Sportdirektor Sven Mislintat treibt die Kaderplanung des VfB Stuttgart für die nächste Saison voran. Foto: dpa - dpa

Die Zeit im Hintergrund ist vorbei. Ab sofort will der Sportdirektor beim Zweitligisten Großes aufbauen – und redet die Krise in Cannstatt nicht klein.

Stuttgart Die Zeit im Hintergrund ist vorbei. Zumindest für die nächsten zwei Jahre. Für diese Dauer hat Sven Mislintat beim VfB Stuttgart unterschrieben. Und nun soll der 46-jährige Westfale den Absteiger aus der Fußball-Bundesliga sportlich so aufstellen, dass am Ende der nächsten Saison der Traditionsverein von 1893 wieder erstklassig ist. Das ist der klare Auftrag an den neuen Sportdirektor. Es ist aber auch Mislintats eigener Anspruch. Das hat er am Sonntag bei seinem ersten öffentlichen Auftritt verdeutlicht.

„In diesem Verein steckt viel Kraft“, sagt Mislintat. Das habe ihm auch sein langjähriger Mentor Jürgen Klopp bestätigt, als ihn der Trainer des FC Liverpool zum frisch angetretenen Job beglückwünschte. Bei Borussia Dortmund haben sie eng zusammengearbeitet, und jetzt dient der Erfolg des neuen Champions-League-Siegers dem alten Weggefährten als Leitmotiv, um zu erklären, was der VfB braucht, um wieder nach oben zu kommen. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl, eine klare Kommunikation und den festen Willen, sich ständig zu verbessern.

Reiz, etwas aufzubauen

Mit dem Blick in den Spiegel fängt das bei Mislintat an. „Ich fühle mich als Absteiger“, sagt er – obwohl er erst seit dem 1. Mai offiziell im Amt ist. Doch bereits drei Wochen vorher war der gebürtige Kamener mit den Gedanken beim VfB. „Da lag die Chance auf den Klassenverbleib noch bei 50:50“, sagt Mislintat. Dennoch entschied er sich ligaunabhängig für den Club an der Mercedesstraße. „Denn zur Wahrheit gehört auch, dass es hier eine richtig große Krise gibt.“

Eine Chance sieht Mislintat darin und beschäftigt sich ausschließlich mit den Stuttgartern. Berichte, es gäbe Kontakte zum AC Mailand wischt er vom Tisch. Sein Projekt ist der VfB. Vom ersten Tag an, mit der ersten Kontaktaufnahme, hat ihm die Idee gefallen, selbst in einem Verein etwas aufbauen und gestalten zu können. Das ist der Reiz, seit ihn der Präsident Wolfgang Dietrich im Sommer 2017 angesprochen hat. Damals gab es jedoch keine Möglichkeit, aus dem Vertrag mit dem BVB herauszukommen. Später war Mislintat für den FC Arsenal als Chefscout tätig – und nach dem Ende des Engagements zu haben.

In weißem Hemd und dunklen Jeans sitzt der Sportdirektor nun an der Seite von Thomas Hitzlsperger, seinem Chef. Die beiden verstehen sich jedoch als Führungsduo, das nach dem bitteren Abstieg die sichtbaren Rollen tauscht: Hitzlsperger, der Sportvorstand, zieht sich aus der öffentlichen Wahrnehmung zurück, und Mislintat rückt näher an die Mannschaft heran. Wie dieses VfB-Team der Zukunft aussehen wird, ist eine zentrale Frage – und die Antwort soll Mislintat möglichst schnell liefern.

Falsche Investitionen

Zu Hektik neigt der Kaderplaner jedoch nicht. Dafür ist er zu lange im Geschäft. Seit 19 Jahren sichtet und bewertet er Spieler. „Diamantenauge“ wird er in der Branche genannt, weil er bereits eine Reihe von Talenten entdeckt hat. Allerdings in einem anderen Segment. Mit diesem Szenario hat er sich nach eigener Auskunft aber auseinandergesetzt. „Natürlich habe ich in meinem bisherigen Portfolio nicht direkt die Lösungen für die zweite Liga“, sagt Mislintat, „außer man schaut auf die Bank oder die U-23-Mannschaften der großen Vereine.“ Er hat das regelmäßig getan. Und wie Finanzvorstand Stefan Heim betont, werden sinnvolle Transfers nach dem Absturz in die Zweitklassigkeit nicht zwingend am Geld scheitern. Handlungsfähigkeit besteht. Was den Herrn über die Zahlen viel mehr umtreibt, nennt er „das Mittel-Verwendungsproblem“. Sprich: „Wir haben nicht zu wenig Geld in Spieler investiert, sondern wir haben falsch investiert.“

Verpflichtungen und Vertragsverlängerungen, die sich sportlich nicht ausgezahlt haben, sind damit gemeint. Mehr als 30 Millionen Euro wurden im vergangenen Sommer in Beine gesteckt – plus kräftigem Nachschlag im Winter. Für die Aktivitäten auf dem Transfermarkt war in der abgelaufenen Runde Michael Reschke verantwortlich. Ohne einen Partner zu haben, der ihn entlastet oder eventuell sogar bremst. „Ich mache mir den Vorwurf, dass wir die Stelle des Sportdirektors nicht schnell genug besetzt haben“, sagt Dietrich. So liefen einige Entwicklungen im internen Betrieb auseinander.

Als Moderator gefordert

An der Schnittstelle zwischen dem früheren Sportvorstand Reschke und den ehemaligen Trainern Tayfun Korkut und Markus Weinzierl ergaben sich Probleme, die auch den Spielern nicht verborgen blieben. Doch es gab keinen Moderator, der kommunikative oder atmosphärische Brücken schlug. Dieser Punkt gehört nun zu Mislintats Anforderungsprofil. Schon bei der Auswahl des neuen Cheftrainers Tim Walter hat er sich von der Idee leiten lassen, dass die fußballerischen Vorstellungen übereinstimmen. Jetzt gelte es, als Gruppe zusammenzuwachsen. „Wir müssen mit Vollgas nach vorne denken“, sagt Mislintat – in allen Bereichen.