Hochwasserschutz ist in Zeiten von Katastrophen wie im Ahrtal im Jahr 2021 oder den jüngsten Überflutungen mit Todesopfern in Schorndorf ein hochaktuelles Thema. Auch die Landeshauptstadt Stuttgart beschäftigt sich damit. „In Folge des Klimawandels nehmen Extremwetterereignisse wie Starkregen und Überflutungen auch in Stuttgart zu“, heißt es auf einer Webseite der Stadt dazu. Wer sich dort die Karten zu Hochwassergefahren anschaut, stößt schnell auf Rohracker und Hedelfingen mit gefährdeten Gebieten. Wie schon in anderen Stadtbezirken und Stadtteilen, ist deswegen auch für dieses Gebiet eine Flussgebietsuntersuchung in Auftrag gegeben worden. Die hätte eigentlich längst im Bezirksbeirat vorgestellt werden sollen, verzögert sich aber weiter. Nach Angaben des Tiefbauamts will das beauftragte Büro die Ergebnisse nun im Oktober 2024 liefern.
Mit Dürrbach, Bußbach, Tiefenbach und Katzenbach gehören Rohracker und Hedelfingen vermutlich zu den bachreichsten Stadtteilen Stuttgarts. In den vergangenen Jahren wurden sie immer wieder mit großer Sorge begutachtet, allerdings nicht etwa wegen Überflutungsgefahr, sondern weil sie durch anhaltende Trockenperioden zu dünnen Rinnsalen geschrumpft waren. Früher haben die Bäche, vor allem der Dürrbach, aber auch schon zu echten Katastrophen geführt.
Wer ein bisschen in digitalen Archiven herum stöbert, stößt schnell auf Spuren des katastrophalen Hochwassers in Rohracker und Hedelfingen im Jahr 1914, also vor genau beispielsweise 110 Jahren. Im Staatsarchiv Ludwigsburg liegt eine Akte „Staatsbeitrag an die Gemeinde Hedelfingen zur Ausbesserung der durch das Hochwasser vom 14. und 16. Juni 1914 am Dürrenbach und seinen Nebenflüssen auf der Markung Hedelfingen verursachten Schäden sowie zur Erneuerung zerstörter und Instandsetzung beschädigter Bachbrücken und Ufermauern innerhalb und außerhalb Etters“ der damaligen Ministerialabteilung für den Straßen- und Wasserbau.
Hedelfingen unter Wasser
Der ehemalige Hedelfinger Bezirksvorsteher Hans-Peter Seiler und der Ortshistoriker Michael Wießmeyer haben sich intensiv mit den damaligen Wassermassen beschäftigt. Damals waren oben auf den Fildern schwere Wolkenbrüche niedergegangen, die Wassermassen schossen die Dürrbachklinge hinunter und rissen auf dem Weg ins Tal Geröll, Schlamm und Bäume mit sich. Der alte Ortskern von Hedelfingen stand unter Wasser. Zwei Tage später schüttete es am Frauenkopf erneut, diesmal traf es vor allem Rohracker, aber auch erneut Hedelfingen. Die Schäden wurden mit Hilfe des erwähnten Staatsbeitrags beseitigt. Heute können Wassermassen dank des Rückhaltebeckens oberhalb von Rohracker nicht mehr ungehindert ins Tal schießen. Wer sich aber die kleine Natura-Trail-Rundwanderung vom Wanderparkplatz auf der Waldebene Ost zum kleinen, aufgestauten See und auf der anderen Seite wieder zurück gönnt, kann beim Blick in die idyllische, tief eingeschnittene Dürrbach-Klinge erahnen, welche Kraft Wasser entfalten kann.
Risiko fließt im Bach
Zuletzt hatte der Bußbach in Rohracker für Überschwemmungen gesorgt. Im Juni 2020 war der Bach nach starken Regenfällen über die Ufer getreten und hatte die Tennisanlage der SportKultur im Bußbachtal überflutet. Ein Jahr später floss erneut ziemlich viel Wasser den Bach hinunter und kam in seinem Unterlauf den angrenzenden Grundstücken und damit auch Häusern ziemlich nahe. Der Unterlauf des Bußbachs ist in dem Bereich ziemlich stark verbaut. In den 1930er Jahren war der Bach dort gerade mit Blick auf den Hochwasserschutz stark begradigt und eingeengt worden. Das führt heute dazu, dass das Wasser dort bei Starkregenereignissen ziemlich Fahrt aufnimmt.
Die Stadt hat schon vor fünf Jahren beschlossen, den mehr als 600 Meter langen Unterlauf des Bußsbachs in Rohracker zu renaturieren. Pläne dafür gibt es bereits, erste Entwürfe waren im Januar 2022 im Bezirksbeirat vorgestellt worden. Demnach soll der Bachquerschnitt erweitert, an einigen Stellen sollen die Hänge abgeflacht werden.
Naturstein statt Beton
Die bisherige Betonrinne soll durch Natursteine ersetzt werden, der Bach soll auch wieder wenigstens ein bisschen mäandern können. Gleichzeitig soll der am Bach verlaufende, bisher sehr schmale Fußweg auf zwei Meter verbreitert werden.
Die Probleme dabei: Allein von der Topografie her ist die Umgestaltung nicht einfach. Und: Dafür werden Streifen von Grundstücken benötigt, die nicht der Stadt gehören und erst gekauft werden müssen.
Das wiederum gefällt nicht jedem Eigentümer. Im Januar 2023 wurden die betroffenen Grundstücksbesitzer in der Kelter Rohracker informiert. Ziel der beauftragten Flussgebietsuntersuchung ist, für den gesamten Ortsbereich Ansatzpunkte für eine Hochwasserschutzkonzeption zu finden. Dabei werden die Bachläufe auf ihrer ganzen Länge gerade auch im Hinblick auf mögliche Starkregenereignisse hin untersucht. Solange die Ergebnisse dieser übergeordneten Untersuchung nicht vorliegen, wird vermutlich auch keine Entscheidung über die Renaturierung des Unterlaufs des Bußbaches getroffen.
Von Jürgen Brand