Beine stellen, die ohne (technische) Pannen über die Bühne geht. Es soll wieder Ruhe einkehren und der Dialog mit den Mitgliedern intensiviert werden, wozu neue Formate in Vorbereitung sind – beim Heimspiel zum Zweitliga-Auftakt gegen Hannover 96 suchte Gaiser schon mit Mitgliedern des Vereinsbeirats im Stadion auf wechselnden Tribünenplätzen aktiv das Gespräch mit den Fans: „Manche haben mich erkannt, manche nicht.“ Er ist eine unbekannte Größe. Noch zumindest.

Wobei er nicht ins Rampenlicht drängt. Er will – anders als Dietrich – im Hintergrund arbeiten und nicht die öffentlichen Debatten mitbestimmen, weshalb er beispielsweise Interviewtermine wie diesen sehr sparsam dosieren möchte. Sein Anliegen ist es, den Fokus schnell wieder mehr auf den Fußball zu verlagern. „Unser oberstes Ziel ist der Wiederaufstieg. Alle anderen Themen stehen hintenan“, sagt Gaiser. „Die starke Gruppe mit Thomas Hitzlsperger, Sven Mislintat und Tim Walter muss in Ruhe ihre Arbeit machen können.“ Weiter geht es dabei für Sportvorstand Hitzlsperger, Sportdirektor Mislintat und Trainer Walter am Montag mit dem DFB-Pokalspiel bei Hansa Rostock.