Wolfgang Dietrich Foto: Baumann - Baumann

Vor der Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart am Sonntag wird weiter heftig über den Clubchef Wolfgang Dietrich gestritten.

StuttgartEs gibt Menschen, die zählen bereits die Tage - bis zum kommenden Sonntag. Dann findet in der Mercedes-Benz-Arena die diesjährige Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart statt. Und wäre das vergangene Jahr nicht so turbulent und sportlich miserabel gelaufen, gäbe es wohl den einen oder anderen Programmpunkt weniger. Zum Beispiel: die Nachwahl des dritten Präsidiumsmitglieds – weil Thomas Hitzlsperger vermutlich noch im Ehrenamt und Chef des Nachwuchsleistungszentrums wäre. Und vor allem: die mögliche Abwahl des Präsidenten Wolfgang Dietrich.

Dessen Kritiker gaben zwar auch in sportlich vernünftigen Zeiten (Aufstiegssaison, Rückrunde der Saison 2017/2018) ihre ablehnende Haltung nicht auf. Der Nährboden dafür war aber kaum gegeben. Nun ist das anders. Erst recht nach dem erneuten Abstieg aus der Fußball-Bundesliga. Die Kritik – ob in einzelnen Punkten gerechtfertigt oder nicht – wurde im Lauf der vergangenen Wochen lauter und sichtbarer. In dieser Woche vor der Mitgliederversammlung erreicht sie einen neuen Höhepunkt. Und man fragt sich fast unweigerlich: Musste es so weit kommen?

In der gesamten Region Stuttgart jedenfalls sind nun unzählige Plakate geklebt worden, die zur Abwahl von Dietrich auffordern. „Der unsympathischste VfB aller Zeiten“, steht auf einem. Dazu das Konterfei des Clubchefs und der Slogan „Dietrich raus“. Dass dies noch die harmlosere Variante ist, zeigt, wie die Diskussion über die Zukunft des seit Oktober 2016 amtierenden und bis Herbst 2020 gewählten Vereinspräsidenten ausgeufert ist. Auf einem anderen dieser Plakate soll er „tiefergelegt“ werden.

Auseinandersetzung wird hitziger

Die Grenzen des guten Geschmacks (und des geltenden Rechts?) sind an manchen Stellen also längst überschritten in dieser immer hitziger werdenden Auseinandersetzung, die zunächst während der Bundesliga-Spiele im Stadion sicht- und hörbar gemacht, vor allem aber auch in den sozialen Medien geführt wurde. Und geführt wird.

Zahlreiche Gegner versuchen in sich im Stil ähnelnden Postings derzeit den von Dietrich unterstützten Eindruck zu verwischen, die Antihaltung sei lediglich Sache der lautstarken Ultragruppierungen. Tatsächlich ist die Zahl der öffentlichen Kritiker seit dem Abstieg gestiegen und diverser geworden. Mal wird emotional aufgeladen gepoltert, mal hintergründig argumentiert – inwieweit sich all das am Sonntag in Stimmen für eine Abwahl niederschlägt, ist dennoch schwer vorherzusehen.

An anderer Stelle wiederum wurde im Netz die Art der Kritik an Dietrich angeprangert – und in gleichem Text an die Umstände des Mordes an CDU-Politiker Walter Lübcke erinnert. Wolf-Dietrich Erhard, der Vorsitzende des VfB-Vereinsbeirats, hat dazu dann eine Stellungnahme abgegeben, ebenfalls via Facebook. Sie beginnt mit den Worten: „Ein bemerkenswerter Beitrag.“ In der Folge mahnt Erhard aber vor allem: „Als VfBler müssen wir immer mit Anstand, Respekt und Offenheit untereinander in die Diskussion gehen.“ Das scheint derzeit kaum zu interessieren.

Der Verein selbst versucht in den Tagen vor der Mitgliederversammlung Gelassenheit zu demonstrieren – und nutzt seine ihm eigenen Möglichkeiten. Info-Mails an die Mitglieder, zum Beispiel. Oder die Reihe „VfB im Dialog“, in der am Dienstagabend die Kandidaten für den vakanten Platz im Präsidium, Werner Gass und Rainer Mutschler, sowie Erhard, Vereinsbeirätin Claudia Maintok, Sportdirektor Sven Mislintat und Dietrich zu Gast waren.

In den einzelnen Abteilungen des e. V. wird zudem meist von einem Ja zur Abwahl abgeraten, da man auf dieser Ebene durchaus zufrieden ist mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre. Allein durch die gestiegene Zahl der Mitglieder hat sich die Lage der Abteilungen verbessert – zum Beispiel durch die Jahresbeiträge, die komplett im e. V. verbleiben. Eine von oben verordnete Meinungsmache, wie von Kritikern gewittert, bestreitet man dagegen vehement. Auch im Vereinsbeirat, der mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert ist, wehrt man sich gegen einen möglichen Eindruck, man lasse sich instrumentalisieren.

65 Anträge auf eine Abwahl Dietrichs sind dennoch eingegangen – am Sonntag kommt es zur Abstimmung über die Zukunft des Clubchefs, der am Dienstag sagte: „Ich jammere nicht, aber es gibt Momente, in denen es schmerzt. Meine Familie leidet massiv darunter.“ Wie es am Sonntag ausgeht? Ist offen – ebenso wie die Frage, ob sich nach der Mitgliederversammlung die Lage rund um den VfB Stuttgart wieder normalisiert.